Vermögenskolumne Letzte Patrone namens Friedrich Merz

Christian Kirchner, Capital-Chefkorrespondent in Frankfurt
Christian Kirchner, Capital-Chefkorrespondent in Frankfurt
© Gene Glover
Frankfurter Finanzmanager schimpfen auf Friedrich Merz - und entlarven damit nur ihr eigenes Versagen. Sie schaffen es nicht, den Deutschen Aktieninvestments näherzubringen. Das liegt auch an ihrer manchmal unglücklichen Kommunikation

Am Finanzplatz Frankfurt haben viele einen dicken Hals auf Friedrich Merz. Der bedeutete nicht nur die für lange Zeit letzte Chance auf einen marktliberalen CDU-Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten. Merz trommelte auch für ein Steuerprivileg für den Aktienkauf. Solche Ideen liebt man in Frankfurt. Man darf sich das nicht allzu kompliziert vorstellen: Die Finanzbranche findet alle Politiker gut, die die Chance auf mehr Geschäft versprechen.

Die neue Capital
Die neue Capital
© Capital

Merz aber ließ die Chance mit einem defensiven Wahlkampf und einer müden Parteitagsrede liegen. Nun ist das Gejammer groß. Jetzt müssen sich die Aktien- und Fondslobbyisten dauerhaft mit der parteiübergreifenden Koalition der Kapitalmarktskeptiker herumschlagen.

Ist der Ärger über Merz berechtigt? Vermutlich. Die Frustration über die Lage ist es in jedem Fall. Denn der Finanzbranche ist es seit der Finanzkrise nicht gelungen, den Deutschen die Aktie näherzubringen. Die Zahl der Aktionäre liegt mit zehn Millionen niedriger als 2007. Und trotz Boom, steigender Einkommen und Nullzinsen haben die Deutschen in den letzten fünf Jahren achtmal so viel Geldvermögen, unverzinstes Bargeld und Bankeinlagen gebildet wie in Aktien investiert.

Das liegt auch an der Kommunikation der Banken und Fondsgesellschaften, die in den Neunzigern stecken geblieben ist. Sie läuft meist darauf hinaus, den Menschen ihre Fehler vorzuhalten: Euer Vermögen schmilzt! Der Zins ist weg! Inflation! Ihr braucht mehr Finanzbildung!

Wir brauchen die gesellschaftliche Enttabuisierung des Redens über Geld in der Familie, im Freundeskreis und im Job
Christian Kirchner

Das verfängt nicht. Einen fünfstelligen Betrag auf einem unverzinsten Konto empfinden nämlich viele nicht als Problem, sondern als Luxus. Das Geld ist verfügbar, sicher, flexibel – da nimmt man Nachteile in Kauf. Wie ein Bekannter von mir sagte: „Ich profitiere total von den Nullzinsen. Das Nichtkümmern kostet mich jetzt deutlich weniger als früher.“

Vor allem aber schalten Menschen nach einer Weile auf Trotz und Durchzug, wenn man ihnen immer wieder dasselbe vorbetet. Natürlich wissen wir etwa, dass es gute Gründe gibt, weniger Fleisch zu essen – aber wer sich von seinen Vegetarierfreunden gegängelt fühlt, bestellt irgendwann erst recht ein Steak.

Finanzbildung in der Schule ist auch keine Lösung

Wie also ließe sich die volkswirtschaftlich ja durchaus sinnvolle Verbreitung der Aktie fördern? Meine Vorschläge: mehr Diversität am Bankschalter – wenn Sie etwa Kunden erreichen wollen, die Tattoos und Nasenring tragen, helfen Berater, die genauso aussehen. Schluss auch mit den Belehrungen und der wissenschaftlich unbelegten Idee, Finanzbildung in der Schule wäre die Lösung. Stattdessen brauchen wir die gesellschaftliche Enttabuisierung des Redens über Geld in der Familie, im Freundeskreis und im Job.

Und eines muss auch die Finanzbranche einsehen: Sparen an sich bildet den Grundstock des Vermögensaufbaus – nicht die Sparform. Privathaushalte haben so seit der Lehman-Pleite 1900 Mrd. Euro Geldvermögen gebildet. Klar, mehr geht immer. Aber Probleme sehen wirklich anders aus.

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