Nadine Oberhuber ist Wirtschafts- und Finanzjournalistin. Sie schreibt auf Capital.de über Geldanlagethemen
Wahre Größe kommt ja bekanntlich von innen, so heißt es zumindest beim Menschen. Denn nur wer aus sich selbst heraus stark ist, der setzt sich auch gegen andere durch. Bei Firmen ist das im Grunde ebenso. In diesen Tagen allerdings denken immer mehr Unternehmen darüber nach, ob sie nicht zusätzliche Größe und Stärke zukaufen können. Indem sie sich mit den größten Konkurrenten zusammentun, kleinere Wettbewerber schlucken oder innovative Start-ups aufkaufen, um sich deren Ideen auf diesem Wege einzuverleiben.
Wahre Größe suchen neuerdings immer mehr Firmen durch Fusionen. In diesem Jahr ist der Appetit der Firmen so groß wie schon seit langem nicht mehr. Wir können uns auf ein großes Fressen und Gefressenwerden einstellen. Und für Anleger können dabei locker mehr als nur ein paar Krümel abfallen. Denn wenn Firmen an Größe gewinnen, lässt sich daran mitverdienen.
Die Schlacht am Firmenbuffet hat jedenfalls längst begonnen. Und genauso, wie Menschen manchmal nicht mit der Völlerei aufhören können, so scheint auch die Unternehmenswelt manchmal unersättlich. Auf einen Deal folgte zuletzt der nächste und wer gerade noch den Wettbewerber vom Markt fraß, könnte morgen schon selber gefressen werden. Die bisherige Megafusion des Jahres plant der Energieriese Shell mit der Übernahme des britischen Gasproduzenten BG Group. Dafür bot Shell einen Rekordpreis von 64 Mrd. Euro. Wenn dieser Riesendeal klappt, könnte er eine wahre Übernahmewelle in der Ölbranche auslösen, glauben Marktbeobachter. Denn viele Energiemultis leiden unter dem niedrigen Ölpreis und sind auf Dauer nicht mehr lebensfähig ohne Zusammenschlüsse.
5000 Mrd. Dollar für Zukäufe
Auch die Handelsketten- und Kaufhausbranche kam zuletzt mächtig in Bewegung: Noch ringen Edeka und Tengelmann um die Zustimmung der Behörden, die die Übernahme der Kaiser’s-Supermarktkette durch Edeka untersagten. Der Käufer wird ihnen nämlich zu mächtig. Derweil kündigte vergangene Woche der Karstadt-Übernehmer Benko an, sich auch den Konkurrenten Galeria Kaufhof einverleiben zu wollen.
In der Pharmabranche rumort es ebenfalls: Bayer hat mit der Übernahme des Privatkundengeschäfts von Merck ein wahres Fusionsfieber entfacht. Diverse andere Konzerne der Pharma- und Gesundheitsbranche wie Roche, Pfizer und Astra Zeneca sortierten sich daraufhin ebenfalls neu. Nun will auch der Agrarchemiekonzern Monsanto endlich seinen Konkurrenten Syngenta schlucken. Verdirbt sich Monsanto dabei nicht den Magen, brächte seine neue Größe auch Bayer und BASF gehörig unter Druck. Die müssten ebenfalls zulegen, um ihre Marktposition halten zu können.
Glaubt man Umfragen, grassiert derzeit ein regelrechter Heißhunger bei den Unternehmen. Mehr als jede zweite Firma weltweit plant laut Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young demnächst eine Übernahme und ziemlich genau jede zweite deutsche. Im Oktober vergangenen Jahres hatte nur rund jede vierte Firma über ihren Appetit gesprochen. Insgesamt halten die Firmen gigantische 5000 Mrd. Dollar für solche Zukäufe 2015 parat. Kein Wunder, denn die Geschäfte laufen seit geraumer Zeit gut, deshalb haben viele Firmen mit einem Teil ihrer Gewinne ihre Kriegskassen gefüttert. Und das billige Geld der Banken erleichtert ihnen zusätzlich die Aufnahme von Krediten zur Finanzierung großer Deals. Damit ließen sich schon einige Megafusionen stemmen.
