Christian Kirchner ist Frankfurt-Korrespondent von Capital. Er schreibt an dieser Stelle regelmäßig über Geldanlagethemen. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen
Gut zehn Jahre ist es her, dass es ein so genannter „Sündenfonds“ in Deutschland zu einer gewissen Aufmerksamkeit brachte: Mit einer Investition in Aktien von Tabakkonzernen, Alkoholherstellern, Casinobetreibern sowie Rüstungsfirmen trachtete der in den USA aufgelegte „Vice Fund“ danach, besser als der Markt abzuschneiden. Es klang nach einem Marketinggag zur richtigen Zeit, denn in den Jahren 2000 bis 2004 schnitten defensive Branchen vorzüglich ab, nachdem sie in den Jahren zuvor im Zuge der allgemeinen Euphorie für Medien- Telekommunikations- und Technologiekonzerne verschmäht wurden.
Merkwürdigerweise liefen aber auch die vergangenen zehn Jahre sehr gut für den inzwischen in „Barrier Fund“ umbenannten Lasterfonds: Über fünf Jahre schnitt er pro Jahr 1,3 Prozentpunkte besser ab als der S&P 500 und um 2,9 Prozentpunkte besser als der Schnitt der anderen Fonds. Über zehn Jahre beträgt der Vorsprung 0,3 Prozentpunkte zum Index und 1,0 Prozentpunkte zu den Rivalen, und das jeweils nach Kosten.
Stimmt der alte Satz also doch, nach dem immer geraucht und getrunken wird? Zahlt es sich also aus, bei der Geldanlage böse zu sein?
Ja, glauben Forscher der London Business School und der Credit Suisse. In ihrem jüngst erschienenen Jahrbuch der globalen Investmenterträge haben sie sich auf Basis ihrer bis in das Jahr 1900 zurücklaufenden globalen Kursdatenbank die Aktienkursentwicklungen von so genannten „Laster-Branchen“ wie Alkohol und Tabak, aber auch die Kursentwicklung korrupter Staaten angesehen – mit erstaunlichen Ergebnissen.
Tabak- und Alkoholaktien waren langfristig erfolgreich
Demnach schnitten seit dem Jahr 1900 etwa die Aktien von Tabakkonzernen weit besser ab als der Gesamtmarkt: In den USA lieferten Tabakaktien 14,6 Prozent Gesamtrendite pro Jahr verglichen mit 9,6 Prozent Rendite für den Gesamtmarkt. Damit waren sie die rentabelste Branche überhaupt. In Großbritannien (hier lagen Daten erst ab 1919 vor) schnitten sie mit 13,1 Prozent Rendite ebenfalls weit besser ab als der breite Markt, der 10,3 Prozent pro Jahr zulegen konnte.
Ein Blick auf die Rendite der Hersteller von alkoholischen Getränken fördert nicht minder erstaunliche Ergebnisse zu Tage: Während für die USA mangels ausreichender Zahl von Unternehmen keine Daten vorliegen, war die Alkoholbranche seit 1900 in Großbritannien nach Berechnung der Credit-Suisse-Forscher die rentabelste überhaupt für Anleger: Auf einem im Jahr 1900 investierten Pfund erwuchs bis heute ein Vermögen von 243.000 Pfund. Das entspricht einer Jahresrendite von 11,4 Prozent, volle zwei Prozentpunkte pro Jahr mehr, als mit dem Gesamtmarkt zu erzielen waren.
Kurz: Die lukrativste Branche in den USA waren auf sehr lange Sicht Tabakaktien, die lukrativste in Großbritannien Alkoholhersteller.
Diese langfristige Betrachtung stützt das Ergebnis früherer Studien etwa der US-Wissenschaftler Harrison Hong und Marcin Kacperczyk, die für „Sündenaktien“ aus den Branchen Alkohol, Tabak und Glücksspiel in den USA für die Periode von 1926 bis 2006 mindestens drei Prozentpunkte Überrendite pro Jahr ermittelt haben.
