Anzeige

Geldanlage Warum die Ruhe an den Aktienmärkten täuscht

Entspannte Mienen: An den Aktienmärkten wie hier in New York ist von Nervosität nichts zu spüren - Foto: dpa
Entspannte Mienen: An den Aktienmärkten wie hier in New York ist von Nervosität nichts zu spüren - Foto: dpa
© dpa
Zurzeit lassen sich die Börsen kaum wirklich aus der Ruhe bringen. Ein richtig gutes Zeichen ist das aber nicht, auch wenn viele Anleger das glauben. Nadine Oberhuber über die trügerische Ruhe an den Aktienmärkten

Bald ist der letzte große Börsenknick Geschichte. Zehnjahresgeschichte, um genau zu sein. Denn vor ziemlich genau zehn Jahren stürzte die amerikanische Bank Lehman Brothers urplötzlich in die Insolvenz. Und obwohl es bereits üppige Kursstürze seit November 2007 gegeben hatte, löste der Untergang von Lehman noch einmal ein sehr heftiges Börsenbeben aus. Eines der größten, das die Welt bis dahin gesehen hatte. Die Folgen davon sind bekannt: Die weltweite Finanzkrise brach aus und in der Folge stürzten viele Staaten in eine Rezession. Die Zinsen sanken auf Nimmerwiedersehen und Europas Staaten wurden von der Schuldenkrise heimgesucht. Man fragt sich zehn Jahre danach: Was haben wir aus all dem gelernt? Und was heißt dieser Jahrestag aus Anlegersicht? Eine Antwort darauf ist: Es wird den Kursknick bald nicht mehr geben.

Denn, so deutlich muss man es ausdrücken, die wenigsten Anleger und Analysten denken weiter als zehn Jahre zurück. Das sieht man auch an den Charts und Statistiken, die sie für ihre Berechnungen heranziehen. Das Äußerste, was viele abbilden ist oft ein Zehnjahreszeitraum. Meistens sind es sogar nur Zeitspannen von drei oder fünf Jahren, in denen sie Kurse betrachten, Renditen berechnen oder Volatilitäten messen. Und mit jedem Tag im September und Oktober, der vergeht, verschwindet ein verheerender Börsentag mehr aus dem kollektiven Anlegergedächtnis. Ist das so schlimm? Man könnte schließlich argumentieren: An das Ereignis und den folgenden Crash könnten sich viele ja nur zu gut erinnern. Das werde nicht ausgelöscht, nur weil es in vielen Kurscharts bald nicht mehr sichtbar ist. Das stimmt zwar, doch der abgelaufene Zehnjahreszeitraum führt auch dazu, dass viele Durchschnittsberechnungen in Zukunft harmloser ausfallen – wodurch so manches Fehlsignal ausgesendet wird.

Ein Beispiel dafür ist die wichtige Kennzahl der Volatilität. Wenn Aktienkurse stark schwanken, dann verheißt das an den Börsen meist nichts Gutes. Denn üblicherweise fallen die Schwankungen in guten Börsenphasen mit steigenden Kursen kleiner aus, während sie in Zeiten fallender Kurse umso größer sind. Große Volatilitätsausschläge zeigen also Krisenphasen an. Nicht umsonst heißen die zugehörigen Volatilitätsindizes ja auch die „Angstbarometer“ der Börsen.

Die schwarzen Tage verschwinden

Schaut man sich die heftigsten Tagesausschläge an den Finanzmärkten innerhalb der vergangenen zehn Jahre an, dann fallen die fünf größten Negativausschläge auf das Jahr 2008. Der 21. Januar markierte mit minus 7,4 Prozent den schwärzesten Tag (und ist bereits aus dem Zehnjahresbetrachtungszeitraum gekippt), gefolgt von drei Tagen im Oktober und November, die jeweils über minus sieben Prozent lagen. Fünftschlimmster Tag war der 15. Oktober mit minus 6,7 Prozent Tagesverlust. Gehen all diese schwarzen Tage nun bald nicht mehr in die Durchschnittsberechnungen ein, so glättet sich die Schwankungskurve der Börsen erheblich.

Wie stark, das zeigt der Blick auf den deutschen Volatilitätsindex VDax: Anfang Oktober 2008 schoss der Index wegen der abrupten Kursstürze auf 78 Punkte hinauf. Nimmt man den verheerenden Oktober/November jedoch aus der Rechnung hinaus, so verläuft seine Kurve deutlich flacher und moderater. Dann bleibt der Herbst 2011 die ausschlagstärkste Zeit. Als die Schuldenkrise Europa und seine Börsen voll erfasste, stieg der VDax noch einmal schlagartig auf 48 Punkte an. Damit blieb er zwar noch satte 30 Punkte unter seinem Höchststand zur Zeit der Lehman-Pleite. Doch immerhin stieg er damals noch einmal rasch um rund 20 Punkte an. Im langjährigen Mittel der vergangenen Jahre pendelte er eher um die 20 Punkte herum. Wenig Volatilität für viele Jahre haben die Börsen nun seitdem gesehen.

