Christian Kirchner ist Frankfurt-Korrespondent von Capital. Er schreibt an dieser Stelle regelmäßig über Geldanlagethemen
Warum steigt in Deutschland die Angst vor Altersarmut und sinkt zugleich trotz bekannter demografischer Probleme die Bereitschaft, etwas für die Altersvorsorge zu tun? Auf diese Frage gibt es eine scheinbar naheliegende Antwort: Weil immer mehr Menschen keinen Sinn darin sehen zu sparen, wenn die Zinsen ohnehin im Keller sind. Aus diesem Zusammenhang konstruiert besonders das Lager der Sparkassenvertreter (aber längst nicht nur die) schon seit Monaten öffentlich die Forderung an die Europäische Zentralbank, über höhere Zinsen Menschen für das Sparen wieder zu belohnen und Anreize zu schaffen.
Das ist zwar verständlich, schließlich können Banken den Kunden anlässlich des heutigen Weltspartags zwar eine Menge bunter Bildchen, Knax-Hefte und Plastiksparschweine, aber kaum noch attraktive Zinsen bieten. Wie so oft in Sachen Vorsorge und Geldanlage sind die Dinge aber weder so einfach noch so naheliegend, wie sie scheinen. Konkret: Es gibt eine Reihe von Determinanten für das Sparverhalten von Privathaushalten – die Höhe der Zinsen ist nur eine davon.
Betrachten wir dazu zunächst die Höhe der Sparquote im langfristigen Verlauf in Deutschland: Noch in den siebziger Jahren haben deutsche Haushalte zwischen 12 und 15 Prozent ihres verfügbaren Einkommens gespart, obwohl die Realverzinsung der Deutschen liebsten Sparform – dem Sparbuch – über weite Strecken negativ war (was im Übrigen die Dramatisierung der aktuellen Lage etwas relativiert, denn negative Realzinsen sind kein seltenes Phänomen).
Die Banken und der Niedrigzins
In den neunziger Jahren wiederum sank die Sparquote langsam, aber konstant von rund 14 auf neun Prozent zur Jahrtausendwende, obwohl die reale Verzinsung über die Dekade hinweg stieg. Heute liegt sie wieder bei gut neun Prozent – also weit unter dem in den in den Siebzigern und Neunzigern festgestellten Niveau – obwohl die Realzinsen seinerzeit keinen Anreiz zum Sparen boten und niedriger als heute waren. Wie passt das zusammen?
Wann Menschen sparen und wann nicht, war in den vergangenen Jahren Gegenstand vieler wissenschaftlicher Studien. Die wesentlichen Ergebnisse: Ob die Zinsen überhaupt eine Rolle spielen für die Sparquote, ist keineswegs sicher. Wenn überhaupt, sind sie eine von vielen Determinanten wie dem Haushaltseinkommen, der demographischen Entwicklung, der Inflation, dem Wirtschaftswachstum und anderen, die wiederum von Land zu Land unterschiedlich wichtig sind.
Die Analyse ist vor allem deshalb strittig, weil sich viele dieser Variablen wechselseitig beeinflussen. In jedem Fall ist es eine unzulässige Vereinfachung zu argumentieren, dass Deutsche weniger sparen und vorsorgen, weil ihnen die Anreize in Form von attraktiven Zinsen fehlen. Allerdings ist das durchaus bequem: Finanzdienstleister haben so einen Grund für fehlende Vertriebserfolge, und Banken einen Grund gegen den Niedrigzins zu wettern (der ihnen die Zinsmarge ruiniert). Und wer Totalverweigerer in Sachen Geldanlage ist, muss nun kein ganz so schlechtes Gewissen haben.
Niedrigzinsen und die Entwicklung der Immobilienpreise
Das Ganze funktioniert amüsanterweise auch umgekehrt: Wir vermuten intuitiv, dass die Niedrigzinsen eine sehr wichtige Rolle in der Entwicklung der Immobilienpreise in Deutschland spielen. Tatsächlich sind andere Variablen – das Haushaltseinkommen, die Erwartungen an das Haushaltseinkommen und die Produktivitätsentwicklung – weit wichtigere Determinanten für die Immobilienpreisentwicklung als die Zinsen. Im vergangenen Jahr hat selbst die in dieser Hinsicht unverdächtige Bundesbank errechnet, dass die deutschen Immobilienpreise vermutlich auch bei ganz anderen Zinsverläufen in den vergangenen fünf Jahren deutlich angezogen hätten, weil die Zeit aufgrund der Wirtschafts- und Einkommensentwicklung reif dafür war.
Beide Erkenntnisse der allenfalls schwachen Zusammenhänge zwischen Zinsen, Sparverhalten und Immobilienpreise können bei näherer Überlegung kaum überraschen. Ob wir einen teuren Urlaub buchen, ein Smartphone kaufen oder auswärts essen gehen, statt das Geld lieber zu sparen oder anzulegen, diese Entscheidung hängt nicht hauptsächlich von der Frage ab, ob es auf dem Sparbuch oder für Anleihen nichts oder drei Prozent pro Jahr gibt. Und wir kaufen oder bauen auch keine Immobilie, nur weil Baugeld zwei statt wie früher fünf und mehr Prozent Zinsen pro Jahr kostet.
Dennoch ist die Debatte über das Sparverhalten der Deutschen wichtig. Auch Capital führt sie immer wieder, denn es ist weniger die Höhe, sondern die Art und Rentabilität des Sparens und die Vermögensverteilung, die vielen Deutschen Probleme macht auf lange Sicht.
Und wie bedeutsam der Zusammenhang gerade zwischen Einkommen und Sparen ist, zeigt ein Blick hinter die aggregierte Sparquote einer ganzen Volkswirtschaft. Denn getrieben wird die Sparquote vor allem vom oberen Einkommenszehntel. Hier beträgt sie 17 Prozent, während sie im unteren Einkommenszehntel nicht einmal zwei Prozent beträgt und dazwischen eine Treppe bildet, in der die Sparquote Stufe für Stufe immer geringer wird, je niedriger das Einkommen ist. Das ist sozial umso bedauerlicher, als dass Sparen und Vorsorge gerade da nicht betrieben wird (oder betrieben werden kann), wo es am nötigsten wäre und umgekehrt und die Sparquote in der unteren Einkommenshälfte überproportional stark gefallen ist in den letzten 20 Jahren. Sich damit zu beschäftigen wäre ein weit dringlicheres Problem als die Debatte, ob die Zinsen für Sparer zu niedrig sind oder nicht.