Vor allem in Großbritannien, China, Deutschland und den USA machen Fusionsexperten interessante Übernahmekandidaten aus. In Europa seien die Bedingungen derzeit sogar äußerst günstig, schwärmte sogar Investorenlegende Warren Buffet jüngst und kündigte für seine Gesellschaft mindestens eine Übernahme in den nächsten fünf Jahren in Deutschland an. Nun darf man gespannt fragen, wen er sich dafür wohl aussucht.
Es gibt noch Luft nach oben
Seit vier Jahren jedenfalls zeigen die Pfeile der M&A-Analysten, die den Gesamtwert der Fusionen weltweit beziffern, steil nach oben. Ob der Trend auch 2015 anhalten würde, schien bislang umstritten. Neueste Zahlen zeigen aber: 2015 wird es zu einer noch stärkeren Firmenfressattacke kommen als 2014, wo 82.000 Deals für insgesamt 4,7 Billionen Dollar eingefädelt wurden. Um knapp zehn Prozent soll das Gesamtvolumen der Übernahmen noch einmal zulegen.
Ist das nun bedenklich? Schließlich warnen Strategen, dass große Fusionswellen stets in den Endphasen eine Hausse aufträten. Demnach könnte es also mit dem Boom am Aktienmarkt bald vorbei sein. Doch verglichen mit dem bisher volumenstärksten M&A-Jahr aller Zeiten, dem Jahr 2007, kann man noch Entwarnung geben. Denn gegen 2007 nimmt sich die Fusionitis von 2015 verhältnismäßig harmlos aus: Damals wurde etwa das Doppelte an Kapital bewegt, es ist also noch reichlich Luft nach oben.
Letzteres trifft auch für die Aktienkurse derjenigen Firmen zu, die in den Übernahmesog geraten. Sobald Gerüchte um Deals und Fusionen streuen, schießen die Kurse gewöhnlich nach oben - auch schon weit bevor Zusammenschlüsse endgültig eingetütet werden. Zuletzt waren es bei BG rund 40 Prozent, bei Syngenta 16, Stada legte 30 Prozent zu.
Wie aber ahnt man nun, wer der nächste Übernahmekandidat sein wird? Einige Gerüchte kursieren zwar immer, doch auf Einzelaktien zu setzen ist tatsächlich schwer und riskant. Denn die Gefahr ist groß, dass ein Deal in letzter Minute doch noch platzt und der Kurs einen Rücksetzer macht. Es geht aber komfortabler.
Eine ordentliche Scheibe für Anleger
Spezielle M&A-Fonds und Zertifikate bündeln in einem Papier mehrere Unternehmen, die Analysten als heiße Übernahmekandidaten handeln. Meist sind es kleinere oder mittlere Unternehmen mit großem Wachstumspotenzial. Der Akrobat Fund Europe von Axxion etwa setzt vor allem auf deutsche und europäische Firmen, allen voran Deutsche Balaton, Draegerwerk und MAN. Er ist zwar relativ teuer im Ausgabeaufschlag und bei den Verwaltungskosten, aber er hat im laufenden Jahr bereits knapp 13 Prozent zugelegt und kam in den vergangenen fünf Jahren auf eine Performance von 14 Prozent pro Jahr.
Noch besser und zudem kostengünstiger waren zuletzt die beiden Zertifikate von der französischen Bank Société Générale und der Deutschen Bank: das Indexzertifikat auf den SG M&A (SG63FU9) – es erzielte 24 Prozent auf Jahressicht – und das Corporate Event II Index-Zertifikat (DB1XVV) mit sogar 37 Prozent. Beide bündeln ebenfalls Aktien von europäischen Übernahmekandidaten. Von der Société Générale gibt es außerdem ein Indexzertifikat, das speziell auf Fusionen der Pharma- und Biotechbranche setzt (SG8PB0).
Wie lange das große Fressen in der Unternehmenswelt noch anhalten wird und die Kurse treibt, weiß natürlich niemand. Aber damit können sich Anleger wenigstens 2015 eine ordentliche Scheibe davon abschneiden. Und vielleicht auch noch im nächsten Jahr.