Interview Elroy Dimson: „Jeder kann anlegen wie ein Staatsfonds“

Elroy Dimson ist Professor der Cambridge Judge Business School an der Universität Cambridge
Elroy Dimson ist Professor der Cambridge Judge Business School an der Universität Cambridge
© Dan Wilton
Elroy Dimson ist der prominenteste Finanzhistoriker der Welt. Im Interview erklärt der Brite, warum Aktien besser sind als Immobilien – und warum Privatanleger über ihre neuen Möglichkeiten eigentlich jubeln müssten

Herr Dimson, deutsche Anleger kaufen wie verrückt Immobilien, scheuen aber nach wie vor Aktien. Halten Sie das historisch betrachtet für klug?

Unter Renditeaspekten fällt es mir schwer, mich für Immobilien zu begeistern. Allerdings bin ich Ökonom und kein Anlageberater. Für die persönliche Vermögensplanung kann ein Haus sehr sinnvoll und disziplinierend sein. Meine Kollegen und ich haben uns aber die Wertentwicklung von Immobilien in elf großen Ländern seit 1900 angesehen – und festgestellt, dass global der Wertzuwachs lediglich ein Prozent pro Jahr betrug. Brutto! Netto dürfte die Entwicklung im Schnitt bei minus zwei Prozent pro Jahr gelegen haben.

Ist das nicht sehr pessimistisch? Vor zwei Jahren kam eine Langzeitstudie zu dem Ergebnis, dass Immobilien rentabler sind als Aktien.

Ich teile diese Schlüsse nicht. Immobilien haben stets auch Unterhaltungs- und Versicherungskosten. Dazu gibt es einen natürlichen Qualitätsverlust, etwa bei der Ausstattung und Verkabelung. Früher gab es weder Strom noch Toiletten in allen Wohnungen, man muss also laufend investieren. Dann greifen noch statistische Phänomene: Weil das Langzeit-Datenmaterial besonders in Metropolen gut ist, neigen Akademiker dazu, ländliche Gegenden statistisch unter den Tisch fallen zu lassen. Und fairerweise müssen bevölkerungsreiche Länder wie die USA, wo der Wert von Immobilien seit 1900 real nur um 0,3 Prozent pro Jahr stieg, bei der Berechnung der Durchschnittsrenditen stärker gewichtet werden. Wenn man das alles berücksichtigt, landet man bei minus zwei Prozent im Jahr. Nimmt man mögliche Mieteinnahmen dazu, die allerdings statistisch schwer zu erfassen sind, landen Immobilien vom Gesamtertrag her eher zwischen Aktien und Anleihen.

Ist das ein Plädoyer für Aktien?

Mit Blick auf den Wertzuwachs: ja. Hier waren weltweit im Schnitt real knapp fünf Prozent plus pro Jahr drin. Vor allem können Sie bei Aktien inzwischen dank Indexfonds extrem günstig und global über Tausende Unternehmen gestreut anlegen. Das senkt das Risiko. Mit Immobilien geht das nicht.

Haben Sie eine Erklärung, warum die Deutschen trotzdem so aktienscheu sind?

Ich habe zumindest eine Vermutung. Historische Erfahrungen mit Anlagen prägen, das ist gut belegt. Die Deutschen haben gleich zweimal Hyperinflationen erlebt, bei denen ihr ganzes Spar- und Anleihevermögen ausradiert wurde: 1922 und dann noch einmal 1948. Die erste hatte übrigens auch für meine Familie Auswirkungen.

Schlimme?

Nein – gute! Meine Großmutter machte gerne Urlaub in deutschen Kurorten. In den frühen Zwanzigern fuhr sie mit ihrem Mann für eine Woche nach Berlin – und meinen Großvater traf fast der Schlag, als er den Urlaub am Ende quasi geschenkt bekam. Der Wert des Pfunds war binnen Tagen so stark gestiegen, dass der vereinbarte Preis in Mark mit ein paar britischen Münzen abgezahlt war. Die Geschichte rieb er mir oft unter die Nase: „Elroy, du hast deine Charts, aber ich weiß, wie es wirklich war.“

Des einen Freud, des anderen Leid: Für die Deutschen bedeutete die Inflation horrende Verluste.

Man vergisst leicht, dass auch die Aktienmärkte schwer getroffen wurden. Wer um 1900 sein Geld in deutsche Aktien investiert hatte, sah real erst 1954 seinen Einsatz wieder. Auch in Ländern wie China und Russland wurden Vermögen komplett ausradiert. Verständlich, dass solche Erfahrungen Menschen risikoscheu machen.

Inflationstraumatisierte Völker wie die Deutschen entwickeln also einen Hang zu Immobilien?

