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Börsenhausse Warum der Aktienmarkt kurz vor dem Verglühen steht

Symbolbild: Börse
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© Deutsche Börse
Die Hitzewelle hat auch die Aktienkurse erfasst, der Markt läuft richtig heiß. Das kann noch eine Weile gut gehen. Aber eine Abkühlung wird immer unausweichlicher. Nadine Oberhuber über die Warnsignale, die das Shiller-KGV aussendet

Eigentlich braucht es kein Thermometer, um festzustellen, wie die tatsächliche Lage derzeit ist: Es ist heiß und zwar so heiß, dass sich manche schon vor der großen Überhitzung fürchten – und damit ist ausnahmsweise mal nicht das Wetter gemeint, sondern die Großwetterlage an den Börsen. Die erleben nämlich gerade eine Hitzewelle, die immer mehr Analysten nachdenklich macht: Seit dem Ende letzter Woche sind die Aktienindizes stark gestiegen. Überraschend stark sogar, und man muss auch sagen: wieder einmal.

Der deutsche Aktienindex Dax etwa hat allein rund 300 Punkte zugelegt und notiert jetzt wieder bei über 12.500 Punkten. Inzwischen hat er seit Jahresbeginn wieder komplett jene Delle wettgemacht, die er sich im vergangenen Jahr zugezogen hat. Der amerikanische S&P 500 hat seinen Stand vom Sommer 2018 sogar inzwischen überflügelt und ist auf mehr als 3000 Punkte gestiegen. So hoch stand er tatsächlich noch nie. Und ein Ende des Anstiegs ist zurzeit nicht in Sicht. Aber sind das gute Nachrichten? In diesem Falle nicht.


S&P 500 Index


S&P 500 Index Chart

Denn man muss sehen, dass die Aktienkurse steigen, obwohl sich die Wirtschaft nunmehr deutlich eintrübt: Diverse Ökonomen haben ihre Prognosen fürs laufende Jahr und für 2020 herunterkorrigiert. Deutschland erwartet bald nur noch eine Null vorm Komma beim Wirtschaftswachstum. Passend dazu hat sich der Geschäftsklimaindex eingetrübt und ist um zwei Prozentpunkte abgesackt. Und an den Börsen vergeht kaum ein Tag, ohne dass ein Unternehmen eine Gewinnwarnung herausgibt und damit seine Geschäftserwartungen nach unten korrigiert. Früher waren solche Gewinnwarnungen noch der Schrecken aller Anleger. Heute scheinen sie normal. Unbeeindruckt davon klettern die Aktienkurse weiter.

Akute Zinssenkungshysterie

Woran das liegt, ist klar: Es sind die Notenbanken, die den weiteren Anstieg mit immer neuen Aussagen oder Andeutungen befeuern. Zuletzt dachte die amerikanische Fed laut über eine angemessene Leitzinssenkung nach. Aktuell bereitet sich wohl auch die Europäische Zentralbank auf einen weiteren Zinsschritt vor – nach unten. Man darf daher befürchten, dass es bald unter die Nulllinie geht, noch weiter in Richtung Minuszinsen also. Für viele Anleihen gelten die ja ohnehin schon als neue Normalität. Und bevor es soweit ist, suchen die Anleger noch schnell Zuflucht in den Aktienmärkten. Genau das treibt die Kurse: eine akute Zinssenkungshysterie, so nennen einige Analysten es.

Von langer Dauer wird daher beides wohl nicht sein, weder die neue Fluchtwelle vor den neuen Niedrigzinsen (denn irgendwann werden die neuen Zinsniveaus ja wieder zur Gewohnheit und es gibt zumindest keinen Grund für weitere Preissteigerungen mehr), noch die derzeitige Kursbewegung nach oben. Denn weder die Gewinnaussichten der Firmen noch die Fundamentaldaten stützen die aktuellen Aktienkurse und die jüngsten Anstiege der Indizes.

