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Aktienmarkt Eine Rally, der keiner glaubt

Kurstafel an der Frankfurter Börse (Archivbild)
Kurstafel an der Frankfurter Börse (Archivbild)
© Hans-Günther Oed / IMAGO
Die Kurse an den Aktienmärkten streben weiter schnurstracks bergauf – das ist schön, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, wie fragil diese Rally ist. Viele Vermögensmanager nutzen deshalb die Gelegenheit, sich jetzt defensiver aufzustellen

Normalerweise müssten ja die Korken knallen: Die vierte Woche in Folge hat der deutsche Leitindex Dax die 10.000-Punkte-Marke verteidigt. Am Ende dieser Woche steht er nun recht solide bei knapp 10.800 Punkten da. Das kann man angesichts des Absturzes um 300 Punkte, den er zwischen Donnerstagabend und Montagfrüh hingelegt hatte, durchaus als größeren Gewinn verbuchen. Denn so endet er diese Woche ungefähr wieder dort, wo er auch vor einer Woche bereits stand. Und gemessen an dem Tiefststand von Ende März ist es sogar ein gigantischer Wiederaufstieg um rund 2400 Punkte. Was also zuerst niemand so recht geglaubt hatte, zeichnet sich inzwischen deutlicher in den Kursen ab: Es geht anscheinend erst einmal längerfristig wieder bergauf an den Börsen. Zumindest zurzeit. Und die Aufholgeschwindigkeit ist dabei gewaltig.


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Denn so groß der Schock auch darüber war, dass die weltweiten Leitindizes von Mitte bis Ende März rund 40 Prozent nachgaben, (den deutschen Dax traf es am schwersten mit minus 40 Prozent, der Eurostoxx verlor 38 Prozent, der Dow Jones 37 Prozent, der S&P500 immerhin 35 Prozent) ... inzwischen haben sie sich alle wieder gut erholt. Derzeit ist der Dax nur noch 22 Prozent unter Wasser, der Dow 20 Prozent, der S&P 500 sogar nur 16 Prozent. Lediglich der Eurostoxx schwächelt mit minus 25 Prozent noch etwas. Aber das wird schon, sagen zumindest die positiv Gestimmten unter den Analysten. Guckt man sich also an, welche Wertsteigerungen die Indizes allein im April hingelegt haben, dann ist das gigantisch: Plus 30 Prozent machte der Markt. Damit entsprach er im Grunde genau den Erwartungen, die Statistiker so formulieren: Direkt nach einem Absturz setze eine Erholung üblicherweise nicht nur unerwartet ein, sondern vor allem auch unerwartet stark.

So gesehen also wäre das der Moment, die Korken knallen zu lassen: 30 Prozent Kursplus und der Beginn einer Erholung – das ist doch ein Grund zum Feiern, oder nicht? Diesmal vielleicht eher nicht. Das glauben zumindest sehr viele Marktbeteiligte und Analysten . Jedenfalls ist auffällig, dass die allerwenigsten Investmentgesellschaften und Vermögensverwalter derzeit tatsächlich in Feierlaune sind. Stattdessen kommentieren viele den Markt zurzeit so: Eine „unüberzeugende Rally“ sei das. Eine „zweifelhafte Erholung“. Es gebe „viele verbleibende Unsicherheiten“. Deswegen wäre zu viel Zuversicht „fehl am Platze“. Aktuelle Auswertungen signalisierten eher „das Risiko eines möglichen Rückschlages“, so bewertet es NN Investment Partners.

