Glänzen tut im Moment nur noch eines: nämlich die Schweißperlen auf der Stirn vieler Analysten. Viele Marktbeobachter hatten schon vor Wochen gesagt, der Absturz des Silberpreises sei nun bald beendet. Müsse er ja auch. Schließlich notierte der Rohstoff inzwischen knapp unter 15 Dollar pro Feinunze. Das ist ziemlich wenig Geld für immerhin gut 31 Gramm des edlen Metalls. Viel tiefer könne der Kurs daher gar nicht sinken, hatten viele geglaubt. Schon im März dachten sie das, als der Kurs noch über 16 Dollar stand. Sie haben sich geirrt. Dieser Tage ist das Silber sogar auf ein Zweijahrestief abgesackt. Der Preis liegt jetzt nur noch knapp über 14 Dollar. Und auch für die nächste Zeit könnte es weiter ziemlich matt aussehen.
Denn den großen neuen Aufschwung, den viele prophezeit hatten, den begründeten sie vor allem mit zwei Zahlen: Erstens mit dem aktuell so schwachen Kurs, der ja ungewöhnlich niedrig sei. Deshalb werde er sich bald wieder nach oben entwickeln. Zweitens mit der derzeitigen Gold-Silber-Ratio, also mit dem Verhältnis zischen dem Goldpreis und dem Silberpreis. Es liegt derzeit ungewöhnlich hoch bei fast 85. Und immer, wenn die Ratio so stark angestiegen sei – was im Grunde bedeutet, dass Silber im Vergleich zum Gold unterbewertet ist – habe sich kurz darauf der Trend gedreht und das Verhältnis sei wieder gefallen. Daraus leiten die Marktbeobachter ab, der Silberpreis müsse dann wieder steigen. Das Problem an beiden Punkten ist: Sie stellen zwar etwas Korrektes fest, doch könnten die Konsequenzen daraus auch ganz anders aussehen.
Hohe Gold-Silber-Relation nicht ungewöhnlich
Nehmen wir Punkt eins, den schwachen Silberkurs. Nun sind 14 Dollar tatsächlich recht wenig, wenn man auf die jüngste Historie des Silbers guckt. Schließlich notierte das Edelmetall noch 2016 bei rund 20 Euro. In den Jahren vor 2013 sogar satt darüber und 2011 lag der Preis sogar bei beeindruckenden 46 Dollar, also gut dreimal so hoch wie zurzeit. Aber: Ganz so ungewöhnlich sind die 14 Dollar nun auch wieder nicht. Im gesamten Jahr 2015 kam der Kurs kaum über diese Schwelle hinaus, rund ums Jahr 2010 stand der Preis ebenfalls so tief. Was also ist der „normale“ Kurs fürs Silber und ist ein baldiger Anstieg wirklich so zwingend? Nein, sagen sogar manche Rohstoffexperten von namhaften Banken. Auch ein weiterer Abstieg auf 13,60 wäre noch gut denkbar. Spätestens dann aber könnten Anleger darüber nachdenken, sich ein paar Gramm oder Barren Silber ins Depot zu legen. Denn dann sei der kleine Bruder des Goldes so tief gesunken wie selten in seiner Geschichte. Und damit schon wieder einen Kauf wert.
Sehen wir uns Punkt zwei an, die Gold-Silber-Relation. Sie gibt an, um welchen Faktor Gold teurer ist als Silber. Momentan wird es also am Markt 85-mal wertvoller eingestuft. Natürlich ist dieser Wert bemerkenswert. Zumindest wenn man nur über kurze Zeit – also im Rückblick auf ein Jahr – auf den Verlauf der Kurve guckt. Weitet man den Blick etwas und betrachtet die Ratio über fünf Jahre, sieht es schon anders aus. Dann gab es durchaus schon einen Punkt, an dem das Verhältnis ebenfalls so stark zugunsten des Goldes ausfiel. Auf Zehnjahressicht bekommt man schon drei Punkte. Und bei der Kurve seit 1973, also seit 45 Jahren, ergibt sich sogar eine Phase, die von 1990 bis etwa 1995 reicht und in der fünf lange Jahre lang das Gold den Wert von 80 sogar fast durchgängig übertraf. 1991 lag der Wert sogar bei 97, er kratze also ein paar Male an der Hundertermarke und ein Verhältnis von 90 galt als gar nicht ungewöhnlich, sondern eher alltäglich.
Was das nun bedeutet? Zweierlei, und zwar erstens dass das bloße Erreichen der 85er-Schwelle nicht heißt, dass die Ratio danach sofort und zwingend in den Keller stürzen muss. Sie hat das schon getan, das ist korrekt. Aber sie hat dem Markt auch schon fünf Jahre lang bewiesen, dass es anders laufen kann. Und zweitens heißt der hohe Wert auch nicht, dass bei einer Trendwende der Silberpreis rasant ansteigen muss. Schließlich errechnet sich die Ratio aus dem Goldpreis geteilt durch den Silberpreis. Sie verkleinert sich also auch, wenn nicht der Nenner größer wird, sondern wenn sich der Zähler verkleinert. Wenn also der Goldpreis weiter abstürzte, was er ja im Laufe dieses Jahres bereits kräftig tat, dann wird aus den fast 85 vielleicht bald ebenfalls ein Wert um die 80. Zwingend ist in diesem Zusammenhang nichts.