„Überlebende“ vieler dramatischer Veränderungen
Warum schneiden die Sündenkonzerne dieser drei Branchen langfristig so stark ab? Die Forscher liefern dafür einige plausible Vermutungen:
Erstens laufen die Sündenbranchen nicht Gefahr, Opfer disruptiver Technologiesprünge zu werden, die andere Sektoren wie das Transportwesen, die Industrie oder Telekommunikation durchgeschüttelt haben. Es sind im besten Sinne „Überlebende“ vieler dramatischer Veränderungen in der Industrie- und Börsenlandschaft und spekulativen Übertreibungen in anderen Branchen, die kamen und gingen.
Zweitens zeichnet die „Sündenstrategie“ schlicht aus, dass sie beinahe konkurrenzlos und somit taktisch unkonventionell ist: Es gibt kaum Produkte und Investoren, selbst in den „Barrier Fund“ haben Anleger gerade einmal 290 Mio. US-Dollar angelegt. Ein Sünden-Indexfonds wurde mangels Nachfrage jüngst wieder geschlossen.
Drittens ist eine „Sündenstrategie“ natürlich auch nicht diversifiziert, bietet also zugleich höhere Chancen, aber auch höhere Risiken.
Und viertens führt der seit über einer Dekade laufende Boom an „nachhaltigen“ Anlagestrategien zu einer paradoxen Situation: So genannte „Sündenaktien“ fliegen aus vielen Portfolios und werden öffentlich stigmatisiert. Das heißt aber auch umgekehrt, dass all jene, die zugreifen, diese Aktien mit einem Abschlag auf ihren rein fundamental gerechtfertigten Wert erwerben können und dafür mittel- und langfristig belohnt werden können.
Hohe Rendite trotz Korruption
Die Forscher sind noch einen Schritt weiter gegangen und haben geprüft, ob Sündeninvestitionen sich auch auf Länderebene auszahlen. Dazu haben sie sich am globalen Korruptionsindex orientiert, der auf Basis der Daten der Weltbank ermittelt wird. Seit dem Jahr 2000 – erst ab diesem Jahr wurde das Thema Korruption sinnvoll erfasst - erzielten Anleger demnach in Ländern gruppiert nach akzeptablen, guten oder exzellenten Positionen im globalen Korruptionsindex Jahresrenditen zwischen 5,3 und 7,7 Prozent – in den korruptesten Ländern hingegen elf Prozent pro Jahr. Allerdings warnen die Forscher, dass diese Ergebnisse mit Vorsicht zu genießen seien, da sie auch ein Ergebnis der generell in dieser eher kurzen Periode starken Schwellenländerbörsen sein könnten.
Dennoch sind die Ergebnisse mehr als nur eine statistische Spielerei und natürlich auch keine Kaufempfehlung: Global wächst die Bedeutung von nachhaltigen Investments in allen Spielarten, die Ausschlusskriterien reichen von Rüstungskonzernen über Alkohol, Tabak und Glücksspiel bis hin zu Konzernen, die bei Unternehmenssteuern tricksen oder deren Behandlung von Mitarbeitern nicht den ethischen Grundsätzen der Anleger entspricht. Häufig agieren Konzerne in einer Grauzone – etwa, wenn sie ein Konglomerat mit mehreren Geschäftsbereichen sind. Für Banken und Versicherer wiederum sind Geschäftsbeziehungen zu Konzernen, die von nachhaltig orientierten Investoren stigmatisiert werden, kaum zu vermeiden.
Je größer aber nachhaltige Investments aller Art werden, desto bedeutsamer ist die Frage der Herangehensweise: Schließen Großanleger Konzerne oder gar ganze Länder schlicht aus dem Anlageuniversum aus – mit allen Folgen für die Rendite? Denn übrig bleiben dann lediglich Investoren, für die Fragen wie Unternehmensbesteuerung, Ethik im Umgang mit Mitarbeitern oder beispielsweise die Produktion von Streubomben zweitrangig sind, solange die Rendite stimmt.
Oder ist die eher aktivistische Herangehensweise nicht die womöglich lohnendere sowohl aus gesellschaftlichen als auch finanziellen Gründen: Indem Konzerne von ihren Investoren gezwungen werden, ihre Praktiken zu überdenken oder zu ändern, oder Geschäftsbereiche abzustoßen? „Wir glauben, dass eine nachhaltige Investmentstrategie sich eher auszahlt, wenn sich ähnlich denkende Anleger in ihrem Handeln koordinieren“, so der Ratschlag der Forscher.