Die schlechten Nachrichten kommen erst noch

Warum sie alle so skeptisch sind? Weil die Zahlen zur Industrieproduktion und zu den Auftragseingängen für das erste Quartal erst „das halbe Desaster“ offenbarten, so drückt es die DWS derzeit sehr treffend aus. Schließlich wird ein Großteil der wirtschaftlichen Einbußen erst in den Bilanzen des zweiten Quartals sichtbar sein, also Ende Juni. Weil das erste Quartal in vielen Ländern ja höchstens zwei Wochen Lockdown beinhaltete. Aber, so pragmatisch sieht es offenbar der Investmentmanager Federated Hermes, „lieber ernüchternde Prognosen als gar keine.“ Das scheint wohl auch die Auffassung vieler Investoren gewesen zu sein, weshalb sie schon bald nach der Veröffentlichung erster Geschäftseinbruchszahlen im April bereits wieder in größerem Umfang zu Aktien griffen.

Es stimmt, noch schlimmer wäre es gewesen, die Unternehmen hätten ganz mit den Prognosen aufgehört und gleich sämtliche Ausblicke aufs laufende Jahr kassiert – statt sie nur gehörig herunterzustutzen. Das hätte dann wohl für noch mehr Unsicherheit am Markt gesorgt. Nun heißt das aber beileibe nicht, dass in den bisherigen Prognosen bereits das volle Ausmaß der Katastrophe enthalten ist. Im Gegenteil. Viele Unternehmen werden in den kommenden Wochen und Monaten noch einmal nachjustieren und ihre Umsatz- und Gewinnprognosen weiter nach unten schrauben müssen. Das darf als sicher gelten. Und das wird auch sicher noch einmal zu einer Neubewertung bei vielen Aktien führen.

Zudem werfen einige Assetmanager derzeit die Frage auf, ob die Corona-Krise auch darüber hinaus – also weit über die Anpassung der Einzelzahlen und Bewertungen hinaus – zu größeren Umwälzungen führen könnte. Bei den Investoren, bei den Anlegern, bei den Konsumenten. Viele halten es für sehr wahrscheinlich, dass viele Menschen ihr Verhalten in den kommenden Monaten anpassen werden. Eben weil die Corona-Krise so schnell und so tief auch in das Leben der Menschen eingegriffen habe – anders als jede andere Krise vor ihr. Und das alles hätte dann auch Folgen für die Wirtschaft – und die Frage des Aufschwungs. Für die Finanzmärkte - und die Frage des Investierens. Und damit auch für jedes einzelne Depot.

Von Folgendem gehen sie derzeit aus: Investoren werden wieder mehr und ausgeprägtes Risikomanagement betreiben. Seit dem Crash im März gewannen ausgerechnet die gewagten Anlageklassen wieder rasant an Wert, vor allem auch hochverzinste Anleihen (auch gerne Schrottanleihen wegen ihres höheren Risikos genannt). Eben weil die US-Zentralbank Fed ankündigte, sie notfalls aufzukaufen und zu stützen. Für den Markt war das ein positives Signal. Das hieß aber für viele Investoren nur, dass sie diese Papiere nicht in der schlimmsten Crashphase zu Dumpingpreisen auf den Markt werfen mussten. Es bedeutet dagegen nicht, dass sie nun jahrelang an diesen Hochzinspapieren festhalten müssen – und werden. Vermutlich werden sich nun etliche Anleger, die Risiken aus ihrem Depot tilgen wollen, verspätet von diesen Papieren trennen.

Sparquote steigt leicht an

Bei vielen Privatanlegern kann man außerdem davon ausgehen, dass sie künftig nicht mehr so üppig konsumieren werden wie zuvor. Denn was in Zeiten von Rezessionen stets passiert: Die Leute sparen mehr. Es ist das Angstsparen für schlechte Zeiten, das gerade nach einem Absturz einsetzt. Denn in solchen Momenten spielt uns der Kopf einen Streich: Hat er gerade eine Krise erlebt, dann hält er das Eintreten der nächsten Krise für umso wahrscheinlicher. Doch beim nächsten Mal wollen wir dagegen gewappnet sein – und nicht wieder im vollen Lauf erwischt werden, so wie jetzt. Und dann feststellen, dass wir viel zu wenig liquide Mittel auf dem Konto haben, um notfalls mal drei Monate mit sinkenden Einnahmen zu überbrücken.

