Kurz vor dem Wochenende tickerte die Nachricht über den Draht, als Pflichtmitteilung einer börsennotierten Gesellschaft: „Der Vorstand der EV Digital Invest AG, Lizenzpartner der Engel & Völkers Marken GmbH & Co. KG, sieht sich gezwungen, unverzüglich beim Amtsgericht Charlottenburg einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung zu stellen.“ Die Antragstellung sei erforderlich, weil eine vereinbarte Auszahlung nicht fristgerecht geleistet werden könne. Denn die Mehrheitsaktionärin, das Versorgungswerk der Zahnärztekammer Berlin, habe „überraschend und ohne Ankündigung von Gründen“ die Auszahlung eines Darlehens verweigert, mit dem diese Zahlung geleistet werden sollte. Von „Zahlungsverweigerung“ und „Treuepflichtverstoß“ war weiter die Rede.
Die Insolvenzankündigung betrifft eine der großen Plattformen für Immobilien-Crowdinvestments. Unter dem Markendach des Luxusmaklerhauses Engel & Völkers vertrieb die EV Digital Invest AG dort bisher Zwischenfinanzierungen für Immobilienprojekte in Form von Nachrangdarlehen. Sie fungierte dabei als Vermittlerin zwischen den Projektentwicklern und den Geldgebern – hier also Privatanlegern – und kassierte dafür Provisionen sowie laufende Bestandsvergütungen.
Das Geschäftsmodell klingt zunächst einfach: Die Kunden sind Privatanleger, die für eine gewisse Zeitspanne größere Summen in die Projekte investieren. Sie erhalten zwischenzeitlich Zinszahlungen von den Initiatoren der Bauprojekte. Und am Ende, wenn die Immobilien fertiggestellt und mit Gewinn abverkauft worden sind, erhalten sie ihre Einzahlungen zurück. Wenn alles gut geht.
In letzter Zeit ging aber längst nicht alles gut. Mehrere Projektentwickler und Herausgeber solcher Nachrangdarlehen schoben zunächst Zinszahlungen auf und rutschten sogar in die Insolvenz. Immer mehr Anleger erhielten daher keine Zahlungen mehr, viele machten daraufhin ihrem Ärger auf Anlegerplattformen Luft. „Und über EV Digital Invest beschwerten sich Anleger im Forum zuletzt überdurchschnittlich oft“, sagt Marktbeobachter Stefan Loipfinger von der Plattform Investmentcheck, „da gab es auffällig viele Problemfundings“. In einigen Fällen zogen Anleger sogar gegen EV Digital Invest vor Gericht, weil sie sich von der Crowdfinanzierungsplattform über die Finanzstärke der Projektentwickler getäuscht fühlten.
Anleger der Crowdinvesting-Plattform fühlen sich getäuscht
Die Plattform wirbt nämlich auf ihrer Webseite unter anderem mit dem Satz: „Anders als bei den meisten anderen Plattformen wird die Investitionsmöglichkeit nicht nur vermittelt. Es handelt sich vielmehr um Projekte, in die wir selbst und unsere institutionellen Partner umfangreich investieren.“ Dazu werde „jedes Projekt in einem eigens von Engel & Völkers Digital Invest entwickelten Analyseprozess mit einer Vielzahl an starken Partnern beleuchtet.“ Als „am Analyseprozess beteiligte Partner“ nennt EV Digital Invest die Immobilienberatungsunternehmen Bulwiengesa sowie Mazars und CBRE.
Das Landgericht Berlin gab den Anlegern 2024 in drei Fällen Recht, es befand, die EV Digital Invest habe ihren Anlagevermittlungsvertrag verletzt, den Klägern stehe daher Schadenersatz zu. Da andere Verfahren wohl auch nicht zugunsten der EV Digital Invest ausgegangen wären, wie die Richter durchscheinen ließen, schloss der Vermittler schließlich mit über 100 klagenden Anlegern Vergleiche. So ließen sich weitere gerichtliche Niederlagen vermeiden. Allerdings war dadurch eine größere Summe nötig, mit der die Anleger entschädigt werden sollten.
Eine Teilzahlung floss dem Vernehmen nach. Eine größere Zahlung wäre demnächst fällig gewesen. Dafür jedoch hätte die Gesellschaft Geld benötigt, das sie selber nicht hatte. Denn ein Blick in den letzten Geschäftsbericht von 2024 belegt: Zuletzt machte EV Digital Invest rund 4,8 Mio. Euro Verluste. Das ist der Fehlbetrag, der dort ausgewiesen ist. Der Umsatz – hauptsächlich aus Vermittlungsprovisionen – habe sich demnach auf 3,1 Mio. Euro belaufen, zusätzlich flossen rund 164.000 Euro als „sonstige betriebliche Erträge“. Doch allein an Personalkosten gab die EV Digital Invest ebenfalls 3,2 Mio. Euro aus, weitere 452.000 Euro an Altersvorsorgeaufwendungen. Zudem sind „sonstige betriebliche Aufwendungen“ in Höhe von 4,5 Mio. Euro erfasst. Ergibt den Jahresverlust von 4,8 Mio. Euro.
