Es könnte der Börsengang des Jahres, wenn nicht gar des Jahrzehnts werden: Große Hoffnungen ruhen auf dem bevorstehenden IPO des britischen Chipdesigners Arm in New York. Eigentümer Softbank hofft, einen Teil der 24 Mrd. Pfund, die 2016 für Arm bezahlt wurden, wieder hereinzuholen – und endlich einen Erfolg für sein Investmentportfolio einzuheimsen, das durch den weltweiten Abschwung des Tech-Marktes massiv gebeutelt wurde.
Zugleich hofft eine ganze Reihe noch privat gehaltener Tech-Start-ups, dass ein erfolgreicher Börsengang den siechenden Tech-IPO-Markt wiederbeleben könnte. Und Risikokapitalinvestoren, die in den letzten Monaten keine neuen Gelder einsammeln konnten, hoffen wiederum, dass ein wiederbelebter Markt für Börsengänge ihnen erlaubt, Exit-Erlöse zu erzielen und Gelder in neue Start-ups umzuschichten. Dann könnte sich das lukrative Finanzkarussell der Branche endlich wieder drehen.
Aber es könnte eben auch gut sein, dass bei zweiten Börsengängen – ähnlich wie bei zweiten Ehen – die Hoffnung über die Erfahrung triumphiert. Denn bei Softbank gehen die Probleme viel tiefer als nur bis zur Frage, ob der Arm-IPO lukrativ vonstatten geht. Start-ups wären voreilig, wenn sie an eine rasche Rückkehr zu den guten Marktbedingungen – und Bewertungen – von 2021 glauben würden (es sei denn, sie stopfen ihre Pitchdecks mit Schlagworten rund um künstliche Intelligenz voll). Und VC-Investoren sehen sich mit der Tatsache konfrontiert, dass sich die Dynamik ihrer Branche in einer Welt mit höheren Zinssätzen radikal verändert hat.
Arm ging schon 1998 einmal an die Börse
Als Arm im April 1998 zum ersten Mal in London an die Börse ging (mit einer Zweitnotierung an der Nasdaq in New York), war es ein ganz anderes Unternehmen – und eine ganz andere Zeit. Der in Cambridge ansässige Chipdesigner tauchte mit seiner erstaunlichen Mischung aus Genialität und unternehmerischem Tatendrang zum perfekten Zeitpunkt auf, um auf der Mobile-Welle zu surfen, wie James Ashton in dem Buch „The Everything Blueprint“ beschreibt. Der Aktienmarkt befand sich zudem in der Endphase einer außergewöhnlichen Hausse.
Die Aktien von Arm stiegen am ersten Handelstag um 46 Prozent, was dem Unternehmen eine kurzzeitige Bewertung von mehr als 1 Mrd. Dollar und einen 30-sekündigen Glückwunschanruf von Apple-CEO Steve Jobs, einem frühen Geldgeber, einbrachte. Ende 1999 war die Marktbewertung von Arm auf 6 Mrd. Pfund gestiegen und das Unternehmen war in den FTSE 100 Index aufgenommen worden, bevor es im Jahr 2000 dann vom Dotcom-Crash überrollt wurde.
In vielerlei Hinsicht ist Arm noch immer ein bemerkenswertes Unternehmen, eines der wenigen britischen Technologieunternehmen von globaler Bedeutung. Seine Chipdesigns, die in fast jedem Smartphone enthalten sind, werden laut Börsenprospekt von etwa 70 Prozent der Weltbevölkerung genutzt. Allein im letzten Geschäftsjahr wurden mehr als 30 Milliarden Chips ausgeliefert, die auf Arm-Designs basieren. Und Arm versucht, über Smartphones hinaus vom jüngsten Techniktrend zu profitieren, der Anleger in helle Aufregung versetzt: Künstliche Intelligenz (KI).
