Die Hoffnungen waren groß, doch erneut soll es nicht so sein: Eigentlich rechneten Experten fest damit, dass Südkorea es in diesem Jahr endlich schafft und in den prestigeträchtigen Industrieländer-Aktienindex MSCI World aufgenommen wird. Am 22. Juni sollte der Indexanbieter MSCI das Land vom Schwellenland zum entwickelten Land hochstufen, so die Hoffnung. Doch der MSCI Global Accessibility Review vom 8. Juni trübt die Aussicht darauf nun vorab. Zu viel Verbesserungsbedarf sieht MSCI unter anderem beim Zugang zum Devisenmarkt, bei der Registrierung ausländischer Investitionen sowie bei der Lizenzierung von Indexdaten.
Dabei wäre eine Hochstufung längst überfällig, meinen einige Experten. MSCI ist neben FTSE Russell und S&P Dow Jones der einzige der drei großen Indexanbieter, der Südkorea noch als Schwellenland einstuft. „Das macht den koreanischen Aktienmarkt zu einem der billigsten der Welt“, verrät Ben Laidler, globaler Marktstratege beim Finanzdienstleister Etoro. „Mit einem voraussichtlichen Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von nur 10 liegt er 40 Prozent unter dem der USA.“
Bei einer Aufstufung durch MSCI hätte der Experte mit Zuflüssen aus schätzungsweise 1380 Fonds, die den MSCI abbilden, mit einem verwalteten Gesamtkapital von 1,3 Billionen US-Dollar gerechnet. Dabei dürften je nach Analystenschätzung zwischen 46 und 49 Mrd. US-Dollar an frischem Geld in den koreanischen Aktienmarkt fließen. Das bedeutet für Anleger umgekehrt: Auch wenn die Aufstufung zum MSCI-Industrieland dieses Jahr wieder nicht klappen sollte, sind die Einstiegschancen in den koreanischen Kapitalmarkt derzeit noch besonders günstig.
Wirtschaftswunder und KI-Profiteur
Die zwölftgrößte Volkswirtschaft der Welt hat zuletzt eine Art Wirtschaftswunder erlebt: „Die südkoreanische Wirtschaft hat sich in den vergangenen 20 Jahren verdreifacht und das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt stieg auf 33.000 US-Dollar. Das ist mehr als Spanien und schließt zu Japan auf“, erläutert Weltmarktexperte Laidler.
Diesen Boom hat das asiatische Land nicht zuletzt seinem Technologie-Fokus zu verdanken. So stammt etwa die Hälfte der Aktien im koreanischen Leitindex Kospi 200 aus dem Technologiesektor. Darunter finden sich große Namen wie Samsung Electronics, LG Display oder SK Telecom. Dabei hat der jüngste KI-Hype dem südkoreanischen Kapitalmarkt eine Rally beschert: Seit Jahresbeginn hat der Kurs des Leitindex rund 18 Prozent zugelegt. Schließlich ist Samsung der weltweit größten Chiphersteller. Auch die Nummer vier in diesem Markt – SK Hynix – findet sich an der koreanischen Börse.
In Sachen E-Mobilität ist Südkorea mit seinen beiden Autoherstellern Kia und Hyundai ebenfalls gut aufgestellt. LG Electronics stellt indes über ein Joint Venture mit dem Autozulieferer Magna International Batterien für Elektroautos her, die hauptsächlich für den US-Markt bestimmt sind.
Daneben profitiert Südkorea vom Konflikt zwischen den USA und China. Globale Unternehmen versuchen „ihre Lieferketten zu diversifizieren und weichen dabei insbesondere auf Korea, Japan und andere ASEAN-Länder aus“, sagt Salah Bouhmidi, Head of Markets beim Broker IG Europe. Dieser Effekt sei auch anhand der Entwicklung der ausländischen Direktinvestitionen in Korea zu erkennen. Diese haben laut dem Experten im Mai im Vergleich zum Vorjahr um 40 Prozent zugelegt und damit ein neues Rekordvolumen erreicht.
Exportabhängigkeit als Risiko
Koreas Stärken sind gleichzeitig seine größten Schwächen. So ist die koreanische Wirtschaft sehr exportabhängig. Eine globale Rezession könnte das Land daher hart treffen, meint Bouhmidi, ebenso wie eine zunehmende Risikoaversion bei den Investoren. Dabei könnten Schwellenländer generell unter Druck geraten.
Daneben sieht der Kapitalmarktexperte die Abhängigkeit Koreas zu China als Risiko für den südkoreanischen Markt. „China ist der mit Abstand größte Handelspartner Koreas und chinesische Unternehmen und chinesisches Kapital spielen eine große Rolle für die koreanische Ökonomie“, erläutert der Experte. „Sollte die laufende Öffnung Chinas nicht den erhofften Konjunktur-Boost bringen, würde dies wahrscheinlich auch negative Auswirkungen auf den koreanischen Aktienmarkt haben.“
MSCI-Hochstufung kann nach hinten losgehen
Ob es mit der MSCI-Hochstufung klappt oder nicht, hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Seit dem Jahr 1992 ist Südkorea Teil der MSCI-Emerging-Markets-Indices und bereits seit dem Jahr 2009 auf der Beobachtungsliste für ein mögliches Upgrade in die MSCI-Developed-Markets-Indices. Im Jahr 2014 verlor das Land sogar zwischenzeitlich seinen Beobachter-Status. „Aktuell gibt es vor allem Differenzen zwischen dem globalen Indexanbieter und der südkoreanischen Börse, die befürchtet, von MSCI lizensierte Produkte könnten dem lokalen Handel schaden“, erläutert Bouhmidi. „Grundsätzlich hängt die Einstufung heute mindestens ebenso von derartigen Faktoren ab wie von der Wirtschaftsleistung eines Landes, der Marktkapitalisierung oder den täglichen Börsenumsätzen.“
Gelingt die Aufnahme in den MSCI nicht, könnte das nicht nur Fluch, sondern auch Segen für die koreanische Börse sein. Das Beispiel Israel hat bereits gezeigt, wie eine solche Aufstufung nicht immer den gewünschten Effekt hat: „Dort hat die Heraufstufung im Jahr 2010 anders als erwartet zu massiven Kapitalabflüssen geführt“, sagt Bouhmidi. „Sowohl die Börsenumsätze als auch die Marktkapitalisierung gingen dramatisch zurück.“
Südkorea würde bei einer Aufstufung vom großen Fisch im kleinen Teich zum Underdog bei den großen Playern werden: Im MSCI Schwellenländerindex ist Südkorea mit einer Gewichtung von 12 Prozent nach China, Taiwan und Indien der viertgrößte Markt. Bei den entwickelten Märkten würde das asiatische Land laut Schätzungen mit einer Gewichtung von 1,5 Prozent einsteigen.
Wie sich die Aufnahme in den MSCI nun tatsächlich auf Südkoreas Kapitalmarkt auswirkt, bleibt abzuwarten. Wie es aktuell scheint, müssen sich Anleger allerdings noch länger gedulden als gedacht.