Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat eine ehemalige US-Bankerin zur neuen Zentralbankchefin des Landes ernannt. Es ist das jüngste Anzeichen dafür, dass Erdogan möglicherweise einen Kurswechsel bei seiner unorthodoxen Politik vollzieht, die eine schmerzhafte Krise bei den Lebenshaltungskosten ausgelöst und die Lira auf ein Rekordtief gegenüber dem Dollar hat sinken lassen.
Hafize Gaye Erkan, die bereits leitende Funktionen bei Goldman Sachs und der gescheiterten Regionalbank First Republic innehatte, wird die erste Frau an der Spitze der türkischen Zentralbank sein. Sie übernimmt das Amt von Sahap Kavcioglu, der auf Erdogans Geheiß die Zinssätze stark gesenkt hatte und nun Leiter der Bankenaufsicht wird.
Die Entscheidung des Präsidenten für Erkan kam nur wenige Tage nach der Ernennung von Mehmet Simsek zum Finanzminister – einen bei internationalen Investoren beliebten früheren stellvertretenden Ministerpräsidenten. Außerdem ernannte er Cevdet Yilmaz, der als Verfechter einer orthodoxen Wirtschaftspolitik gilt, zum Vizepräsidenten.
Vorsichtiger Optimismus bei Anlegern
Die Ernennungen haben unter Investoren vorsichtigen Optimismus geschürt, dass Erdogan, der am 28. Mai wiedergewählt wurde, angesichts der starken Belastung der türkischen Wirtschaft zu einer konventionelleren Politik übergehen könnte. Der Präsident ist ein Gegner hoher Kreditkosten, weshalb er die Zentralbank dazu gedrängt hatte, ihren Leitzins von 19 Prozent vor zwei Jahren auf 8,5 Prozent zu senken. Dadurch stürzte er das Land in eine Inflationskrise, die türkische Lira verlor gegenüber dem Dollar massiv an Wert.
Hafize Gaye Erkan ist die bereits fünfte Zentralbankgouverneurin seit 2019. Investoren und Ökonomen sind der Meinung, dass die Türkei die Zinsen deutlich anheben muss, um den rasanten Preisauftrieb zu bremsen und ausländische Investoren zurückzugewinnen, die dem Land in den letzten Jahren den Rücken gekehrt haben. Auf Dollar lautende türkische Anleihen sind im Preis gestiegen, seit klar ist, dass Simsek Finanzminister wird. Zugleich sind die Kosten für die Absicherung gegen einen türkischen Schuldenausfall gesunken.
Die neue Notenbankchefin gilt als Expertin für Risikomanagement. An der Princeton University hat Erkan in Financial Engineering und Unternehmensplanung promoviert. Sie war bei Goldman Sachs für die Analyse von Finanzinstituten zuständig, bevor sie fast acht Jahre in leitender Position bei der Regionalbank First Republic tätig war. Die 44-jährige türkischstämmige Amerikanerin erlebte ein unruhiges Ende ihrer Amtszeit bei First Republic, wo sie im Juli 2021 zur Co-Chefin ernannt worden war, ehe sie den Kreditgeber zum Jahresende verließ. First Republic wurde in diesem Jahr von JPMorgan aufgekauft, nachdem es zu einem Ansturm auf die Einlagen seiner wohlhabenden Kundschaft gekommen war.
Lira fällt um mehr als 10 Prozent
Erkan bekommt es mit einer Wirtschaft zu tun, deren Lage sich immer weiter verschlechtert. Viele Experten warnen, dass die Rücklagen der Türkei in gefährlichem Maße erschöpft seien, nachdem die Zentralbank in diesem Jahr etwa 25 Mrd. Dollar an Devisenreserven verbrannt hat, um das klaffende Leistungsbilanzdefizit zu finanzieren und die Lira zu stützen.
Die Währung ist in dieser Woche um mehr als 10 Prozent gefallen, einschließlich eines Rückgangs von 0,6 Prozent am Freitag, worin Analysten einen ersten Schritt weg von den Maßnahmen sehen, die in den vergangenen Jahren zur Verteidigung der Währung ergriffen wurden. Erik Meyersson, Chefstratege für Schwellenländer bei der schwedischen Bank SEB, warnte jedoch: Der Wechsel des bisherigen Zentralbankchefs Kavcioglu in eine neue Rolle bedeute, dass Erdogans Finanzpolitik „jederzeit zurückkommen könne“.
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