Nivdia ist besser auf Künstliche Intelligenz eingestellt
Doch verglichen mit dem US-Chipgiganten Nvidia, dessen Marktwert bei mehr als 1,1 Billion Dollar liegt und der schon einmal versucht hat, Arm zu kaufen, bevor die Aufsichtsbehörden aus Wettbewerbsgründen die Übernahme untersagten, ist Arm in diesem speziellen Rennen ein Außenseiter. Die KI-geeigneten Grafikprozessoren von Nvidia unterliegen einer unfassbaren Nachfrage – Tesla-Chef Elon Musk sagt, sie seien „wesentlich schwieriger zu bekommen als Drogen“. In seinem Börsenprospekt muss Arm einräumen, dass die eigenen zentralen Recheneinheiten nicht optimal für die Ausführung der neuesten KI-Algorithmen geeignet sind.
Im Kontext der aktuellen geopolitischen Spannungen sollten Anleger zudem angesichts der Tatsache misstrauisch sein, dass ein in den USA börsennotiertes Unternehmen 24 Prozent seiner Einnahmen in China erwirtschaftet, aber nicht die volle Kontrolle über sein dortiges Geschäft hat. Die Börse wird Arm daher wahrscheinlich weit weniger euphorisch aufnehmen als 1998. Softbank scheint eine Bewertung von 64 Mrd. Dollar anzustreben, was angesichts der Tatsache, dass die Einnahmen von Arm im letzten Jahr zurückgegangen sind, sehr hoch erscheint. „Diese Bewertung ist verrückt“, sagt Ben Thompson, Autor des Stratechery-Newsletters.
Wie Softbank-CEO Masayoshi Son hofft auch eine Schar von Start-up-Gründern, dass der Börsengang von Arm ein voller Erfolg wird. Aber sie alle wissen, dass Investoren in einer Welt höherer Zinssätze Gewinne und einen positiven Cashflow verlangen – etwas, das noch vor ein paar Jahren, als „Wachstum um jeden Preis“ das Mantra des Marktes war, total retro erschien. Start-ups werden auch mit skeptischeren institutionellen Anlegern konfrontiert sein, die bei früheren Börsengängen auf der Strecke geblieben sind. Einem Nasdaq-Bericht aus dem Jahr 2021 zufolge entwickelten sich etwa zwei Drittel der Börsengänge zwischen 2010 und 2020 in den drei Jahren nach der Emission schlechter als der Markt.
Die VC-Investoren aber sehen sich durch den diesjährigen 31-prozentigen Anstieg des Nasdaq ermutigt und wünschen sich nichts dringender als eine Wiederbelebung des IPO-Markts. Laut einem Bericht von EY wurden im vergangenen Jahr in den USA gerade einmal 90 solcher Transaktionen abgeschlossen, die insgesamt nur 8,6 Mrd. Dollar einbrachten. Im Jahr 2021 waren es dagegen 416 neue Börsengänge, mit einem Volumen von immerhin 155,8 Mrd. Dollar.
Bill Janeway, ein erfahrener Beobachter des VC-Markts, sagt, dass viele Start-ups von einem Börsengang profitieren würden, er sehe aber ihre wahrscheinlichen Bewertungen deutlich unter dem Niveau liegen, zu dem sie zuletzt Geld in privaten Finanzierungsrunden aufgenommen haben. Erst wenn Unternehmen und Investoren begännen, sich dieser Realität zu stellen, könne es zu Börsengängen kommen. „Es gibt einen lebensfähigen Wirtschaftszweig, der sich entwickeln wird, aber er durchläuft gerade eine Trainingsphase“, sagt Janeway.
Gut möglich, dass dann bald wieder eine Art kollektiver Amnesie einzieht und Finanzmärkte und Tech-Bewertungen sich rasant entwickeln. Doch dürften die neuen, berauschenden Zeiten mit waghalsigen Finanzierungen, horrenden Bewertungen und spektakulären Börsenabgängen noch weit entfernt sein. Mit Ausnahme der KI-Start-ups...
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