Wir werden diesen Puffer also nun lieber aufstocken wollen, oder die abgeschmolzenen Rücklagen dringend auffüllen. Bereits jetzt lässt sich erkennen, dass die Sparquote der Deutschen leicht gestiegen ist, um zirka eineinhalb Prozentpunkte. Das liegt zum Teil auch daran, dass die Einkommen gesunken sind, wodurch derselbe Sparanteil zu einer höheren Quote führte. Dennoch: Der Durchschnittssparbetrag habe sich bereits leicht erhöht, sagen Zahlen der Bundesbank.

Was heißt es nun, wenn die Bundesbürger mehr sparen? Dass sie weniger konsumieren. Dadurch könnte der Wiederaufschwung der Wirtschaft zumindest zäher vonstatten gehen als die Optimisten unter den Ökonomen bisher annehmen. Zumindest die Erwartung einer Ultraerholung in V-Form halten viele ja inzwischen für überholt. Wenn es um die Wirtschaft geht, wohlgemerkt, nicht um den Aktienmarkt. Der Weg aus der Rezession wird wohl etwas länger dauern.

Der veränderte Konsum könnte andererseits auch dazu führen, dass wir wieder vermehrt „sichere“ Dinge kaufen. Das gilt sowohl für Konsumprodukte, was deutschen Unternehmen und Qualitätsproduktherstellern in die Hände spielt, als auch für Finanzprodukte. So lautet zumindest die Annahme. Das hieße überspitzt gesagt: Weniger Billigsachen aus Fernost, mehr heimische Produkte. Man wird abwarten müssen, inwiefern dieser Trend wirklich einsetzt und vor allem, wie lange er anhält.

Anleger sollten auf defensive Titel setzen

Insgesamt gehen viele Ökonomen davon aus, dass die Corona-Krise weltweit dazu führen wird, dass der weltumspannende Handel abnehmen wird zugunsten eines regionaleren Warenaustauschs. Es werde auch mehr redundantere Lieferketten geben, mit denen sich heimische Firmen wieder ein Stück unabhängiger von ihren Zulieferern in Billiglohnländern machen werden. Indem sie Lieferketten doppelt verstärken und redundante Lieferbeziehungen anlegen, die im Falle einer neuen Pandemiewelle die Versorgung aus dem nahegelegenen Ausland ermöglichen würde. Oder sogar aus dem Inland. Auch das könnte heimische Strukturen stärken.

An den Daten der weltweiten Handelsbewegungen und Handelsumsätze ist zu erkennen, dass dieser Trend schon längst eingesetzt hat. Mit der Finanzkrise 2008 nämlich, als auf dem damaligen Höhepunkt des Welthandels plötzlich die Kurve jäh abknickte. Auch der Brexit verpasste dem Handel später noch einmal einen Dämpfer. Ebenso wie die Handelskriege, die US-Präsident Donald Trump vom Zaun brach. Nach 2008 jedenfalls ist der Welthandel nicht wieder auf das ursprüngliche Niveau zurückgekehrt. Die Wachstumskurve ist schon seit Jahren eher in eine Schrumpfungsbewegung übergegangen.

Was heißt das nun alles für Anleger?

Es bedeutet zunächst einmal, dass sie lieber auf defensive als auf offensive Titel setzen sollten. Denn es wird sicher noch eine Pleitewelle geben – zumindest werden viele Unternehmen ins Straucheln geraten. Aktuell ist nämlich die Verschuldung bei recht vielen Firmen sehr hoch. Auch, weil es wegen der Niedrigzinsen zuletzt so günstige Kredite gab, dass es betriebswirtschaftlich ein Unding gewesen wäre, sich nicht zu verschulden. Erst recht für Wachstumsunternehmen. Doch brechen solchen verschuldeten Firmen wegen eines erneuten Shutdowns oder wegen länger anhaltender Flaute noch einmal große Einnahmen weg, dann könnten sie wirklich in Schwierigkeiten geraten. Von daher: Wer sichergehen will, dass er nicht in zu viele davon investiert ist, der schichtet sein Aktienportfolio jetzt besser in Richtung der Value-Werte um: Qualitätsaktien mit stabilem Geschäftsmodell und ohne zu große Verschuldung dürften da die erste Wahl sein.

