Unruhe an den Kapitalmärkten: Der kräftige Anstieg der Renditen langlaufender Staatsanleihen verunsichert Investoren und sorgt für alarmistische Schlagzeilen. Nur ein Crash am Aktienmarkt könne den Anleihemarkt noch retten, zitiert etwa die Nachrichtenagentur Bloomberg die britische Bank Barclays. Anderswo wird über eine drohende Banken- und US-Staatsschuldenkrise wegen des Renditeanstiegs spekuliert. Kein Wunder also, dass Bankaktien zuletzt nicht mehr so gut liefen.
Damit zeigt sich die Zweischneidigkeit der gestiegenen Renditen für Staatsanleihen mit Top-Bonität aus Ländern wie den USA und Deutschland. Denn für Anlegerinnen und Anleger bedeuten gestiegene Renditen, dass sie auf mittlere Sicht mit langlaufenden und bonitätsstarken Staatsanleihen wieder auskömmliche reale Renditen erzielen können.
Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen ist dieser Tage erstmals seit dem Jahr 2011 wieder über drei Prozent gestiegen. Fällt die Inflation – wie von der EZB angestrebt und von den Märkten erwartet – in den kommenden ein bis zwei Jahren wieder auf zwei Prozent, würde eine Anlage in die Ankeranleihe der Eurozone tatsächlich wieder reale Renditen abwerfen.
Ähnlich ist die Entwicklung in den USA, wo die die zehnjährige Rendite auf 4,75 Prozent geklettert ist. Als Hauptgrund für den Anstieg gilt, dass die US-Zinsen wohl länger auf einem hohen Niveau bleiben werden als bislang erwartet. Offenbar haben also Investoren die „Higher for longer“-Ankündigungen der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) lange nicht ernst genommen. „Eine Rezession ist gefühlt weit entfernt und aus unserer Sicht in den kommenden zwölf Monaten tatsächlich nicht sonderlich wahrscheinlich“, sagt Felix Herrmann, Chefvolkswirt von Aramea Asset Management. „Der Liquiditätsentzug seitens der US-Notenbank Fed wird jedoch auch in den USA wohl bald seine Wirkung entfalten und die Wirtschaft abkühlen.“
Notenbanken stoßen Bonds ab
Der Anstieg der Renditen geht auch darauf zurück, dass die USA weiterhin in großem Stil Schulden aufnehmen, während die Fed keine Bonds mehr aufkauft, sondern die Bestände inzwischen ähnlich wie die EZB abbaut. Damit fehlt ein Käufer für die Papiere, sodass Staaten mit höheren Renditen Investoren anlocken müssen.
Die am 15. August 2033 auslaufende zehnjährige Bundesanleihe rentiert auf ihre Endfälligkeit gerechnet momentan mit 2,94 Prozent, wobei hier auch der zu erwartende Anstieg des Kurses auf den Nominalwert eingerechnet ist. Bemerkenswert ist der Kupon der Anleihe: Er beträgt 2,6 Prozent und wird einmal im Jahr vom Bund ausgeschüttet. Deutlicher lässt sich das Ende der Nullzinsphase kaum erkennen.
Neben den fehlenden Notenbank-Käufen wird angesichts des Renditeanstiegs über großformatige Verkäufe von US-Staatsanleihen durch China spekuliert. Im August hatten bereits verschiedene Berichte die Runde gemacht, wonach China seinen Bestand an US-Staatsanleihen auf ein 14-Jahres-Tief gesenkt hat. Die Volksrepublik hat über Jahre ihre Exportüberschüsse in US-Staatsanleihen und damit Dollar-Reserven geparkt. Weil damit zugleich die US-Haushaltsdefizite finanziert wurden, hatte sich für die gegenseitige Abhängigkeit der beiden weltgrößten Volkswirtschaften der Begriff „Chimerika“ gebildet.
Anleihemarkt ist undurchsichtig
Spekulationen über chinesische Bondsverkäufe kommen in Phasen fallender Anleihekurse immer auf und sie erscheinen möglich, sind aber auch schwer zu beziffern. Der Anleihemarkt ist weniger transparent als der Aktienmarkt und zahlreiche Angebots- und Nachfragefaktoren wirken gleichzeitig auf ihn ein. So ist nicht einmal klar, ob eine Renditebewegung wirklich auf starke Käufe oder Verkäufe zurückgeht oder ob einige wenige Trades in einem illiquiden Markt bereits die Kurse bewegen.
Selbst die politischen Auslöser von Renditebewegungen sind oft nicht klar zu greifen: Der jüngste Anstieg der Renditen bei US-Bonds ging jedenfalls einher mit dem politischen Chaos im US-Parlament. Das könnte auf Verkäufe hindeuten. Doch auch wenn es in Washington D.C. sprichwörtlich über Tische und Bänke geht, bislang schätzen Investoren die Sicherheit von Treasuries noch immer über alles andere. Denkbar wäre aber, dass Investoren sich lieber Bundesanleihen kaufen.
Klar ist: Im Vergleich zum US-Kongress ist die deutsche „Ampel“ ein Hort der Stabilität und Deutschland genießt – anders als die USA – bei allen drei großen Ratingagenturen eine Top-Bonitätseinschätung von „AAA“. Andererseits gehen Dollar-orientierte Anleger mit deutschen Staatsanleihen ein Währungsrisiko ein.
Der Anstieg der US-Renditen hat alle Akteure in Alarmstimmung versetzt. Erfahrungsgemäß ist dies die beste Absicherung gegen einen Crash, weil alle sich auf drohende Probleme einstellen und positionieren können. Für einen Crash braucht es in der Regel einen externen Schock von außen so wie die Pleite von Lehman Brothers 2008 oder die US-Bankenkrise in diesem Frühjahr.
Das gilt übrigens wohl auch für den von Barclays erwünschte Aktiencrash. Er würde vermutlich eine Flucht in Anleihen auslösen und damit deren Renditen deutlich sinken lassen.