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Versicherungsdeutsch „Wenn Sie keinen Abschluss in Jura haben, ist das schwierig zu kapieren“

Versicherungsmakler und Buchautor Bastian Kunkel
Versicherungsmakler und Buchautor Bastian Kunkel
© Robert Haas
Versicherungen müssen einfacher und verständlicher werden, sagt Versicherungsmakler Bastian Kunkel. Sonst schließen die Deutschen weiterhin Versicherungen ab, die sie gar nicht brauchen. Auf Youtube, Tiktok und Instagram übersetzt er deshalb das Fachchinesisch in einfaches Deutsch

Deutsch - Versicherung, Versicherung - Deutsch: Mal ehrlich, genau so ein Wörterbuch bräuchte es, um sich durch den AGB-Dschungel von Versicherungsverträgen zu wühlen. Wer kein Jura studiert habe, verstehe meist nur Bahnhof, sagt selbst Bastian Kunkel. Der 35-Jährige ist vom Fach und übersetzt als Versicherungsmakler das Fachchinesisch in einfache Sprache. Seinen Kanälen „Versicherungen mit Kopf“ auf Youtube, Instagram und Tiktok folgen inzwischen mehr als eine halbe Million Menschen. Kürzlich hat er auch ein Buch geschrieben.

Capital: Herr Kunkel, warum ist das Thema Versicherungen bei vielen so verhasst?

BASTIAN KUNKEL: Zum einen hat sich die Versicherungsbranche diesen schlechten Ruf in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten selbst erarbeitet. Gewisse Marktteilnehmer haben Leute über den Tisch gezogen und damit viel Geld verdient. Die Presse hat das breitgeschlagen. Denken Sie an die Incentive-Reisen einiger Versicherer oder den Skandal um den Versicherungsunternehmer Mehmet Göker.

Bastian Kunkel, 35, ist ausgebildeter Kaufmann für Versicherungen und Finanzen und hat Betriebswirtschaft und Recht in Aschaffenburg studiert. Auf seinen Social-Media-Kanälen übersetzt der Versicherungsmakler die komplizierte Versicherungssprache in einfaches Deutsch. Kürzlich ist sein Buch dazu erschienen: „Total ver(un)sichert: Was du mit 18 über Versicherungen wissen solltest, aber mit 30 immer noch nicht weißt“.

Sie meinen z.B. die Ergo-Tochter Hamburg Mannheimer, die ihren Mitarbeitern auf einer Reise Prostituierte bezahlte. Göker wiederum manövrierte seine Firma in die Pleite und stand wegen diverser Vorwürfe vor Gericht.

Alles Themen, durch die die Versicherungsbranche sehr viel an Image eingebüßt hat. Und die Medien haben gesehen, dass sich negative Versicherungsschlagzeilen verkaufen. In der Bild-Zeitung werden Sie niemals lesen, dass Frau Müller weiterhin finanziell existieren kann, weil sie eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen hatte und die Versicherung auch gezahlt hat. Obwohl das die Regel ist. Stattdessen erfährt man immer nur von Fällen, in denen die Versicherung die Zahlung verweigert. Es entsteht ein verzerrtes Bild und die Leute denken: ,Ja klar, am Ende des Tages werden die eh nicht zahlen, warum soll ich dann was abschließen.’ Die Gefahr ist, dass man aufgrund einer bestimmten Meinung Entscheidungen für oder gegen Versicherungen trifft. Oft sagen Eltern ihren Kindern ,Mach das bloß nicht, das sind alles Gauner, Halsabschneider, Provisionsgeier’. Und die Kinder übernehmen diese Meinung dann.

Die Sprache ist aber wahrscheinlich auch nicht sehr hilfreich, oder? Versicherungsdeutsch ist einfach sehr kompliziert.

Absolut. Das kommt noch dazu. Für das Vertrauen spielt Sprache eine entscheidende Rolle. Wenn man einen Versicherungsvertrag vor sich hat aber nur Bahnhof versteht, fördert das kein Vertrauen. Wenn ich nicht kapiere, was da drin steht, bin ich mir auch im Leistungsfall unsicher. Dabei müsste das Gegenteil der Fall sein, statt verunsichert sollte man sich sicher fühlen. In der Regel hat man 50 oder mehr Seiten Versicherungs-AGB vor sich. Wenn Sie keinen Abschluss in Jura haben, wird's schwierig, das alles zu kapieren. Versicherungsbedingungen und Versicherungstexte müssen viel einfacher und verständlicher werden, sodass Menschen dieses Vertrauen wieder aufbauen können.

Trotzdem arbeiten Sie ja nach wie vor als Versicherungsmakler. Warum wollten Sie das werden?

