Konrad Seigfried reichen zwei Anekdoten, um den Boom von Ludwigsburg zu beschreiben. Ab und an besuchten ihn Freunde, die vor Jahren aus der Stadt fortgezogen seien, erzählt der Erste Bürgermeister der 95.000-Einwohner-Stadt nördlich von Stuttgart. Sogar mitten im Zentrum standen damals etliche Kasernen der Bundeswehr und der US-Armee. „Man brauchte schon eine Vorliebe für GIs, um die Stadt toll zu finden“, sagt Seigfried.
Seither ist aus Ludwigsburg zwar keine Metropole geworden, aber eine Stadt, die sich enormer Beliebtheit erfreut. Und seine Freunde würden staunen, wie sich die Stadt so verändern konnte. „Bei unserer Wohnungsbaugesellschaft sind 1300 Interessenten gemeldet“, erzählt Seigfried seine zweite Anekdote. „Aber pro Jahr werden gerade einmal 60 Wohnungen frei.“
Der Ansturm auf Städte wie Ludwigsburg ist die andere Seite des deutschen Immobilienbooms: Weil die Preise in den Metropolen dramatisch zugelegt haben, sehen sich immer mehr Menschen im Umland nach einem neuen Zuhause um. Diesem Trend ist Capital in diesem Jahr gefolgt und hat den traditionellen Immobilienkompass einmal anders aufgezogen: Statt der Metropolen haben wir die Speckgürtel und die Provinz erkundet – und die 100 besten Wohnlagen Deutschlands herausgesucht: 100 Städte und Gemeinden, die demografisch und wirtschaftlich attraktiv sind und in denen sich der Kauf eines Hauses oder einer Wohnung oft noch lohnt.
Denn der deutsche Immobilienmarkt ist vielschichtiger, als die Überschriften über den Boom in den Großstädten, den demografischen Wandel und die aussterbenden ländlichen Regionen vermuten lassen. So ziehen heute in Deutschland in allen Altersgruppen mehr Menschen aus Großstädten heraus als umgekehrt in die Metropolen (mit Ausnahme der Studenten und Auszubildenden zwischen 18 und 30 Jahren). „Dass die Metropolen dennoch steigende Einwohnerzahlen aufweisen, liegt vielerorts nur am Zuzug aus dem Ausland. Ansonsten würden sie schrumpfen, etwa München“, sagt Antonia Milbert, Bevölkerungsforscherin beim Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR).
Zwar gibt es in den Metropolen noch immer die lukrativen Jobs, nur ist das Problem: „Die Großstadt ist oft zu teuer, gerade für junge Familien, die mehr Platz brauchen“, sagt Reiner Braun, Vorstand des Immobilienforschers Empirica. In Düsseldorf kosten Bestandswohnungen durchschnittlich 50 Prozent mehr als noch vor fünf Jahren, in München haben sich gebrauchte Wohnungen im selben Zeitraum gar um 65 Prozent verteuert. Ein Quadratmeter kostet hier im Schnitt 6300 Euro.
Daher hat sich Capital mit der Bertelsmann Stiftung und dem Immobilieninstitut iib Dr. Hettenbach in ganz Deutschland auf die Suche gemacht: Welche Städte und Gemeinden werden trotz des demografischen Wandels auch in 15 oder 20 Jahren noch eine einigermaßen stabile Bevölkerung haben, welche Kommunen sind ökonomisch besonders stark – und wo sind Wohnungen und Häuser noch erschwinglich?
Eine Analyse aus 14 Faktoren
Um diese Fragen zu beantworten, legte Capital 14 demografische und ökonomische Kriterien zugrunde, die auf Daten der Bertelsmann Stiftung und des iib Dr. Hettenbach Instituts beruhen. Hohe Steuereinnahmen etwa sind Hinweis auf eine starke Finanzkraft der Kommune; ein hoher Anteil von Hochqualifizierten am Arbeitsort spricht für einen attraktiven Arbeitsmarkt; und einer steigenden Einwohnerzahl folgen oft steigende Häuserpreise. Die Liste der 100 attraktivsten Kommunen Deutschlands soll Hilfestellung für Eigenheimsucher und Anleger gleichermaßen sein.
Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Analyse: Etwa 80 der 100 Kommunen finden sich im Umfeld der Metropolen, auch im weiter entfernten Umland. Es gewinnt der Speckgürtel des Speckgürtels. Nimmt man alle Kriterien zusammen – Demografie, Wirtschaftskraft und Immobilienmarkt –, zeichnen sich zudem zwei dramatische Brüche ab: zwischen West und Ost und zwischen Süd und Nord.
Während viele Städte im Norden zwar günstigeren Wohnraum bieten, schneiden sie bei den demografischen und wirtschaftlichen Bedingungen schlechter ab. Die attraktivsten Wohnlagen dagegen finden sich zwischen Stuttgart und Frankfurt, zwischen Rhein, Main und Neckar. Nirgendwo sonst erfüllen so viele Kleinstädte die Capital-Kriterien. In dieser Region zeichnet sich geradezu ein neuer Mega-Ballungsraum ab, der auch dank schneller ICE-Verbindungen immer enger zusammenwächst. Selbst Bayern und das Münchner Umland können da kaum mithalten. Zwar glänzen die Städte dort mit guten Wirtschaftsdaten. Aber die Immobilienpreise sind so stark gestiegen, dass die Mietrenditen in den meisten Wohnlagen für Anleger unattraktiv geworden sind.