Vorsicht bei Tech-Schwergewichten

Nun könnte man entgegnen, es seien aber in erster Linie die Tech-Titel gewesen, die seit April den großen Kursaufschwung erlebt haben. Das stimmt, doch Analysten geben zu bedenken: Vieles von diesem rasanten Wiederaufstieg rührt von den sogenannten Haussejägern her. Das ist die Schar der Anleger, die jedes Absacken der Alltime-Favoriten wie Goolge, Amazon und Co. zum Nachkaufen nutzen. Nun zählt zwar so jemand wie Amazon auch längst zur Kategorie „Qualitätsunternehmen mit stabilem Geschäftsmodell“. Dennoch glauben einige Analysten, dass der Aufstieg dieser Tech-Titel und Dickschiffe in diesem Maße nicht weitergehen wird. Sie waren sozusagen die Gewinner der ersten Aufschwungswelle. In der zweiten Welle aber würden andere die Führung übernehmen.

Generell jedenfalls raten strategische Investoren wie Altmeister Jens Erhardt: Jetzt nicht die stumpfe Antizyklikerschiene fahren. Also nicht einfach wahllos das kaufen, was gerade im Keller ist, nur weil man es für unterbewertet hält. Vor allem die Autobranche und die Finanzszene gehört da zu den Risikobereichen. Und jetzt noch viel stärker die Fluggesellschaften. Wenn, dann sollten Anleger das kaufen, was schon sehr lange auch im Boom gut gelaufen ist, aber derzeit günstig zu haben. Das spräche dann demnach wieder für Amazon und Co., dennoch raten Vermögensverwalter zur Vorsicht und nicht zum Kauf größerer Klumpen solcher Aktien.


Microsoft Aktie


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Kommt jetzt Europas Stunde?

Warum? Den amerikanischen Aktien und Tech-Titeln gegenüber sind derzeit einige Analysten skeptisch eingestellt. Denn erstens macht sie stutzig, dass schwergewichtige Indizes wie der S&P500 maßgeblich von wenigen Tech-Aktien getrieben sind. Fünf große Aktien im S&P500-Index, also ein Prozent aller Firmen darin, vereinen derzeit rund 20 Prozent der gesamten Marktkapitalisierung auf sich. Das habe eine Dimension angenommen, die zuletzt kurz vor der Dotcomblase erreicht war. Zweitens rechnen die Assetmanager damit, dass wegen der Coronakrise auch viele Aktienrückkäufe in den USA unterbleiben werden. Vor allem sie aber stützten in den vergangenen Jahren stark die Kurse und den Markt. Es könne daher sein, dass eher der europäische Markt einen Rebound erleben werde.

Auch das klingt gewagt, erklärt sich aber so: Europas Indizes bündeln noch viele zyklische Konsumwerte. Zudem eine Reihe von defensiven Pharmawerten. Man sehe sich nur Bayer, Roche, Novartis und Unilever, Henkel und Nestlé an. Ja, auch viele schwächelnde Bankenwerte sind im europäischen Portfolio. Und Automobilfirmen. Genau das waren ja die Gründe dafür, dass de heimischen Aktienindizes gegenüber den amerikanischen Pendants zurückblieben. Doch jede Branche hat ihre Zeit. Und alles in allem glauben viele Analysten: Die Zeit der europäischen Aktien und der Defensivwerte könnte bald kommen.

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