Ich wollte nie Versicherungsmakler werden. Ich glaube, es passiert sehr selten, dass jemand morgens aufwacht und sagt ,Das ist es jetzt! Ich will Versicherungen vermitteln.’ Bei mir war es eher Zufall, dass ich nach meinem Fachabitur meine Ausbildung als Kaufmann für Versicherungen und Finanzen gemacht habe. Es klang nach einer soliden Ausbildung. Danach habe ich Betriebswirtschaft und Recht studiert. Erst dann habe ich mir mein Geschäft als Versicherungsmakler aufgebaut. Die Herausforderung war schon damals, den Menschen dieses häufig verhasste Thema näherzubringen. Diese Herausforderung treibt mich bis heute an.

Inzwischen gehen Sie nicht mehr Klinkenputzen, um Versicherungen an die Leute zu bringen. Wie ist Ihre Strategie heute?

Die klassische Arbeitsweise, das typische Klinkenputzen, die Kaltakquise – das hat einfach keinen Spaß gemacht. Meine Überlegung war im Frühjahr 2016 deshalb: Wie können diese Menschen mich finden? Youtube schien mir dafür die geeignete Plattform. Seither übersetze ich quasi die komplizierten Versicherungsbedingungen in verständliches Deutsch und versuche dadurch, die Angst vor Versicherungen zu nehmen.

Welchen Vorteil bieten Ihnen dabei Youtube, Tiktok und Instagram?

Ich erfülle dort nicht die negative Erwartungshaltung der Menschen. Die Leute erwarten einen Typen im Anzug, der sie mit irgendwelchen Versicherungen zuredet, die sie nicht haben wollen. Ich erkläre einfach erstmal nur. So verstehen die Leute, welche Versicherung sie möglicherweise brauchen. Es geht um Aufklärung, natürlich aber auch um Marketing für unsere Dienstleistung. Wer will, kann seine oder ihre Berufsunfähigkeitversicherung, private Krankenversicherung oder auch Altersvorsorge über uns abschließen oder bestehende Verträge prüfen lassen. Das läuft dann alles digital, von der Online-Beratung bis hin zum Vertrag, der mit digitaler Unterschrift geschlossen wird. Ich erreiche so vor allem junge Menschen, obwohl die sich angeblich nicht für Finanzen oder Versicherungen interessieren sollen. Das stimmt nicht. Einer der häufigsten Kommentare unter meinen Videos bei TikTok lautet: ,Warum habe ich das nicht in der Schule gelernt?’

Wie viele Leute schließen danach tatsächlich eine Versicherung bei Ihnen ab?

Das ist nur schwer messbar. Wir fragen das aber vor der Beratung ab. So haben wir erfahren, dass die meisten Leute über Youtube kommen, dann Instagram und Tiktok. Youtube ist eine Suchmaschine. Menschen, die nach Infos zu Versicherungen suchen, landen dadurch oft automatisch bei meinem Youtube-Kanal. In vielen Fällen klicken sie dann auf den Link zu unserer Beratung und machen einen Termin bei einem meiner Berater aus.

Warum haben Sie überhaupt noch ein klassisches Buch geschrieben?

Das mit dem Buch schreiben war schon immer ein Wunsch. Als Jugendlicher war ich eine absolute Leseratte und ein Spätzünder. Meine Welt waren Bücher. Ich wusste nur nie, über welches Thema ich schreiben sollte. In den vergangenen Jahren wurde mir das immer klarer. Ich wollte aber auch keinen Versicherungs-Ratgeber schreiben, das mag doch keiner lesen. Das dient vielleicht als Einschlafhilfe, ist aber nichts, was viele Menschen gerne kaufen würden. Vergangenes Jahr haben mich immer mehr Follower und Freunde gefragt, welches Buch über Versicherungen ich empfehlen würde. Mir fiel keines ein, außer der trockenen Fachliteratur aus meinem Studium. Das war die Initialzündung, jetzt einfach selbst ein Buch zu schreiben. Meine größte Motivation war dabei der Gedanke, dass ein Buch etwas anderes ist als ein Youtube- oder Tiktok-Video. Es ist etwas Bleibendes, das man auch in die Hand nehmen oder verschenken kann.

Welche Versicherungen brauchen denn jetzt 18- oder 30-Jährige wirklich?

