Es gibt wohl kaum eine Aktie europaweit, die Aktionäre so spaltet wie man es sonst nur von Fans und Gegnern von Donald Trump gewohnt ist. Für die einen ist Wirecard eine dubiose Bude, deren Solidität und Glaubwürdigkeit längst verspielt ist. Für Fans jedoch ist das bayrische Unternehmen das unschuldig verfolgte schmuddelige Kind, das es ganz nach oben geschafft hat in den Dax und dem so viele Feinde nur Schlechtes wünschen ohne konkret Vorwürfe belegen zu können.
So war es wenig verwunderlich, dass auf unsere erste Einschätzung am Dienstagmorgen nach Veröffentlichung der Sonderprüfung, nämlich die Wirecard-Aktie bei 130 Euro zu verkaufen und besser in Deckung und short zu gehen, wütende E-Mails die Folge waren. Nachdem die Aktie beispielsweise beim Broker Etoro zur Börseneröffnung schnell Richtung 100 Euro durchgereicht wurde, kamen die Fragen, wie man denn das Potenzial von Wirecard so verkennen und erneut auf die vermeintlichen Ungereimtheiten reinfallen könne. Wir hatten wohlgemerkt Wirecard short empfohlen und die Aktie erst einmal als Trading-Instrument identifiziert, als Anlageobjekt längerfristig schien sie uns erst einmal erledigt.
Dabei muss man klar sagen: Wir haben nichts gegen Wirecard . Aber es ist unser Job, Lesern neutral das Beste zu empfehlen, was man bei dem Finanzdienstleister tun kann. Und nach Studium des Berichts der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG, einigen Telefonaten mit Händlern und Investoren kann man nur zu dem Schluss kommen, dass Wirecard ein Desaster für die Aktienkultur ist. Manche wie die Analysten von Baader sehen das anders und empfehlen die Aktie stumpf mit Ziel 240 Euro zum Kauf. Das tun sie schon seit Jahren, immer wieder.
Wirecard agiert wie ein trotziges Kind
Man kann ungeachtet aller Vorwürfe, die nicht gänzlich ausgeräumt werden konnten und der zahlreichen Punkte, die KPMG in der Sonderprüfung bemängelte aber primär feststellen, dass ein Unternehmen nicht derart schlecht kommunizieren kann. Wirecard agiert wie ein trotziges Kind, dass sich stets auf das Level zurückzieht, dass man eben keine Ungereimtheiten nachweisen könne und wirft seinen Interessensgruppen diese Statements lieblos vor die Füße. Damit ist nicht gesagt, dass bei Wirecard etwas faul sein muss. Aber - wir sind an der Börse. Nicht vor Gericht. Und an der Börse zählt Vertrauen in ein Unternehmen verdammt viel, da genügt nicht im Zweifel für den Angeklagten.
Die Reaktion vom Dienstag sagt, dass viele das Vertrauen verloren haben. Ob das Spiel aus ist für Wirecard und mehr bleibt als nur Tradingchancen? Das hängt von einem ab - Wirecard selbst. Konzernchef Markus Braun und alle Verantwortlichen müssen sich hinterfragen. Im Sinne der privaten Anleger, der Stakeholder, der Aktienkultur, der eigenen Finanzierung mit Eigenkapital. Denn lustig kann Wirecard es nicht finden, wenn man alle paar Monate um 40 bis 50 Euro nach unten gereicht wird. Das ist eines Dax-Konzerns nicht würdig.
50 Prozent der Wirtschaft ist Psychologie, heißt es. Bei Aktien ist es ähnlich und das Überzeugen von potenziellen Investoren ist ein Kunstwerk. Man vergleiche dazu Markus Braun und Elon Musk und denke darüber nach, dass sowohl Tesla als auch Wirecard in tollen Marktumfeldern und Geschäftsbereichen tätig sind. Der eine holt vielleicht zu viel raus, der andere aber leider momentan zu wenig.
Daniel Saurenz betreibt das Börsenportal Feingold Research. Es bietet täglich einen Börsenbrief an, den Sie für 14 Tage kostenfrei testen können. Melden Sie sich unter Info@feingold-research.com an oder probieren Sie den Börsendienst unter diesem Link aus