Gut, nun hat man schon öfter gedacht, es werde bald mit dem Höhenflug der Börsen vorbei sein und doch dauert er bis heute an. Fakt ist aber auch: Noch nie waren die wirtschaftlichen Aussichten so wenig vielversprechend wie derzeit. Bisher konnte man sich noch über die Größe des zusätzlichen Gewinns streiten, der zu erwarten war. Jetzt aber erwarten viele Firmen dahin schmelzende Gewinne oder sogar Verluste. Manche sogar erheblich größere als zuvor angenommen, etwa die Deutsche Bank. Besonders die Industrieunternehmen leiden bereits unter der schwächeren Konjunktur und zudem unter den Handelskonflikten, die vor allem die Gewinne der Dax-Konzerne noch belasten dürften.

Die neue Normalität am Aktienmarkt

Aber läuft der Markt nun wirklich schon heiß? Eine wichtige Kennzahl lässt das noch nicht unbedingt vermuten: Das Kurs-Gewinn-Verhältnis von Dax, Eurostoxx und S&P 500 nimmt sich noch recht moderat aus: Es liegt für den europäischen und den deutschen Index zurzeit bei 14, der langjährige Mittelwert beider liegt bei 12. Keine dramatische Abweichung also, könnte man denken, die Kurse sind wohl nur ein bisschen warmgelaufen. Für den amerikanischen Index gilt Ähnliches, der kommt aktuell auf ein KGV von 18,3, hier liegt der Mittelwert bei 15, also auch nur drei Punkte darunter. Im Prinzip fühlt sich das alles noch halbwegs nach Normaltemperatur an, auch wenn die in diesem Sommer etwas höher ausfällt als üblich. Doch was hier noch recht harmlos klingt, bekommt eine völlig neue Dimension, wenn man langfristige Daten hinzuzieht.

Eine etwas ausgereiftere Kenngröße nämlich sagt viel mehr darüber aus, wie heiß die Märkte gelaufen sind als die aktuellen Kurse gepaart mit den kurzfristigen Gewinnschätzungen: Das Shiller-KGV des Ökonomen und Nobelpreisträgers Robert Shiller setzt die Aktienkurse in Bezug zu den Durchschnittsgewinnen der letzten zehn Jahre, die von den jeweiligen Unternehmen erzielt worden sind. Diese Kennzahl ist also um konjunkturbedingte Schwankungen bereinigt und gilt vielen als wahrer Indikator dafür, ob es die Märkte übertreiben. Sieht man sich das Shiller-KGV an, dann liegt sein Mittelwert für den S&P 500 sehr langfristig also seit 1881 bei 16,5. Derzeit steht es bei knapp 31, es ist also etwa doppelt so hoch.

Wie dramatisch ist das? Nun, die Male, die er über 25 stieg, also 1930, Mitte der 1960er-Jahre, ab Mitte der 90er-Jahre bis 1999 und 2008 endeten alle an den Börsen mit größeren Abstürzen oder sogar gigantischen Kurseinbrüchen. Der Rest der Geschichten dürfte bekannt sein. Auch, wenn die hohe Bewertung vor allem ab 1995 noch sehr lange andauerte – das Shiller-KGV hielt sich damals jahrelang über der magischen 25-er Marke und stieg zuerst über 30 an und schließlich auf seinem endgültigen (und bisherigen) Höhepunkt sogar auf 44, das war eine Marke, die es seitdem nicht wieder erreichte – ein derartiger Anstieg übers historische Mittel hinaus blieb im Rückblick nie folgenlos. So gesehen lässt das aktuelle Shiller-KGV zumindest nichts Gutes erahnen.

Kritik am Shiller-KGV

Nun gibt es auch Kritik am Shiller-KGV, die kurz gesagt dahin geht, dass aufgrund der neuen Bilanzrichtlinien für Konzerne die Gewinne sozusagen künstlich kleingerechnet würden. Daher würden gar nicht die wahren Erträge der Firmen abgebildet, denn die müssten höher sein. Das heißt im Umkehrschluss: Das tatsächliche Langfrist-KGV läge im Grunde höher als es die Kennzahl des Shiller-KGV suggeriert. Denn: Wird ein hoher Aktienkurs durch einen künstlich kleingerechneten Gewinn geteilt, fällt das Ergebnis natürlich höher aus, als wenn man einen hohen Kurs durch einen viel größeren Gewinn teilen würde.