Versicherungen sind ein sehr individuelles Thema. Pauschale Empfehlungen funktionieren in der Regel selten. Die Krankenversicherung ist für alle ein Muss, genauso wie die private Haftpflichtversicherung. Die schützt dich, wenn du durch ein Missgeschick einem anderen Schaden zufügst. Sach- und vor allem Personenschäden können schnell richtig teuer werden. Wer auf sein aktives Arbeitseinkommen angewiesen ist, sollte eine Berufsunfähigkeitsversicherung in Betracht ziehen. Wenn man man seinen letzten Beruf nicht mehr ausüben kann, erhält man über sie eine monatliche Rente, um den bis dahin erarbeiteten Lebensstandard zu halten. Wer sie schon mit 18 abschließt, zahlt deutlich weniger und wird in der Regel auch angenommen. Das ist die größte Schwierigkeit bei dieser Versicherung. Wer sie erst mit 30 abschließen will, vielleicht aber schon krank war, den nehmen viele Versicherungen nicht mehr an. Für Familien kann eine Risikolebensversicherung sinnvoll sein, die im Todesfall eine bestimmte Summe auszahlt. Kostengünstige fondsgebundene private Rentenversicherungen sollte man sich auch anschauen. Klassische Rentenversicherungen, die nur Garantiezinsen abwerfen, machen heutzutage keinen Sinn mehr.

Sind die Deutschen überversichert?

Die Deutschen haben Versicherungen, die sie eigentlich nicht brauchen, und davon haben sie sehr viele. Gleichzeitig fehlen ihnen die wichtigsten Basis-Versicherungen. Sehr viele haben eine Vollkaskoversicherung fürs Auto, aber keine Vollkaskoversicherung für ihre eigene Arbeitskraft. Sehr viele haben eine Handyversicherung, aber noch nichts für die eigene Altersvorsorge getan. Das Bewusstsein dafür, welche Versicherung man wirklich braucht, ist noch ausbaufähig.

Abgesehen von der falschen Wahl einer Versicherung - was sind die größten Fehler beim Abschluss?

Dass es erst gar nicht dazu kommt, weil Sie den Versicherungsabschluss immer weiter vor sich herschieben. Wer sich bei Berufsunfähigkeits- oder privater Krankenversicherung unsicher ist, sollte einen Experten oder eine Expertin zurate ziehen. Er oder sie haftet übrigens auch für seine bzw. ihre Aussagen. Ich mache meine Steuererklärung ja auch nicht selbst, sondern gehe zum Steuerberater. Und wenn ich krank bin, gehe ich zum Arzt und google mir meine Diagnose nicht zusammen. Es ist leider teilweise einfach nicht möglich, einen Versicherungsvertrag komplett selbst zu verstehen.

Was war die skurrilste Versicherung, die Sie je für einen Kunden oder eine Kunden abgeschlossen haben?

Der Alltag vieler Versicherungsmakler ist leider nicht so spektakulär. Es gibt Versicherungen, mit denen man seine Pobacken versichern oder sich gegen eine Alienentführung absichern kann. Einen Tennisprofi habe ich mal gegen Sportunfähigkeit versichert.

Welche Versicherung wollen die meisten Ihrer Kundinnen und Kunden haben?

Bei uns geht es am häufigsten um die Berufsunfähigkeitsversicherung aber auch um die Altersvorsorge und private Krankenversicherung. Das sind die komplexesten Versicherungen. Ein Abschluss dauert bei uns in der Regel mehrere Wochen, weil man den Gesundheitsstatus überprüfen und bei der Krankenkasse vielleicht Unterlagen anfordern muss. Die Gesundheitsfragen sind die größte Angriffsfläche. Wenn die nicht gescheit beantwortet wurden, kann der Versicherer später sagen, dass er aufgrund einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung nicht zahlt. Oft entscheidet sich also schon beim Abschluss der Versicherung, ob der Versicherer später mal leisten wird oder nicht.

Gerade wegen der Gesundheitsfragen kommen viele nicht in die private Kranken- oder Berufsunfähigkeitsversicherung. Aber jeder hat doch irgendetwas, und künftig dürfte auch Long Covid eine Rolle spielen. Werden sich die Versicherer dieses Aussieben in Zukunft noch leisten können?

Die Frage ist meist, ob die Beschwerden bereits irgendwo dokumentiert wurden. Ob es schon Diskriminierung ist, wenn man wegen bestimmter Erkrankungen abgelehnt wird, möchte ich nicht beurteilen. Versicherer sind private Unternehmen, die ihre Annahmerichtlinien in der Regel selbst festlegen können. Mein Wunsch wäre aber, dass gerade Themen wie Berufsunfähigkeit oder Krankheitskosten neu gedacht werden. Die Versicherer müssen vorher ansetzen und nicht erst dann, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Aus rein wirtschaftlicher Sicht wäre das wahrscheinlich auch günstiger. Das Geld, das sie in vielen Fällen für Leistungen zahlen, könnten sie auch für die Prävention einsetzen. Die Menschen bekämen dann ein ganz anderes Image von Versicherungen. Angebote für Psychotherapie oder spezielle Rückentrainings können spätere Burn-Outs oder Rückenerkrankungen vorbeugen. Ich mag das Bild von einem Versicherer, der sich schon um seine Versicherten kümmert, bevor etwas schief gegangen ist und dadurch womöglich Schlimmeres verhindert.

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