Eine gefährliche Logik! Bei Aktien sind Wertschwankungen gut sichtbar, weil Aktien laufend gehandelt werden. Immobilienpreise schwanken ebenfalls, aber man sieht es nicht so, weil es nur wenige Transaktionen gibt. Die Volatilität von Immobilienpreisen wird deshalb drastisch zu niedrig ausgewiesen.

Infogram

Die Aktienkurse steigen seit nunmehr neun Jahren, die Bewertungen sind historisch hoch. Macht Ihnen das keine Sorgen?

Hohe Bewertungen sind nicht automatisch ein Verkaufssignal. Ohne Frage haben die niedrigen Realzinsen dazu beigetragen, dass der Wert aller möglichen Anlageobjekte zuletzt deutlich gestiegen ist: Aktien, Immobilien, aber zum Beispiel auch Geigen, Kunst und Weine. Das ist auch nicht sehr überraschend: Zum einen kostet Geld nicht viel, zum anderen entgehen einem auch nicht viele Zinsen, wenn man es irgendwo anlegt, anstatt es herumliegen zu lassen. Wenn Sie auf Geld sichere drei Prozent Zinsen bekommen, stecken Sie es nicht so schnell in eine Kiste Wein oder eine Immobilie. Aber bei null Prozent – warum nicht?

Sobald die Zinsen steigen, müssen Börsenanleger also aufpassen?

So simpel ist der Zusammenhang nicht. Wir haben uns angesehen, wie Aktien in den letzten 120 Jahren abhängig von der Zinsentwicklung abgeschnitten haben. Das Ergebnis ist eindeutig: Je höher die Realzinsen, desto höher der Aktienertrag in den nächsten fünf Jahren. Lediglich die Entwicklungsrichtung der Zinsen hat einen negativen Einfluss: In Phasen steigender Zinsen haben es Aktien zunächst schwer. Aber höhere Realzinsen sind bessere Voraussetzungen, um mit Aktien Rendite zu machen. Niemand muss also Angst vor steigenden Zinsen haben. Ist ja auch naheliegend: Wenn Geld wieder etwas knapper wird, wollen Menschen stärker dafür belohnt werden, dass sie es in Unternehmen stecken.

Knapp ein Jahrzehnt lang waren Sie Berater des norwegischen Staatsfonds. Unter Ihrer Mitwirkung stieg die Aktienquote dieses nun eine Billion Dollar schweren Fonds von anfangs 40 auf zuletzt 65 Prozent. Würden Sie diese Quote auch Privatanlegern empfehlen?

Der Vergleich hinkt etwas, da ein Staatsfonds ja quasi auf ewig investiert. Aber für einen typischen Privatanleger, der sein Geld für 15 bis 20 Jahre anlegt, würde ich sagen: Ja, das ist eine gute Quote für alle Anleger mit einem langen Horizont. Zumal die meisten Privatinvestoren gar nicht zu schätzen wissen, dass sie inzwischen so gut und günstig anlegen können wie ein billionenschwerer Staatsfonds. Das ist doch fantastisch!

Der Staatsfonds steht keinen Privatanlegern offen.

Der Fonds nicht, aber seine Strategie. Ein Staatsfonds verteilt sein Geld auf 8000 bis 10.000 Aktien weltweit – für etwas unter 0,1 Prozent Gebühren im Jahr. Privatanlegern steht dank günstiger Indexfonds annähernd die gleiche Strategie offen: Tausende Aktien aus der ganzen Welt für nur 0,15 Prozent Gebühren im Jahr. Eine bescheidene Summe für historisch betrachtet fünf Prozent Gesamtertrag nach Inflation, oder?

Sollte man in schwierigeren Märkten nicht lieber auf aktive Manager vertrauen als auf stumpfe Indizes?

Der Großteil der Aktienerträge stammt aus Dividenden, sie haben sich langfristig auf drei bis vier Prozent pro Jahr summiert. Sie brauchen sehr gute Argumente, wenn Sie ein bis zwei Prozent Gebühr pro Jahr für einen aktiven Fonds zahlen, der Ihnen einen großen Teil der Erträge gleich wieder abnimmt. Ich würde es im Zweifel nicht tun. Lassen Sie lieber die Zeit für sich arbeiten. Mit Geduld verdienen Sie fast sicher Geld mit einer breiten, globalen Aktienanlage, selbst wenn Ihr Einstieg ein schlechtes Timing hat. Ich weiß noch, wie 1999 jeder New Yorker Taxifahrer seinen Gästen ungefragt Anlagetipps gab. Das wäre ein ganz schlechter Kaufzeitpunkt gewesen, es folgten zwei Crashs binnen zehn Jahren. Trotzdem hat sich die Investition in Aktien ausgezahlt, wenn Sie seit damals dabeigeblieben sind.