Silber ist volatiler als Gold
Nicht einmal die Einschätzung, dass ein faires Verhältnis zwischen beiden Metallen besteht, wenn die Gold-Silber-Ratio bei 58 liegt. Das ist zwar der langfristige statistische Durchschnitt und Analysten verweisen auch oft, dass unter 40 das Silber als zu teuer gilt, bei über 80 dagegen umgekehrt das Gold als zu teuer – oder das Silber als zu billig. Doch was heißt schon fair? Betrachtet man nur die reinen Vorkommen von Gold und Silber auf dieser Welt, dann steckt das Silber ungefähr 15- bis 20-mal häufiger in der Erdkruste als das Gold. Demnach wären 15 oder 20 ein fairer Wert. Damit aber würde man ausblenden, dass beide Metalle eben doch nicht wie Zwillinge sind, die lediglich eine andere Farbe haben, sondern von ganz unterschiedlicher Natur.
Silber nämlich wird anders als Gold nicht eigenständig gefördert. Während es Minen gibt, die sich nur dem Goldschürfen widmen und ihre Produktion anpassen, je nachdem ob der Preis fällt oder steigt – und damit höhere oder niedrigere Gewinne verspricht – ist Silber nur ein Beiprodukt. Es wird zum Beispiel bei der Kupferproduktion abgebaut und dabei legen die Minen Standardabbaumengen fest, die ihnen langfristig stabile Erträge garantieren, die aber nicht kurzfristig angepasst werden. Das heißt: Steigt der Silberpreis, können die Minen darauf nicht durch eine höhere Produktion reagieren. Sie können also die höheren möglichen Gewinne nicht abschöpfen. Zudem bleibt das Angebot gleich, dadurch steigt der Preis eher stärker weiter. Sinkt dagegen der Preis, fördern die Minen weiter stoisch ihre angepeilten Mengen. Dadurch kommt noch mehr Silber auf den Markt, obwohl der Kurs ohnehin schon wegbricht. Das führt dann meist zu einem noch rasanteren Verfall. Ähnlich wie wir es jetzt sehen.
Der Silberpreis ist also weitaus volatiler als der Goldpreis. Zudem führen der Derivatemarkt und die Terminbörsen dazu, dass nur ein Bruchteil der gehandelten Volumina tatsächlich ausgeliefert wird. Derivate lassen sich beliebig vermehren. Die Preise verändern sich so ebenfalls stark. Und an einem weiteren Punkt unterscheiden sich Gold und Silber noch enorm: Während die verfügbare Goldmenge stetig steigt, weil neu gefördert wird, weil Schmuck getragen und erhalten wird, und weil industriell verarbeitete Goldbestände in Geräten häufig recycelt werden, da es sich aufgrund des hohen Preises lohnt – wird die Silbermenge eher weniger. Es landet größtenteils auf dem Müll. Denn die Hälfte des geförderten Silbers verbaut die Industrie in Elektrogeräten, Batterien, Solaranlagen. Haben sie ihre Zeit überschritten, machen sich nur die wenigsten die Mühe, das verbaute Silber hinauszupulen. Denn so teuer ist der Rohstoff ja nicht.
Anleger müssen langfristig denken
All das mündet nun in die Frage: Warum sollten Gold und Silber so extrem ähnlich reagieren, wie es Analysten oft suggerieren? Sie argumentieren oft, wenn Gold gefragt sei als Generalabsicherung fürs Depot, also in Krisenzeiten, dann werde auch der Silberwert steigen. Das tut er nur beileibe nicht immer. Generell kann man zwar beobachten, dass Anleger ihre Edelmetallbestände eher aus dem Depot werfen, wenn die Zinsen steigen. So wie jetzt. Weil dann nämlich risikolosere Zinsanlagen wieder mehr Rendite einbringen und sich eher lohnen. Während Gold und Silber keine unterjährigen Erträge abwerfen, sondern erst, wenn man sie verkauft. Zudem gilt Silber schon als konjunkturanfälliger. Denn wenn die Weltwirtschaft weniger produziert, weil sie erlahmt, dann wird auch weniger Silber für Geräte gebraucht. Dann bleibt zwar die Förderung gleich, doch die Nachfrage sinkt, was den Kurs natürlich drückt. Von daher ist Silber längst nicht das große Gegengewicht im Depot, dessen Wert steigt, wenn zum Beispiel Aktienanlagen sinken. Sondern es hängt stark an der Konjunktur.
All das sollten Anleger in ihre Überlegung einbeziehen, wenn sie jetzt darüber nachdenken, Silber zu kaufen. Wer sich Silber ins Depot packt, der sollte das nicht aus kurzfristigen Gesichtspunkten tun, weil er hofft, dass der Kurs bald wieder glänzt. Diese Hoffnung kann genauso gut nach hinten losgehen. Nicht umsonst empfehlen zurzeit viele Börsenbeteiligte eher Papiere, die auf einen fallenden Silberkurs setzen. Sondern wer Silber kauft, der sollte es als Beimischung sehen, um insgesamt das Risiko breiter über alle Anlageklassen zu streuen.
Das bedeutet: Er geht davon aus, es langfristig zu halten. Er kann also notfalls auch mehrere Jahre aussitzen, in der dann der Preis nicht wie erhofft steigt. Weil er darauf setzt, dass Silber seinen Wert dennoch behält. Vor allem wenn die Inflation irgendwann wieder zulegt, können Edelmetalle ihren Vorteil als wertbeständige Anlage ausspielen. Wer also genau auf diesen Effekt hofft, der kann bei 14 Dollar und erst recht darunter tatsächlich ein Silberinvestment wagen. Auf lange Sicht nämlich wird das Edelmetall ganz gewiss wieder Anlegeraugen zum Strahlen bringen. Auch wenn im Moment eher die Stirn vor Angstschweiß glänzt.