Zahnärzte-Versorgungswerk schießt kein Geld mehr nach
Das Geld für die Vergleichszahlungen sollte von der Mehrheitsaktionärin kommen, das ist das Versorgungswerk der Berliner Zahnärzte. Eine Pensionskasse, die das Altersvorsorgegeld der Zahnärzte anlegt. Sie war zuletzt selbst in die Schlagzeilen geraten, weil sie andere riskante Geschäfte getätigt hatte, die zu Verlusten führten. An der EV Digital Invest hielt das Versorgungswerk kurz nach deren Börsengang 2022 einen Anteil von 93,3 Prozent. Damals kamen die Aktien für rund elf Euro auf den Markt. Inzwischen werden sie für 10 Cent an der Börse gehandelt. Ein Verlustgeschäft war die Beteiligung also schon zuvor.
Ob die Zahnärztekasse auch selber Geld bei Immobilienprojekten verloren hat, darf man rätseln. Da das Versorgungswerk der Zahnärzte nun aber offenbar kein weiteres Geld mehr zur Verfügung stellen will, mit dem die restlichen Auszahlungen aus dem Vergleich beglichen werden könnten, bleib der Crowdinvesting-Plattform nichts anderes übrig als der Insolvenzantrag.
Es ist noch offen, ob das Amtsgericht erlauben wird, dass die Insolvenz in Eigenverwaltung stattfindet. Denn die hieße gemeinhin: Die Gesellschaft wird restrukturiert und soll fortgeführt werden. Die Frage ist nur, ob dafür die Einnahmen reichen und überhaupt genug weitere Erträge fließen werden. Ob also die Firmenmasse zur Fortführung ausreicht.
Für die Anleger, die über die Plattform Investments gezeichnet haben, ist in erster Linie entscheidend, wie solvent die jeweiligen Projektentwickler (Emittenten) sind, denen sie das Geld geliehen haben. Das Problem ist jedoch: Wie sollen die Immobilienentwickler den Anlegern künftig Zahlungen zukommen lassen, falls die Vermittlungsplattform ausfällt, die alle Daten der Geldgeber erfasst hat? Hier zeigt sich einmal mehr: Nachrangdarlehen sind ein höchst riskantes Geschäft für Anleger, erst recht, wenn sie über Vermittler gezeichnet werden.
Was wird aus der Vermögensverwaltung?
Spannend wird es noch an einer weiteren Stelle: Denn die EV Digital Invest hatte im Jahr 2023 den digitalen Vermögensverwalter WeVest übernommen. An ihm hält sie laut Geschäftsbericht 100 Prozent und firmierte ihn um in EV Digital Invest Assets Management. Der Vermögensverwalter vertreibt standardisierte ETF-Portfolios zur Geldanlage, betreut aber auch wohlhabendere Kunden individuell. Erst in der jüngsten Ausgabe von Capital war der Vermögensverwalter, der mehrere hundert Kunden betreut, im Rahmen eines großen Tests mit der Höchstnote fünf Sterne ausgezeichnet worden. Vor allem diese Kunden dürften sich nun fragen, inwieweit die Insolvenz der Muttergesellschaft auf die Tochter durchschlagen könnte.
Dazu betont Björn Siegismund, Vorstand der EV Digital Invest Assets Management AG: „Die EV Digital Invest Assets Management AG hat zu keinem Zeitpunkt einen Insolvenzantrag gestellt. Ein solcher Schritt ist auch nicht geplant oder beabsichtigt.“ Sondern: „Das laufende Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung betrifft ausschließlich die EV Digital Invest AG, die Muttergesellschaft. Daraus ergeben sich keinerlei Auswirkungen auf die Verwaltung oder Verwahrung von Kundengeldern in der Vermögensverwaltung.“ Der Geschäftsbetrieb der Vermögensverwaltung „läuft uneingeschränkt weiter“.
Müssen die Kunden nun Angst um ihr Geld haben? Im Grunde nicht. Nicht einmal, falls es zu Turbulenzen kommen sollte, denn rein formell sind Vermögensverwalter nicht berechtigt, das Kundengeld direkt aufzubewahren, so sieht es das Aufsichtsrecht vor. „Die Vermögenswerte unserer Kunden befinden sich ausschließlich auf individuellen Konten und Depots bei unseren Partnerbanken – auf den Namen der jeweiligen Kunden – und sind daher nicht Teil einer Insolvenzmasse“, sagt Siegismund.
Zugriff auf Konten könnte kurzzeitig eingeschränkt sein
Es könnte generell nur sein, falls es grundsätzlich bei einem Vermögensverwalter zu einer Insolvenz käme – dass die jeweiligen bestellten Verwalter dann zunächst die Besitzverhältnisse für die verwalteten Vermögensanteile klären müssten. Während dieser Zeit könnte es sein, dass der Zugriff auf Konten teilweise nur eingeschränkt möglich wäre. Grundsätzlich aber sind die Kundengelder als Sondervermögen geschützt und sie gehören nach wie vor den Kunden selbst. Auch die Bafin muss in solchen Fällen überwachen, dass sie auch gut verwahrt würden. Zudem ließe sich das Zugriffsrecht relativ unkompliziert auf einen anderen Vermögensverwalter übertragen, wenn das der Kundenwunsch ist.