Sollte man nicht wenigstens ein bisschen nachhelfen, indem man im Portfolio wachstumsstarke Länder wie China übergewichtet?

Auch da muss ich Sie enttäuschen. Es gibt historisch betrachtet keinen belegbaren Zusammenhang zwischen dem erwarteten Wirtschaftswachstum und den Aktienmarktrenditen – auch wenn die Marketingabteilungen der Finanzkonzerne das gerne behaupten, etwa mit Blick auf Schwellenländer und die sogenannten Bric-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China. Es ist sogar umgekehrt so, dass die höchsten Aktienmarktrenditen historisch betrachtet immer da zu verdienen waren, wo das Wachstum in den Jahren zuvor am schwächsten und entsprechend auch die Prognosen im Keller gewesen waren. Dort wurden in den folgenden fünf Jahren dann Renditen von rund 25 Prozent pro Jahr erzielt. Das ist ja auch plausibel: In der Regel geht es da um kollabierte Aktienmärkte mit extrem niedrigen Bewertungen. Deutschland 1948 war zum Beispiel so ein Fall …

… für verrückte Hasardeure, ja.

Halten Sie mich nicht für einen weltfremden Akademiker. Ich kann mir durchaus das Gesicht des Anlegers vorstellen, dessen Berater 1948 sagte: Wir stecken jetzt mal ein Viertel deines Aktienvermögens in deutsche Standardwerte. Meine einfache Haltung ist: Lassen Sie den Gesamtmarkt mit einem diversifizierten Portfolio für sich arbeiten, und halten Sie sich nicht zu viel mit Details auf.

Was gehört denn in ein richtig breites Portfolio – etwa auch Gold und Silber?

Gold hat sich historisch betrachtet einfach fürchterlich geschlagen. Real betrug die Rendite seit 1900 gut ein Prozent im Jahr. Bei einem starken inflationären Schub sichert es Ihnen gerade mal die Kaufkraft. Falls das Ihre Prognose ist, dann ist Gold ein guter Wertspeicher. Mehr aber auch nicht. Der langfristige Ertrag von Gold und Silber liegt unter dem von kurzfristigen Spareinlagen. Gold verzinst sich nicht, und die entgangenen Zinsen sind quasi die Versicherungsprämie, die Sie für den Inflationsschutz zahlen. Den haben Sie aber bei anderen Vermögenswerten auch automatisch, wenn Sie Zeit mitbringen.

Sie beschäftigen sich als Historiker mit den Renditen aller nur möglichen Anlageformen. Was halten Sie von Bitcoins?

Es gibt Hunderte von Kryptowährungen. Viele sind blanker Betrug, manche schlimmer als Betrug. Ich traue mir keine Prognose zu, was Bitcoins in ein paar Jahren wert sein werden. Sie als Investment zu betrachten erfordert auch einiges an Vorstellungskraft. Allerdings gibt es definitiv einen Bedarf für ein technologisches Vehikel, das rasche Zahlungen in verschiedenen Währungen ermöglicht. Es ist eine Qual, Geld oder Schecks etwa zwischen den USA und Deutschland oder zwischen Japan und Großbritannien zu transferieren – die sind manchmal Tage, wenn nicht Wochen unterwegs. Das geht mit Bitcoins schnell und verlässlich. Genau deshalb forschen auch die Zentralbanken an neuen Vehikeln. Einen gewissen Hang zu kleinen, praktischen, tragbaren Wertspeichereinheiten hatten Menschen übrigens schon immer. Es gibt eine schöne Studie über Kunst als Kryptowährung. Die Autoren haben sich dabei mit dem Preis von Kunstgegenständen während des Zweiten Weltkriegs in Frankreich beschäftigt. Es gab einen klaren Zusammenhang zwischen Größe und Wert – je kleiner und damit tragbarer, desto wertvoller.

Herr Dimson, jenseits aller strategischen Ratschläge hätten wir gerne noch einen konkreten Anlagetipp von Ihnen.

Ich bin ein großer Freund von Nachsteuerrenditen. Unter dieser Voraussetzung sind Investitionen in die persönliche Bildung extrem renditestark – denn niemand besteuert Ihren Zugewinn. Und wenn Sie glauben, dass es für Sie selbst schon zu spät ist: Investieren Sie einfach in die Bildung Ihrer Kinder.

Das Interview ist in Capital 07/2018 erschienen. Interesse an Capital? Hier geht es zum Abo-Shop , wo Sie die Print-Ausgabe bestellen können. Unsere Digital-Ausgabe gibt es bei iTunes und GooglePlay

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