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Kolumne Mehr Europa wagen

Ein Milliardenfonds soll Europas Wirtschaft heilen und besser rüsten für künftige Schocks, wie die Corona-Krise.
Ein Milliardenfonds soll Europas Wirtschaft heilen und besser rüsten für künftige Schocks, wie die Corona-Krise.
© Christian Ohde / IMAGO
Mehr Europa ins Depot? Das ist eine wichtige Frage für Anleger nach dieser entscheidenden Woche für die EU, schreibt Capital-Redakteurin Nadine Oberhuber

Es war die entscheidende Woche für Europa. Und zu Beginn der Woche schien es noch so, als hätten die Anleger genau deswegen wieder Appetit auf mehr: auf noch mehr Aktien und auf mehr Risiko – und auf mehr Europa. Sie langten jedenfalls an den Börsen nochmals kräftig zu und trieben die Kurse. Brüssel machte es am Dienstag möglich. Denn zuvor war die Stimmung verhalten, doch nach der lang ersehnten Einigung der europäischen Staatschefs auf neue Hilfsgelder – und erstmals auch auf eine gemeinsame Geldaufnahme zugunsten der besonders von Corona gebeutelten Länder – machten viele europäische Indizes einen erfreuten Satz nach oben: Den deutschen Leitindex Dax hievte es am Dienstag wieder über die 13.300-Punkte-Marke. Der Eurostoxx schoss sogar auf 3450 Punkte, nachdem er eher gemächlich in die Woche gestartet war. Er gewann immerhin 3,3 Prozent an einem Tag. Aber dann kam irgendwie das große Völlegefühl.

Bis Freitag jedenfalls sackten die Indizes dann wieder ab, so als sei Luft aus ihnen entwichen. Es gab zwar keine dramatischen Einbrüche, aber doch ein spürbares Innehalten. Was war passiert? Vor allem die neuen Zahlen aus Amerika stoppten den großen Heißhunger der Anleger. Inzwischen ist klar, dass die Vereinigten Staaten die Coronakrise alles andere als im Griff haben, das räumte diesmal sogar der Präsident ein. Der sprach von einer besorgniserregenden Zunahme neuer Krankheitsfälle. Und das darf man wiederum als ziemlich dramatisch bewerten. Denn gerade er hatte sich ja bisher besorgniserregend resistent gezeigt, wenn es darum ging, die Gefahr der Coronakrise realistisch einzuschätzen. Wenn selbst er sich nun öffentlich sorgt, dann muss es tatsächlich schlimm sein.

Viel früher jedenfalls, schon vor drei Wochen nämlich hatte auch Notenbankchef Jerome Powell gewarnt, die Zukunft für Amerikas Wirtschaft sei „sehr ungewiss“ und vergangene Woche hatte er noch einmal in Sachen Pessimismus nachgelegt. Zudem alarmieren die neuesten Arbeitslosenzahlen aus Amerika ebenfalls, die wieder rasant ansteigen. Die Fallzahlen an Neuerkrankungen tun es ebenso, sie liegen inzwischen bei über vier Millionen in den USA. Und wenn jetzt die Partei des US-Präsidenten sogar ihren Parteitag absagt und selbst Donald Trump das Tragen von Masken propagiert, dann ist die Lage ernst. Sehr ernst. Das war auch der Hauptgrund für das Absacken der Aktienmärkte von Donnerstag auf Freitag.

Chance für Europa

Trotzdem muss das für Europas Anleger nun nicht gleich das Allerschlimmste bedeuten, im Gegenteil, sagen sogar institutionelle Investoren: Es sei für Europa sogar eine gute Chance. Wenn die US-Wirtschaft nämlich nun doch deutlicher schwächelt, als die Optimisten zuvor dachten, dann bedeute das für die hiesigen Aktien, dass sie der amerikanischen Konkurrenz auf absehbare Zeit davonziehen könnten. Und darauf warten einige Anleger ja schon lange.