Investoren wiegen sich in Sicherheit

Vor allem 2017 war ein extrem schwankungsarmes Jahr. Das verstärkt den Trend, dass die Volatilitätskennziffern in neuen Durchschnittsberechnungen bald insgesamt weitaus geringer ausfallen werden als bisher. Ähnliches konnte man übrigens 1997 gut beobachten, nachdem die Schatten des Börsenabsturzes von 1987 verflogen waren. Was das nun bewirken könnte: Je niedriger die Volatilität ist, desto sicherer fühlen sich viele Investoren. Schließlich ist die Angst offenbar nicht mehr so groß. Wenn die Schwankungen nun abnehmen, werten Investoren das als Zeichen dafür, dass Aktienanlagen weniger riskant werden. Man könnte also durchaus höhere Aktienpositionen halten, ohne damit ein größeres Risiko einzugehen, so ist die Denke.

Das führt in der Praxis dazu, dass viele Investoren ihre Bestände prompt in solchen Zeiten aufstocken. Tun sie das wirklich, dann steigt die Nachfrage nach Aktien und entsprechend ziehen die Kurse weiter an. Dadurch ändern sich auch die Bewertungskennziffern der Unternehmen. Denn wenn der Kurs steigt, aber der Buchwert gleich bleibt, erhöht sich das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV). Auch das lässt sich rückblickend an Indizes wie dem S&P 500 gut erkennen.

Niedrige Volatilität führte in der Vergangenheit also häufiger zu einer Aufwärtsbewegung an den Börsen und zu einem Bewertungsschub bei den Papieren. Das klingt nach einer positiven Nachricht. Ist es in diesem Fall aber nicht. Denn das alles ist kein Problem, wenn die Bewertungen der Unternehmen überwiegend moderat ausfallen. Einige Branchen aber sind schon heute laut KBV eher überbewertet, mahnen Analysten. Vor allem die Technologieszene und die IT-Branche. Auch 2016 und 2017 gab es bereits Phasen, die von extrem niedriger Volatilität geprägt waren. Danach lief der Börsenaufschwung zunächst noch prächtig weiter. Natürlich könnte es diesmal wieder so sein. Es könnte allerdings auch sein, dass sich das Blatt jetzt wendet, mahnen große Vermögensverwalter. Denn das Jahr 2018 habe schon an vielen Stellen gezeigt, dass es anders laufen wird als die vorhergehenden Börsenjahre. Dass der große Aufwärtsdrall so langsam ins Stocken gerät – eben weil die Volatilität so niedrig ist.

Indexfonds könnten Abwärtsdrall verschärfen

Denn in der Vergangenheit war im Vorfeld großer Börsenkrisen häufig eine sehr geringe Volatilität zu beobachten. Die Schwankungen ließen für eine Weile nach – um dann urplötzlich umso heftiger zu werden und mit großen Tagesverlusten den Markt in die Tiefe zu ziehen. Und diesmal könnten die einzelnen Schwankungen sogar noch viel heftiger ausfallen als bisher gekannt, geben die Skeptiker zu Bedenken. Das liege an der starken Position, die Indexfonds inzwischen am Markt hätten. Wenn der Trend tatsächlich ins die Gegenrichtung umschlüge, müssten Fondsgesellschaften massenhaft Papiere verkaufen, die in den passiven Indexfonds stecken. Denn sie folgen bloß dem Markt und der verlangt es ja so. Dadurch könnte sich im Falle eines Kurssturzes tatsächlich der Abwärtsdrall in kurzer Zeit rasant verschärfen und selber befeuern. Dann würde die Volatilität innerhalb kürzester Zeit rasant in die Höhe schnellen.

Es wäre zynisch zu sagen: Dann steckte wenigstens wieder mehr Schwankung in den Zehnjahresstatistiken drin, damit das Phänomen doch nicht ganz aus den Köpfen verschwindet. Man kann aber auch ganz nüchtern und wahrheitsgemäß feststellen: Die Volatilität kommt und sie geht, das ist der Lauf der Börsen. Und selten liefen sie länger als zehn Jahre völlig ruhig dahin. Wenn die Volatilität daher noch lange ausbleibt, wäre das quasi das zweite Jahrhundertereignis nach Lehman.

Mehr zum Thema

Neueste Artikel

VG-Wort Pixel