Obwohl am Aktienmarkt ein konjunkturbedingter Einbruch droht, verlieren Staatsanleihen massiv an Wert, während deren Zinsen steigen. Was ist da los?
STEFAN RISSE: Die aktuelle Situation ist völlig anders als in den 40 Jahren zuvor. Vor allem seit dem Jahr 2000 stiegen bei Schwächen am Aktienmarkt die Kurse von Staatsanleihen und deren Zinsen fielen. Dahinter steckte die Spekulation, dass die Notenbanken in einer Rezession, die ja oft Grund für Schwächen am Aktienmarkt ist, die Leitzinsen senken würden – der Anleihemarkt nahm das dann vorweg. Nun senkt die US-Notenbank zum ersten Mal seit 40 Jahren trotz der Wirtschaftsschwäche nicht die Zinsen, sondern konzentriert sich auf die Inflationsbekämpfung. Das geht, weil der Arbeitsmarkt bisher keine besorgniserregende Schwäche zeigt. Aus diesem Grund erwartet der Markt, dass sich die Notenbanken noch länger auf die Inflationsbekämpfung konzentrieren und die Leitzinsen noch länger hoch bleiben, als vor ein paar Wochen erwartet wurde. In der Folge steigen die langfristigen Zinsen.
Welche Ursachen spielen bei der ungewöhnlichen Entwicklung noch eine Rolle?
Der amerikanische Staat leiht sich für seine Infrastrukturprogramme und den Inflation Reduction Act sehr viel Geld und gibt dafür mehr Anleihen aus. Wenn das Angebot an Anleihen steigt, sind Anleger eben nur für höhere Zinsen bereit, dem amerikanischen Staat Geld zu leihen. Hinzu kommt, dass die Notenbanken in den vergangenen Jahren selbst massiv Anleihen kauften und diese lockere Geldpolitik nun beendet haben. Das Angebot übersteigt also insgesamt die Nachfrage. Bei US-Anleihen spielt dabei auch eine Rolle, dass China, um die eigene Währung zu stützen, Dollarreserven abbaut und deshalb US-Staatsanleihen verkauft.
Nicht nur die Kurse von US-Anleihen fallen, wie sieht es bei anderen Staatsanleihen aus?
Das Gleiche gilt aktuell für Italien. Da der Markt Italien nicht als allersichersten Schuldner ansieht, muss das Land auf zehnjährige Anleihen 5 Prozent Zinsen bieten – vor ein paar Jahren waren es noch 1,5 Prozent.
Wie steht es um Bundesanleihen?
Unsere Staatsverschuldung ist zwar nicht so extrem hoch, aber natürlich spielt der Trend bei Bundesanleihen ebenfalls eine Rolle. Auch die Europäische Zentralbank könnte die Zinsen noch einmal anheben. Und wenn ich aktuell kurzfristig für Festgeld wieder drei Prozent Zinsen bekomme, wieso sollte ich dann eine zehnjährige Bundesanleihe kaufen, wenn die auch nur drei Prozent bringt? Dass die kurzfristigen Zinsen momentan nicht wie üblich niedriger sind als die langfristigen, trägt also ebenfalls zur Kursentwicklung von Staatsanleihen bei.
Seit wann verlieren Staatsanleihen an Wert, und welche Zinsen sind aktuell erreicht?
Seit Anfang 2022, den letzten Sprung gab es nach der US-Notenbanksitzung vor zwei Wochen, als Fed-Chef Jerome Powell ankündigte, dass die Zinsen noch länger hoch bleiben, um die Inflation zu bekämpfen. Weiter Öl ins Feuer gossen am Dienstag US-Arbeitsmarktdaten, laut denen mehr neue Stellen ausgeschrieben sind als erwartet. Das brachte den Anleihemarkt nach unten und ließ die Zinsen nach oben schießen: Bei US-Anleihen ging es auf 4,8 Prozent, also Richtung 5 Prozent. Als Reaktion verloren Aktien stark. Bundesanleihen bringen aktuell ungefähr 3 Prozent.
Was raten Sie Anlegern in dieser Gemengelage?
Ich würde eher eine fünfjährige US-Anleihe wählen. Die bringt ja genauso hohe Zinsen wie eine zehnjährige, und wenn ich für die nächsten fünf Jahre sicher fünf Prozent Zinsen bekomme, werde ich wahrscheinlich einen positiven Ertrag haben. Denn ich erwarte nicht, dass die Inflation in den nächsten Jahren im Schnitt bei fünf Prozent liegt, sondern eher bei drei, vier Prozent. Insofern ist das nicht das schlechteste Geschäft. Auch Anleihen von soliden Unternehmen sind sicher nicht schlecht, bei Unternehmen mit einem Rating von mindestens BBB – bzw. BAA bei Moody’s – gibt es teilweise sieben Prozent Zinsen. Zehnjährige Bundesanleihen zu drei Prozent finde ich dagegen wegen der Inflation ziemlich unattraktiv.
Sollte ich mein Geld nicht lieber in Aktien stecken?
An den Aktienmärkten ist noch ein bisschen Sturm zu erwarten. Jetzt, wo es für Festgeld oder auf dem Sparbuch ordentliche Zinsen von drei Prozent gibt, ist es nicht schlecht, sein Geld dort kurzfristig zu parken, bis die Aktienmärkte noch stärker runtergekommen sind. Dann sollte man langfristig aber unbedingt wieder in Aktien investieren, die sich ja in der Krise als guter Inflationsschutz erwiesen haben – im Gegensatz zu Immobilien oder Gold.
Wie wird es am Anleihemarkt weitergehen, wie lautet Ihre Prognose?
Ich glaube nicht, dass die Zinsen in Amerika weit über fünf Prozent steigen. Vielleicht halten sie sich erstmal auf diesem Niveau, aber ich rechne eben doch mit wirtschaftlicher Schwäche im kommenden Jahr und einer Rezession auch in den USA. Dann wird wahrscheinlich auch die Arbeitslosigkeit wieder steigen. Wenn dann Leitzinssenkungen wieder realistischer werden, wird der Anleihemarkt das wieder wie in den vergangenen Jahrzehnten vorwegnehmen, die langfristigen Zinsen werden dann beginnen zu fallen. Und wenn die Konjunktur richtig schwächelt, werden die Notenbanken ganz schnell aufhören, Anleihen zu verkaufen, im Zweifel sogar wieder kaufen. Die Welt – nicht nur Staaten, auch private Haushalte und Unternehmen – hat in den vergangenen 20, 30 Jahren eine enorme Verschuldung aufgebaut. Diese Schulden sind nur mit einem Zinsniveau finanzierbar, das nicht noch höher ist als das aktuelle. Sonst kann es zu einem Schock und einer riesigen Pleitewelle kommen. In Deutschland geht schon jetzt jeden Tag ein Immobilien-Projektentwickler pleite, am Bau läuft nichts mehr. Jetzt wird noch fertig gebaut – und dann läuft gar nichts mehr. Allein das wird die Konjunktur schwächen.
Dieser Artikel ist zuerst bei n-tv.de erschienen.