Zumindest haben einige internationale Fondsmanager auch jüngst auf genau diese Entwicklung gesetzt: Noch im Mai sagte etwa jeder sechste Fondsmanager laut einer Umfrage der Bank of America, er sei untergewichtet in europäischen Aktien. Das war also zu Beginn der großen Erholung. Inzwischen aber sagt genau dieselbe Anzahl von ihnen, sie hätten europäische Aktien in den Depots nun übergewichtet. Sie haben also bereits mehr Europa gewagt. Und etliche Analysten finden: Das könnten Privatanleger eigentlich ebenso gut tun. Denn die große Rally der US-Aktien trug zwar vor allem im letzten Jahr den großen Aktienaufschwung. Doch inzwischen deutet doch einiges darauf hin, dass Amerika länger brauchen wird, um sich von Corona zu erholen. Zudem steht die Präsidentschaftswahl im November an, das bringt viel Unsicherheit mit sich.

Klassischerweise heißt es zwar, Wahljahre seien in Amerika gute Börsenjahre, doch ganz so einfach ist es in diesem Jahr nicht. Weil zurzeit irgendwie gar nichts einfach läuft in diesem Jahr. Amtsinhaber Trump steht angesichts seiner Corona-Bewältigungsstrategie unter Druck, die ja, wenn man ehrlich ist, im Grunde gar nicht existiert. Sondern sie bestand eher darin, dass er sich bisher irgendwie durchlavierte – aber nun erkennen muss, dass das nicht wirklich funktioniert. Die Aussicht auf einen möglichen Präsidentenwechsel aber erfreut zwar viele seiner Gegner. Aber nicht gerade das Lager derer, die auf die Trumpsche Fortsetzung der Steuersenkungspolitik für Unternehmen spekuliert hatten. Damit fällt nun womöglich auch einer der Haupttreiber für die Aktienkurse weg. All das verunsichert derzeit eher die Aktionäre, als sie zu bestärken.

Sieht es nun in Europa so viel besser aus? Zunächst einmal: Man darf sich allgemein nichts vormachen, auch hierzulande wird die Wirtschaft noch eine ganz Weile schwächeln. Gerade erst haben Zweidrittel der hiesigen Ökonomen in Umfragen zu Protokoll gegeben, dass sie damit rechnen, dass es rund zwei bis drei Jahre dauert, bis sich die Wirtschaft voll vom Coronaschock erholt hat. Das ersehnte V also, den rasanten Wiederanstieg nach dem tiefen Sturz, den hat vielleicht der Aktienmarkt vollzogen. Zum Stand jetzt. Auch die Stimmung der Konsumenten hat sich auch wieder nachweislich gebessert. Doch die tatsächlichen Auswirkungen auf die Wirtschaft werden wir erst in den kommenden Monaten spüren: Wie laufen dann die Geschäfte, die sich jetzt erst mühsam berappeln und bei vielen Unternehmen nicht sofort wieder zum Vorkrisenstand zurückkehren werden? Was heißt das für Aufträge, für Exporte, für Kapazitätsauslastung und auch für die Arbeitskräfte? All das ist noch nicht ausgemacht. Denn bisher wirken vielerorts noch Hilfsgelder und Notkredite, die zurzeit die Unternehmen stabilisieren. Was ist aber, wenn deren Wirkungen auslaufen?

Das soll hier wohlgemerkt keine Schwarzmalerei sein. Denn am Ende kommt es oft doch viel besser als man denkt. Es soll nur mahnen, nicht mit einer allzu raschen Rückkehr auf Normalnull zu rechnen. Geben wir uns also diese zwei Jahre Zeit. Wo stehen wir also dann?

Es gibt auch einige institutionelle Kapitalmarktmanager, die finden, Europa habe insgesamt nicht die besten Aussichten. Vor allem die europäischen Indizes seien viel zu sehr von schwachen Branchen geprägt wie der Automobil- und der Chemiebranche. Und Europa sei allgemein zu schwach beim Thema Technologie aufgestellt. Das ist so, keine Frage. Trotzdem gibt es auch gute Gründe für Europa – auf Aktienbasis. Jedenfalls dann, wenn man nicht nur breit auf Indizes wie den Eurostoxx oder den Stoxx600 setzt, sondern sich einzelne Branchen herauspickt, in denen es für Europa besonders gut läuft oder laufen wird. Auch wenn wir uns noch ein bis zwei Jahre durch krisenhafte Zeiten steuern müssen.