Andere Kritiker argumentieren auch, dass man auch gerade in den jüngsten Schwächephasen der Wirtschaft gesehen habe, dass das Shiller-KGV wohl nicht mehr zeitgemäß sei: Denn selbst in den Crashphasen fiel die Kennzahl recht hoch aus und lag nur leicht unter dem historisch langfristigen Mittelwert. Solche Einwände kann man gelten lassen und vielleicht müsste man den Mittelwert angesichts der zuletzt deutlich stärkeren Niveaus – sowohl bei Kursen als auch bei Gewinnen – wirklich etwas nach oben anpassen.

Aber das ändert nichts an der Gesamtaussage, die lautet nämlich so: Ein Shiller-KGV von 30 ist höher als zu 90 Prozent aller übrigen Zeitpunkte an der Börse. Und man sollte sich dazu nur einmal eine Matrix der Shiller-KGV-Bewertungen für deutsche Aktien ansehen, dann muss man nicht mehr im Detail nachmessen oder Zahlen vergleichen. Denn die Langfrist-KGVs sind für rund die Hälfte der Dax-30-Werte höher als der Mittelwert, zum teil sogar deutlich höher. Das trifft auch für gut die Hälfte der MDax-Werte zu. Und auch die meisten SDax-Aktien liegen deutlich über dem Mittelwert. Insgesamt liegen sie laut ermitteltem Shiller-KGV also im Temperaturbereich von Dunkelorange bis Hellrot. Der TechDax liegt sogar satt im Roten Bereich. Das kann man als kurze Ausreißerphase sehen, so wie die aktuelle Hitzeperiode. Auch im Sommer 2018 lagen wir in diesem Hochtemperaturbereich – an den Börsen wie bei den KGVs.

Niedrigere Renditeaussichten

Was heißt das also nun für Anleger? Es bedeutet nicht zwingend, dass ein großer Crash bevorsteht. Das könnte es aber heißen. Es weist aber ganz sicher darauf hin, dass in den kommenden Jahren eine unterdurchschnittliche Wertentwicklung bei den Aktien zu erwarten ist. Und das bezieht sich auf die kommenden zehn Jahre, die werden also bei Weitem nicht mehr so gut ausfallen wie die vergangenen zehn. Wie gesagt: Auch Ende der 90er-Jahre stiegen die KGVs noch eine ganze Weile weiter an, bis es dann 2000/2001 zum großen Kursverglühen kam. Und die Spanne der möglichen Wertentwicklungen ist recht groß. Aber es gibt dennoch offenbar Gesetzmäßigkeiten und Korridore, in denen sie sich üblicherweise bewegen.


DAX Index


DAX Index Chart

Ein Statistiker, der sämtliche erzielten Renditen in mehreren Ländern abgetragen hat und sie mit dem Shiller-KGV korrelierte, kommt dabei jedenfalls zu diesem Ergebnis: Beim Shiller-KGV von 10 liegt die übliche Aktienrendite in den nächsten zehn Jahren zwischen 5 und 15 Prozent jährlich, im Mittel etwa bei 10 Prozent. Steigt das KGV auf 15, so sind es etwa 3 bis 13 Prozent Rendite, im Mittel etwa 8 Prozent. Beim KGV 20 sinkt der Mittelwert auf 5 Prozent, soweit klingt das noch immer gut. Doch liegt das KGV bei 25 oder gar 30, dann sinken die Renditen auf ungefähr 2,5 bis 3 Prozent in den Folgejahren. Mehr ist dann nicht mehr drin für sehr lange Zeit.

Das ist nun kein Grund, sein Geld hektisch aus dem Markt abzuziehen, wohl aber der Aufruf, sich mit diesen niedrigeren Renditeaussichten bereits auseinanderzusetzen – vor allem, wenn man kurzfristig am Markt orientiert ist. Langfristanleger dagegen müssen sich weniger Sorgen machen, sofern sie diese zehn kühleren Jahre durchhalten. Denn auf lange Sicht pendeln sich die Wertentwicklungen ja wieder deutlich höher ein. Doch alle, die ihre Aktiendepots vor 2028 antasten möchten (oder müssen) und sich bisher Renditen von rund 10 Prozent pro Jahr davon erhofften – was laut Umfragen von Vermögensverwaltern tatsächlich die Anleger derzeit mehrheitlich tun – sollten sich darauf gefasst machen, dass sich die heißlaufenden Märkte demnächst selber eine Abkühlung verschaffen könnten. Denn die derzeitigen Temperaturen hält dort keiner lange aus.

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