Der große Absturz der Kapitalmärkte in Asien, Europa und den USA ist zwar schon eine Weile her. Aber am Aktienmarkt bleibt es unruhig. Immer neue Hiobsbotschaften in Form von Konjunkturdaten und Gewinnwarnungen drücken auf die Indizes. Dass die Einzelhandelsumsätze in den USA im März um 8,7 Prozent heftiger als erwartet eingebrochen waren, trieb Anleger am Mittwoch aus Aktien, der S&P 500 brach um knapp drei Prozent ein. Dabei lautet der Expertenrat doch, einen kühlen Kopf zu bewahren und die Erholung abzuwarten.
Aber Panik ist menschlich und treibt uns zu irrationalen Entscheidungen. Eine Ursache ist die sogenannte „selektive Wahrnehmung“. Das Gehirn leitet seine Erwartungen an die Zukunft aus der kurzfristigen Geschichte ab. „Lief es in den letzten Tagen und Wochen schlecht, gehen Menschen intuitiv davon aus, dass es so weitergeht“, erklärt Olaf Stotz, Professor für Vermögensverwaltung an der Frankfurt School of Finance and Management .
Menschen nehmen zudem Schmerz über Verlusten intensiver wahr als Freude über Gewinne. Das von den Kapitalmärkten ausgehende Risiko wird überproportional wahrgenommen. Dagegen schrumpft die Fähigkeit, sich eine positive Zukunft vorzustellen.
Langfristige Perspektive gegen kurzfristige Unsicherheit
Wer also von den Gefühlen überrollt wird, sollte Langfristigkeit in seine Gedanken bringen und den Blick von der Momentaufnahme fallender Kurse abwenden. Wie sieht die Welt in einem Jahr aus? Die Erfahrung zeigt, dass auch nach der schlimmsten Krise die Kurse irgendwann wieder das Vorkrisenniveau erreicht haben. Gut, nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 hat das 25 Jahre gedauert. Aber zwischen der Bewertungskorrektur von 1987 erholte sich der Aktienmarkt binnen zwei Jahren und nach der Finanzkrise 2008 binnen vier Jahren. Weil die Notenbanken auch in dieser Krise die Kapitalmärkte mit Geld fluten, dürfte das Vor-Corona-Niveau deshalb auch in wenigen Jahren wieder erklommen sein.
Nicht zu vergessen ist, dass jede Krise auch positive Aspekte hat. „Wenn ich jetzt günstig Aktien kaufe, verbessere ich meine Chancen auf Rendite in der Zukunft“, meint Stotz
Hinter einer Abkehr vom Aktienmarkt in Zeiten fallender Kurse steht jedoch auch eine Form der Nutzenmaximierung. „Manchen ist ein guter Schlaf wichtiger als ein paar Euro mehr oder weniger“, sagt Stotz. Vor allem risikoaverse Menschen haben in Krisenphasen einen großen Wunsch nach Stabilität – den sie sich durch den Verkauf der in schwankenden Märkten so riskant erscheinenden Aktien erfüllen.
Kompetentes Handeln in stabiler Umgebung
Der berühmte Verhaltensökonom Daniel Kahnemann hat über Kompetenz eines Experten gesagt, dass sie nur vorhanden sei, wenn „in der für seine Expertise relevanten Umgebung stabile Regelmäßigkeiten herrschen“. Deshalb streben Profianleger in Crashzeiten nach Sicherheit.
Auch bei der französischen Vermögensverwaltung Comgest stehen die Fondsmanager unter Druck, wenn die Märkte abrauschen. Da alle Investment-Entscheidungen im Team getroffen werden, trägt aber keiner die Verantwortung für Neupositionierungen alleine. „Psychologisch ist das in starken Marktkorrekturen, wie es bei Covid-19 der Fall ist, ein Vorteil gegenüber Konkurrenten, wo ein einzelner Star-Fondsmanager entscheidet“, sagt Wolfgang Fickus aus dem Investment-Komitee. Die Teams seien gemischt zusammengesetzt, Frauen, Männer, unterschiedliche Nationalitäten sowie jung und alt treffen aufeinander – das wirke ebenfalls stabilisierend.
Privatanleger stehen meist alleine da. Ein virtuelles Team aus Experten kann sich trotzdem jeder zusammenstellen. Volkswirte und Investoren aus Fondshäusern und Banken melden sich besonders in Krisenzeiten mit Einschätzungen zu Wort. Nicht jede Stimme ist besonnen und hilfreich. „In Krisenzeiten hören wir viele Marktmeinungen. Die spielen für uns aber keine große Rolle.“, erklärt Fickus das Vorgehen bei Comgest.
Private Anleger sollten sich auf maximal drei in den Medien vertretene Personen fokussieren. Die Psychologie bezeichnet das als Nudging. „Dabei delegieren Privatanleger das rationale Denken weiter“, sagt Verhaltensökonom Stotz.
Bei der eigenen Strategie bleiben
Sinnvoll im „virtuellen Team“ sind Vorbilder, an deren Anlagestrategie sich der private Investor bereits in der Vergangenheit orientiert hat. So viel dann auch bei Comgest über mögliche Umschichtungen in den Portfolien diskutiert wird, ein Abweichen von der Strategie kommt nicht infrage. „Wir konzentrieren uns auf wenige Unternehmen“, sagt Fickus. Diese kennen die Fondsmanager teilweise seit Jahren und wissen, wie sie durch vergangene Krisen gekommen sind. Sie stehen in direktem Kontakt mit dem Management und können sich eine Einschätzung zur aktuellen Situation geben lassen. „Wir analysieren dann, wie die Unternehmen cashseitig durch die Krise kommen“, sagt Fickus. Da der Anlagehorizont bei fünf Jahren liegt, bleiben die Fondsmanager auch in der Krise tendenziell investiert. „Wir haben einen sehr stabilen Prozess. Der entgleist nicht, auch nicht in Krisenzeiten“, sagt der Fondsmanager.
Solche Strukturen wie bei Comgest sprechen für eine erweiterte Form des „Nudgings“: Die Vermögensverwaltung an Profis delegieren. Dazu rät etwa Hermann Wonnebauer, Vorstandsvorsitzender der Zürcher Kantonalbank Österreich: „Privatanleger sehen eben nicht nur den Wert im Depot, sondern die dahintersteckende jahrelange Arbeit, den Verkauf einer Firma oder das Gesparte des Großvaters. Dadurch fehlt eine gesunde, emotionale Distanz zum Geld im Depot. Bei Kursstürzen kann es infolgedessen zu Kurzschlusshandlungen kommen, die man später bereut.“
Verhaltensökonom Stotz sieht das skeptisch: „Auch ein Fondsmanager kann einen solchen Crash nicht vorhersehen.“ Und auch Profis versuchen dann die Verantwortung für Verluste zu delegieren. „Sie müssen die Situation aber akzeptieren und den Crash in ihr Handeln integrieren.“ Und das können auch Privatanleger, wenn sie ihr Depot nicht aufgeben wollen. Mit viel Übung können selbst emotionale Menschen lernen, den Kapitalmarkt nüchtern zu betrachten.
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