
Man muss schon viel Glück haben, um Jochen Resch überhaupt an den Hörer zu kriegen. Ständig ist bei seiner Berliner Anlegerschutzkanzlei besetzt, manchmal ist die Telefonanlage so verstopft, dass sie ganz zusammenbricht und gar nicht mehr erreichbar ist. Dutzende Privatanleger von Prokon rufen bei Resch an diesem Montag in der Hoffnung an, dass ihnen der Spezialanwalt wenigstens einen Teil ihres Geldes zurückholt, das sie dem Öko-Investor aus Itzehoe anvertraut haben. „Bislang hatte ich noch nicht viele Prokon-Mandate, jetzt kommen alle Leute auf einmal – und sind total verzweifelt“, sagt Resch im Gespräch mit Capital. „Aber so ist das bei solchen Geldanlagesystemen: Erst sind alle ganz lange glücklich. Aber wenn es kippt, dann kippt es umso drastischer.“
Die Prokon-Anleger sind geschockt. Gutes tun und dabei reich werden – mit diesem impliziten Versprechen hat das Unternehmen aus Itzehoe mehr als 70.000 gutgläubigen Deutsche fast 1,4 Mrd. Euro entlockt. Anfangs freuen sich die Inhaber der Prokon-Genussrechte noch über Zinsen von bis zu acht Prozent. Nun aber droht ihnen im schlimmsten Fall der Totalverlust. In einem Schreiben vom Freitag warnt Prokon: Das Unternehmen sei voraussichtlich Ende Januar gezwungen, eine Planinsolvenz wegen drohender Zahlungsunfähigkeit einzuleiten. Verhindern lasse sich die Planinsolvenz nur, wenn 95 Prozent der Anleger bis zum 20. Januar erklärten, dass sie mindestens bis zum 31. Oktober 2014 auf eine Kündigung sowie die Auszahlung ihrer Zinsen verzichten. „Auf die betroffenen Anleger“, sagte Marc Tüngler Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitzt der „Bild am Sonntag", „wirken die aktuellen Verlautbarungen schlichtweg wie eine klassische Erpressung",
Ronald Emmerslander* ist entsetzt. „Ich habe Angst, dass mein Geld für immer weg ist“, sagt der Prokon-Investor. Den ganzen Sonntag hat er vor dem Computer gesessen, recherchiert und dann gleich am Montag den Anwalt angerufen. Eine sechsstellige Summe, etwa die Hälfte seiner gesamten Ersparnisse, hat er in Prokon gesteckt, und in seiner Familie gibt es weitere Betroffene. „Ich glaube an das Gute im Menschen – und kann mir nicht vorstellen, dass Prokon bewusst Anleger abgezockt hat“, sagt Emmerslander. „Aber wir alle waren wohl auch ein bisschen naiv.“
„Windige Anlagen“
2006 hat er angefangen, in Prokon zu investieren. Aus denselben Motiven wie viele andere deutsche Privatanleger: Niedrige Zinsen für Sparbücher oder Tagesgeld, Misstrauen gegenüber Aktien nach dem großen Crash zur Jahrtausendwende – und der Wunsch, etwas Gutes mit seinem Geld zu tun. Da kam die Postwurfsendung im Briefkasten gerade recht: Geldanlage in Windparks, ökologisch sauber, noch dazu in Deutschland, versprach Prokon – und obendrauf eine ordentliche Rendite. Das klang zukunftsträchtig, vernünftig, seriös, fand Emmerslander. Und auch auf der Abrechnung, die er zweimal im Jahr erhielt, war alles in Ordnung. Die Zinsen kamen wie versprochen, das Geld vermehrte sich. „Ich habe mir die Kontoauszüge angeschaut, mich gefreut“, erzählt Emmerslander. Und Prokon-Genussrechte nachgekauft - trotz kritischer Berichte.
„Windige Anlagen“ lautete die Überschrift der Titelgeschichte, mit der Capital bereits Mitte 2012 auf die erheblichen Risiken bei Prokon aufmerksam machte. Schon damals warnte Capital, dass sich große Teile des Gewinns aus konzerninternen Geschäften und außerordentlichen Erträgen speisten. Einen Konzernabschluss, der für Klarheit besorgt hätte, veröffentlichte Deutschlands mit Abstand größter Anbieter ökologischer Kapitalanlagen bis dato nicht.
Michael Olbrich, Professor am Institut für Wirtschaftsprüfung der Universität des Saarlandes, kam in einem Gutachten über die Jahresbilanz 2010 zu einem vernichtenden Urteil: Er hege „Zweifel, dass es sich bei der Prokon um ein seriöses Unternehmen handelt“. Derartig hohe Zinszahlungen seien dauerhaft kaum möglich. Prokon griff Olbrich auf seiner Unternehmens-Webseite an – und versuchte den Kritiker mit Klagedrohungen mundtot zu machen.
Experten warnen vor Aufstockung
Jetzt könnte Olbrich triumphieren. Aber nach Häme ist dem Professor nicht zumute. „Gerade kriege ich dauernd reihenweise Briefe von Anlegern, die mich fragen, was sie jetzt tun sollen“, erzählt er. „Mir tun diese Menschen sehr leid. Aber ich kann da auch nicht helfen.“ Gerade bei hohen Renditeversprechen müssten sich Anleger umso intensiver informieren, rät Olbrich. Neben Capital hatten auch Finanztest und andere Medien immer wieder vor Prokon gewarnt.
Ronald Emmerslander sagt, er habe von all den kritischen Berichten nicht viel mitbekommen. „Das war eine Mischung aus Nicht-Wahrnehmen und Sorglosigkeit. In meinem Leben hat sich viel getan, da schaut man nicht immer auf das Geld.“ Jetzt grübelt er, was er tun soll: Seinen Einsatz von Prokon schnell zurückfordern, damit er eventuell früher als andere Gläubiger drankommt, wenn das Unternehmen wirklich in die Insolvenz gehen sollte? Oder nichts tun? Oder gar weitere Genussrechte kaufen, wie es Prokon anbietet?
Zumindest über die letzte Option sind sich die Experten einig: „Jetzt noch Geld nachzulegen, wäre verrückt“, sagt Daniel Bauer von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger dem „Handelsblatt“. „Wer bereits gekündigt hat, sollte es dabei belassen. Eventuell gibt es dann die Chance, im Falle einer Insolvenz vorrangig behandelt zu werden.“ Jetzt zu kündigen, bringe vermutlich aber nicht mehr viel: Jede Kündigung mache die Insolvenz nur noch wahrscheinlicher.
Emmerslander will sich nun erst einmal beraten lassen. Er hat Resch seine Unterlagen geschickt, hofft auf eine schnelle Antwort. „Ich werde das machen, was für mich selbst am Besten ist“, sagt er, „auf dieses Unternehmen kann ich keine Rücksicht mehr nehmen.“ Immerhin ist ihm der Super-GAU erspart geblieben. Als vor einiger Zeit ein großer Batzen Geld angelegt werden musste, hat Emmerslander darüber nachgedacht, auch diese Summe bei Prokon zu investieren. Am Ende aber hat er sich doch fürs Tagesgeld entschieden. Nun ruht es bei der Royal Bank of Scotland und der IngDiBa, für 2,0 Prozent per annum. „Ich habe mich genau erkundigt“, sagt Emmerslander. „Dort gibt es zum Glück eine Einlagensicherung.“
(*Name geändert)