Ein Muster ist erkennbar
Jenseits der Ballungsräume jedoch wird es für Immobilienkäufer immer heikler. Zwischen Bonn, Leipzig, Hannover und Nürnberg gibt es zwar viel Wohnraum. Doch in der Mitte Deutschlands fehlen die pulsierenden Großstädte, die das Umland mitziehen und für stabilen Zuzug (und stabile Preise) sorgen könnten. „Siegen, Göttingen und Co. sind zwar als Unistädte attraktiv, aber wer erst seinen Abschluss hat, zieht oft in eine Metropolregion, weil es dort attraktivere Jobs gibt“, sagt Tobias Just, Immobilienökonom an der Uni Regensburg. Immobilienforscher Braun urteilt: „Wirtschaftlich existiert zwischen Südniedersachsen, Osthessen und Sachsen-Anhalt kaum ein Unterschied.“
Wer sich mit den Verantwortlichen in den Top-Städten unterhält, stellt allerdings noch ein Muster fest: Oft liegen die Grundlagen ihres heutigen Booms lange zurück, häufig geht er zurück auf eine sehr vorausschauende Planung. Ludwigsburg etwa kaufte früh fast alle Kasernen, um die Flächen neu zu entwickeln. Viele Top-Kommunen sorgten schon vor langer Zeit für eine gute Anbindung an die große Nachbarstadt, für moderne Verwaltungsangebote und eine ordentliche Infrastruktur mit Kitas und Schulen.
Ludwigsburg könnte dieser Erfolg sogar bald zum Verhängnis werden – zumindest nach den strengen Capital-Kriterien: „Wir rechnen damit, in den nächsten Jahren die 100.000-Einwohner-Marke zu überschreiten“, sagt Bürgermeister Seigfried. Dann wäre Ludwigsburg selbst eine Großstadt.
So hat Capital die 100 besten Lagen ermittelt
Die Vorauswahl : Um Kommunen mit einem interessanten demografischen und wirtschaftlichen Profil zu finden, nutzte Capital zunächst den großen Datensatz der Bertelsmann Stiftung. Für sein Projekt „Wegweiser Kommune“ (wegweiser-kommune.de )hat der Thinktank alle deutschen Städte und Gemeinden mit mehr als 5000 Einwohnern nach ihrer demografischen und ökonomischen Leistungsfähigkeit in neun unterschiedliche Typen klassifiziert. Fünf dieser Typen erfüllten die Capital-Bedingungen und gingen in die Analyse ein. Alle Städte, die schrumpfen werden, sowie Großstädte und Stadtstaaten wurden aussortiert, 1700 Gemeinden blieben übrig.
Regionale Verteilung: Auf Basis der Bevölkerungszahl ermittelte Capital, wie viele Plätze ein Bundesland in der Capital-Liste erhält. Ausgangspunkt hierfür war, wie sich die 26 Millionen Einwohner der fünf Bertelsmann-Typen auf die Länder verteilen. So war gesichert, dass kein Bundesland unterrepräsentiert ist.
Die Kriterien: Insgesamt flossen neun Kriterien aus den Bertelsmann-Daten in die Auswertung ein: Daten zur Demografie, zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sowie zum Arbeitsmarkt und zur Sozialstruktur einer Gemeinde. In einem nächsten Schritt wurden diese Kriterien ergänzt um die Immobilienpreisdaten des iib Dr. Hettenbach Instituts, das seit Jahren auch die Daten für den Capital Immobilien-Kompass liefert. Hier wurden die Preisentwicklungen der letzten fünf Jahre für Häuser und Wohnungen, die Mietsteigerungen sowie die Mietrenditen berücksichtigt. Steigende Immobilienpreise sprechen für einen attraktiven Immobilienmarkt; eine hohe Mietrendite und ein niedriger Wert beim Verhältnis von Kaufpreis- zu Mietentwicklung zeigen, dass eine Gemeinde noch immer vergleichsweise erschwinglich ist. Um Ausreißer zu vermeiden, formulierte Capital Untergrenzen für jede Kategorie und sortierte jene Gemeinden aus, in denen in den vergangenen Jahren nur wenige Immobilien den Besitzer wechselten. Diese Regel führte dazu, dass Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt nicht berücksichtigt werden konnten. Deren Plätze gingen an Schleswig-Holstein und Brandenburg.
Die Punktevergabe: Für jedes Kriterium bildete Capital fünf Gruppen, die je ein Fünftel der Gemeinden umfassten, und vergab je nach Gruppe ein bis fünf Punkte (das unterste Fünftel erhielt einen, die Top-Gruppe fünf Punkte). In die Liste der besten Wohnlagen Deutschlands kamen schließlich die Gemeinden mit der höchsten Gesamtpunktzahl im jeweiligen Bundesland.
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