Capital: Unter den zehn größten Konzernen Ihrer Branche ist Amundi der einzige, der nicht aus den USA kommt. Was trennt Sie von den anderen?
YVES PERRIER: Zunächst einmal haben wir einen industrialisierten Ansatz, bei unserer günstigen IT, aber auch bei Risikomanagement und der Verwaltung. Dazu kommt ein kultureller Unterschied: Wir Europäer teilen gemeinsame Werte und sind langfristig orientiert. Als Vermögensverwalter sind wir daher ein natürlicher Verteidiger unseres Heimatkontinents Europa.
Sollten Sie nicht lieber nach Kriterien entscheiden als nach Sensibilitäten?
Das tun wir auch, aber jemand in Paris oder Berlin hat einen anderen Blick auf Europa als jemand in Austin. Er hat nicht dasselbe Verständnis. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Als die europäische Schuldenkrise 2011 hochkochte, sprachen wir mit einem Investor aus Asien, dem ein US-Konkurrent geraten hatte, nicht mehr in die Eurozone zu investieren. Unsere Analyse hat ihn überzeugt, dass die Krise vorbeigehen und sich eine Investition auszahlen würde. Das Beispiel zeigt doch, warum es so wichtig ist, dass wir in Europa eine starke Fondsbranche haben.
Dazu müssen die Europäer auch mehr Geld an den Börsen anlegen, wie soll das klappen? Viele Europäer und gerade die Deutschen wollen das nicht.
Ja, und das ist ein Problem. Die Ersparnisse von US-Amerikanern liegen zu 30 Prozent in Aktien, in Europa sind es gerade einmal sechs Prozent. Aber: Europa muss Investitionen in Aktien erleichtern, um seine Wirtschaft zu fördern und seine Souveränität und die seiner Unternehmen zu wahren. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür – auch in Deutschland, weil klassische Sparprodukte wegen der anhaltend niedrigen Zinsen keine attraktiven Renditen mehr bieten.
Wie wollen Sie denn künftig in Deutschland wachsen? Die Konkurrenz ist groß, und viele Banken vertreiben in ihren Filialen vor allem die hauseigenen Produkte.
Das stimmt, trotzdem werden über diese Kanäle doch auch Produkte Dritter verkauft. Und wir sind ein Haus, das Kunden alle Arten von Anlagelösungen anbieten kann, sei es aktiv oder passiv. Deshalb planen wir, neue Vertriebspartnerschaften in Deutschland aufzubauen. Wir verwalten bereits 48 Mrd. Euro für deutsche Investoren und wollen in den nächsten drei Jahren 80 Mrd. Euro erreichen.
Sie wollen auch als Anbieter nachhaltiger Geldanlagen wachsen. Aber nach Ihren Kriterien dürfen Amundi-Fonds nur in 140 Unternehmen weltweit, die nach Ihren Regeln zu rückständig sind, nicht investieren. Reicht das angesichts von 40.000 Aktien auf der Welt?
Unsere – mit der Gründung von Amundi eingeführte – Nachhaltigkeitsmethodik basiert auf einem Best-in-Class-Ansatz, den wir bis 2021 auf alle Fonds aus-weiten wollen. Wir bewerten da, wie nachhaltig ein Konzern ist, und je nach Rating gewichten wir ein Unternehmen über oder unter – oder schließen es gleich ganz aus. So ermutigen wir -Manager und ihre Konzerne, sich hier zu verbessern.
Trotzdem bleibt die Frage: Entstehen so wirklich bessere Unternehmen, kann eine Tabakfirma je ein Gesundheitskonzern werden?
Wie bereits erwähnt: Unser Ansatz soll nicht stigmatisieren. Zwar haben Tabakkonzerne die schlechtesten Nachhaltigkeitsrankings, wenn wir sie nach unserer Methode bewerten. So könnte ein Ausschluss wünschenswert sein. Aber ich tue mich schwer damit, für meine Investoren zu entscheiden, gewisse Branchen grundsätzlich auszuschließen, sei es Tabak oder Glücksspiel. Das ist eher eine politische Entscheidung, die jeder Investor individuell oder die Politik für alle entscheiden müsste. Wir als Finanzindustrie begleiten den Wandel zu mehr Nachhaltigkeit gern, wenn die Politik das wünscht. Aber wir können ihre Entscheidungen nicht ersetzen. Die Politik muss die Richtung vorgeben.