Wenn man sich ansieht, warum die amerikanischen Aktien zuletzt so gut gelaufen sind, dann fällt zudem auf, dass es auch hier nicht der Gesamtmarkt war, der sich stark zeigte. Es waren die Techaktien, allen voran Microsoft, Amazon, Apple und Alphabet, die den gesamten Index zogen. Auf die kann man auch sicherlich weiter setzen, auch wenn man von einer schwächeren US-Wirtschaft ausgeht. Was sind also die starken Branchen spiegelbildlich in Europa? Auch bei uns zogen die (wenigen) Techaktien. Allein der TexDax legte in den vergangenen zehn Jahren über 300 Prozent zu, also gewaltig. Zudem ruht derzeit besonders auf der Pharmabranche große Hoffnung: Viele der Unternehmen, die fieberhaft nach Corona-Impfstoffen und Medikamenten forschen, stammen aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Und sie könnten große Gewinne einfahren, wenn ihnen die Entwicklung der rettenden Gegenmittel gelingt. Warum also nicht auf europäische Biotech- oder Gesundheitswesen-ETF setzen?

Welche Branchen könnten anziehen?

Zudem finden Analysten die Frage: Welche Branchen haben zurzeit noch nicht angezogen und könnten in nächster Zeit gewaltig nachziehen? Dazu haben sie sich angesehen, welche Branchen gerade in unsicheren Zeiten am besten laufen. Erkennen kann man das aus der Performance der jeweiligen Branchen in den Marktcrashs der vergangenen 20 Jahre, von denen es immerhin zwei große (Dotcomcrash und Fnanzmarktkrise) und zwei kleine gab. Sie ermitteln den Beta-Faktor. Ein niedriger Betafaktor bedeutet: Diese Aktien fallen in Crashzeiten deutlich weniger als der Gesamtmarkt. Sie sind also stabiler in Krisen und gleichzeitig schnelle Aufholer in Post-Krisenzeiten. Und da zeichnet sich – übrigens neben der Gesundheitsbranche, die ebenfalls außergewöhnlich krisenfest ist – vor allem die Branche der Nahrungsmittel als gute Anlagemöglichkeit in unsicheren Zeiten ab. Und gerade da hat Europa mit Nestlé, Unilever und Danone einiges zu bieten. Zudem liegen die Branchen der Immobilien und Versorger in solchen Zeiten ganz weit vorn. Über Aktien aus den Branchen Handel und Haushaltsgüter kann man laut Analysten der DZ Bank ebenfalls einmal nachdenken.

Laut Kurs-Gewinn-Verhältnis jedenfalls sind deutsche und europäische Firmen derzeit mit rund 20 insgesamt deutlich günstiger bewertet als amerikanische, die bereits über 26 liegen. Fürs kommenden Jahr rechnen Analysten auch mit deutlicheren Gewinnsteigerungen für die Europäer um rund 37 Prozent beim Dax und 31 Prozent im Eurostoxx. Amerika kommt – Stand jetzt – auf 29. Außerdem schneiden Europaaktien noch in einer anderen Hinsicht deutlich besser ab: Sie zahlen deutlich mehr Dividende als ihre amerikanischen Pendants. Die Dividendenrenditen werden hierzulande in diesem Jahr bei rund 2,6 bis 2,9 Prozent liegen, in den USA lediglich bei 1,7 Prozent. Im kommenden Jahr könnte es noch weiter auseinanderklaffen: Dann bieten europäische Firmen rund 3,0 bis 3,4 Prozent, während US-Konzerne bei rund 1,8 bleiben. So lauten die Prognosen.

Wer also nach dieser Woche nun ein Europa-Optimist ist, der kann sich einmal bei den europäischen Einzelaktien oder Branchen-ETF umsehen. Wer dennoch ein Amerikafan bleibt – aber sich defensiver aufstellen möchte - der kann sich neben dem MSCI World (in dem ja größtenteils Amerika steckt), noch einen MSCI World Consumer Staples ins Depot legen. Auch damit setzt er auf jene Branchen, de in unruhigen Zeiten eher vorneweg laufen. Und die in einem möglichen zweiten Absturz weniger tief mitgerissen werden. Besser, als auf den Wahlausgang in Amerika zu wetten ist das allemal.

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