Kürzlich las ich einen Artikel, in dem die Lage einer alleinerziehenden Mutter geschildert wurde. Der Vater der Kinder überwies nur ab und an Kindesunterhalt und noch nicht mal den Mindestsatz. Weil die Mutter auf den monatlichen Unterhalt in voller Höhe bestand, drohte er, er werde seine Arbeit so reduzieren, dass er gar nicht mehr zahlen müsse. Die Mutter bekam Existenzangst. In diesem Zusammenhang fiel ein Begriff: finanzielle Gewalt.
Ein treffender Begriff. Weil es einem Gefühl einen Namen gibt, das ich aus Erzählungen von Frauen kenne, mancher Freundin und Bekannten. Meist sind es alleinerziehende Mütter oder Frauen, die in Ehen oder Partnerschaften leben und deren Männer ihre finanzielle Überlegenheit und die ökonomische Abhängigkeit der Frauen ausnutzen. Subtil oder ganz offen. Macht ausüben über Geld. Ein gesellschaftliches Tabu; Ursachen und Folgen werden in soziologischen Studien beschrieben, der Begriff aber selten verwendet: finanzielle Gewalt.
Katharina Martin hat 2005 ein Buch über Formen der finanziellen Gewalt geschrieben „Bis das Geld euch scheidet“ und den Begriff vertieft. Definieren lässt sich finanzielle Gewalt als finanzielle Abhängigkeit, die missbraucht wird – von Ehepartnern, Vätern, Eltern durch Traditionen, alte Rollenbilder, gesellschaftliche Normen, Gesetze und Helfershelfer:innen in Banken, Anwalts- und Notarskanzleien, auf Richterbänken.
Er fährt Ski, sie muss beim Essen und der Kinderkleidung knapsen
Grenzüberschreitend ist bereits, wenn Frauen mit Kindern bei der Haushaltsführung überall knapsen müssen, die Männer sich als Alleinverdiener aber schicke Autos kaufen. Oder wenn ein junger Vater mit seinen Kumpels in den Skiurlaub fährt, während die Mutter mit dem Elterngeld das Essen der Familie und die Ausgaben der Kinder bestreitet und kein Geld mehr für ihre normale Kosmetik hat, weil er gemeinsames Geld ablehnt. Auch das Unwissen darüber, wieviel der Partner verdient, ob Familienvermögen da und wie es angelegt ist, auch das ist finanzielle Gewalt. Oder der Ehevertrag, in dem die Frau einer Gütertrennung ohne Ausgleich zustimmen soll. Dadurch werden absichtlich Verfügungs- und Machtgefälle hergestellt, die die Ansprüche und Rechte einer Partei verletzt.
Der Frau vorzuschreiben, wegen der Kinder nicht erwerbstätig sein zu dürfen, ein eigenes Konto zu verbieten oder den Zugriff auf das gemeinsame Konto zu unterbinden oder schlicht die Arbeitskraft im Familienbetrieb auszunutzen – alles das sind Spielarten von finanzieller Gewalt. Hier werden persönliche Grenzen überschritten bei ungleicher Machtverteilung. Oft verbunden mit manipulierenden Worten – auch des Umfeldes – wie: „Vertraust du mir/ihm nicht?“, wenn Männer beispielsweise ihre Frauen dazu drängen wollen, einen Kreditvertrag ebenfalls zu unterschreiben, obwohl der Kredit der Firma des Mannes zugutekommt und die Frau im Zweifel den Kredit als Schuldenberg allein zurückzahlen muss, weil die Firma pleitegegangen und er privatinsolvent ist.
Vielleicht kennen Sie auch so einen Fall: Väter heben das Geld von den Konten ihrer Kinder ab, um für sich etwas zu kaufen. Klassisch sind auch Arrangements, in denen die Frau wegen der Kinder zu Hause im neu gekauften Eigenheim bleibt, ihre Lebensversicherung zugunsten der Tilgung der Hypothek pausiert, sie keine Beiträge in die Gesetzliche Rentenkasse zahlt und das Paar noch nicht mal verheiratet ist – während bei ihm im Vollzeitjob die Rentenansprüche wachsen, eine Betriebsrente angespart wird und das Haus auf seinen Namen läuft. Bei der Trennung steht sie finanziell mit nichts da.
Finanzielle Gewalt ist gesellschaftliche Normalität
Öffentlich nehmen wir finanzielle Gewalt kaum wahr. Sie passiert im Stillen, im Privaten. Wer beispielsweise auf die Internetseiten des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend klickt und dort nach „Gewalt“ sucht, findet sehr gute Hintergrundinformationen zu Formen der Gewalt und wie sie zu erkennen sind. Finanzielle Gewalt fehlt. Dabei sind gerade alleinerziehende Mütter dieser Gewaltform überdurchschnittlich oft ausgesetzt oder Mütter in Beziehungen – also Familien, Frauen und Jugendliche.
Vielen Frauen ist nicht bewusst, dass ihnen Gewalt über den ökonomischen Hebel angetan wird. Sie fühlen sich zwar schlecht, empfinden Wut oder Ohnmacht, haben aber kein Wort dafür, was ihnen widerfährt; es findet sich in keinem Gesetz. Und es fehlen Gesetze, die finanzielle Gewalt unterbinden. Ich habe keine Studie gefunden, die sich explizit mit finanzieller Gewalt auseinandersetzt. Dabei ist sie in vielen Beziehungen und Familien zu Hause. Auch deshalb, weil wir als Gesellschaft, mit- und untereinander, so wenig über Geld reden und das, was sich damit verbindet, also auch die negativen, schambesetzten Gefühle.
Wie Frauen sich aus der finanziellen Gewalt befreien
Finanzielle Gewalt schwächt das Selbstbewusstsein und ist erniedrigend. Ein erster Schritt, sich daraus zu befreien, ist, das mulmige Gefühle wahrzunehmen und es auch ernst zu nehmen. Und sich Quellen zu suchen, die einer Frau neues Selbstbewusstsein und finanzielle Ressourcen geben. Das ist in erster Linie eine eigene Erwerbstätigkeit. Entweder als Teilzeit oder eine Ausbildung – und als Vollzeitstelle für den nächsten Schritt aus einer gering bezahlten Tätigkeit. Entscheidend ist auch, sich Finanzbildung anzueignen, um die Gewalt schneller zu erkennen und gegenzusteuern. Ebenso wichtig ist es, um Hilfe zu fragen – auch rechtliche – und mit anderen über die eigene Situation sprechen.
Von finanzieller Gewalt sind vor allem Frauen betroffen, Männer eher selten. Das liegt am männlichen Einverdienermodell, das in Deutschland immer noch präsent ist, an der geringeren Bezahlung von Frauen, ihren geringeren Karrierechancen durch Muttersschaft und auch z.B. der Steuergesetzgebung. Das alles beeinflusst die Machtverhältnisse in Beziehungen und Familien.
Familien sind ein Team, das zusammenarbeitet und nicht gegeneinander agiert.