Es heißt „Der Kampf um das Brot“. Ein anderes handelt von der Hyperinflation der 1920er-Jahre: „The Economics of Inflation“ von einem kaum bekannten italienischen Autor namens Costantino Bresciani-Turroni. Faber, die dünnen am Hinterkopf verbliebenen Haare zu einem Schwänzchen zusammengebunden, zieht die beiden Exemplare aus seinem Bücherregal hervor. „Wir sind wieder auf dem Weg in den Sozialismus“, sagt er auf Englisch mit hartem Schweizer Einschlag. Die Stimme kennt, wer öfters amerikanische Finanznachrichten schaut. Dort wird Faber immer wieder mal zu seiner Meinung befragt (wenn auch seltener als noch vor zwei Jahren).
Seine Einschätzungen sind immer dieselben: Die Zentralbanken haben die Kontrolle über das System verloren und drucken uns geradewegs in die Hyperinflation. Das Einzige, was dagegen hilft, ist Gold, vielleicht hier und da auch eine Immobilie. Faber predigt das seit 20, vielleicht sogar 30 oder 40 Jahren.
Anders als die Crash-Propheten unserer Zeit aber hat Faber einen recht erfolgreichen Track Record, wenn es um das Vorhersagen von Crashs geht. Beim Börsencrash 1987, beim Ende des Japan-Booms 1990 und der Asien-Krise 1997 lag er richtig. Beim Platzen der Dotcomblase war er zwei Jahre zu früh – was er mal als „schwarzen Fleck seiner Karriere“ bezeichnet hat. Faber ist der Crash-Prophet, Doctor Doom. Auch wenn die Aktienmärkte seit rund zehn Jahren nur eine Richtung kennen, Faber predigt weiter den Crash.
Eklektiker aus Prinzip
Die Sonne versinkt gerade hinter den Bergen von Chiang Mai in Nordthailand und taucht Fabers Anwesen in ein unwirkliches rosa Licht. Sein Gärtner Kung, ein schlauer Analphabet, wie Faber betont, bringt noch ein Bier, das zweite. Faber hat sich hier 2003 eine Fantasievilla bauen lassen, einen eklektischen Tempel, der sowohl Fabers widersprüchliche Gedankenwelt als auch ein Stück asiatische Geschichte aufbewahrt. Er kaufte das 8000 Quadratmeter große Anwesen im Jahr 2000 für rund 250000 Dollar. Noch mal so viel kostete der Bau der roten Villa, die heute Büro, Privatmuseum und Schrein in einem sind.
Vor dem Haus grüßen zwei grinsende Holzstatuen, die schwere Holztüre stammt aus einer indischen Kirche. Das Innere des kathedralenhaften Baus dominiert vor allem ein Mann: Mao Zedong. Faber arbeitete als Aktienhändler in Hongkong, als der Diktator 1976 starb. „Ich dachte mir, sie werden nun alles Andenken an ihn verbieten. Also kaufte ich jedmögliche Propagandakunst, die ich kriegen konnte.“ Jetzt aber zieren die Poster mit dem Konterfei des Revolutionärs Fabers Wände. Auf einer Teakholztafel sind Büsten Maos in allen möglichen Formen aufgereiht.
Fabers Kalkül ging nicht ganz auf, die kommunistische Partei Chinas hat längst ihren Frieden mit Mao gemacht. Er ist offiziell zu „70 Prozent gut und 30 Prozent schlecht“, die Memorabilien weitgehend wertlos. Faber ist Eklektiker – nicht nur, wenn es um die Einrichtung seiner Fantasievilla geht.
Hinter der Tafel winden sich zwei Treppen hinauf in den ersten Stock. Eine mannshohe Buddha-Statue überthront den Saal, und darunter steht nochmals eine Mao-Statue. Weiter oben im ersten Stock hängen neben Filmplakaten die Bilder seines Lebens: Eines zeigt den jungen Faber neben seiner schönen Frau Supatra. Faber selbst sitzt am anderen Ende vor einer Bücherwand, von wo aus er die Finanzapokalypse in die Welt schreibt und skypt. Der 74-jährige kommentiert eine Welt, die seiner Meinung nach auf den Abgrund zurast, und das seit Jahrzehnten.
Letztlich ist das Geschäft der Crash-Propheten ja ein krisensicheres: Auf jeden Aufschwung folgt ein Abschwung. What comes up, must come down. Auf irrationale Übertreibung folgt Panik. Wer also nur vehement und laut genug die Kassandra macht, wird früher oder später recht haben. Darin unterscheidet sich Faber nicht von den anderen Schwarzsehern seiner Zunft.
Geschäft mit dem Crash
Faber wuchs in der Schweiz auf, promovierte in Ökonomie. Als er 24 Jahre alt war, zog er nach Hongkong, um bei einer Investmentfirma zu arbeiten. Nach Asien zu gehen bezeichnet er heute als eine der wichtigsten Entscheidungen seines Lebens. 1990 machte er sich mit einem Fonds selbstständig. Seine Kunden waren in erster Linie wohlhabende Asiaten. Später begann er, den „Gloom, Boom and Doom“-Report herauszugeben. Der knapp 20 Seiten umfassende Report erscheint monatlich und kostet zwischen 300 und 1500 US-Dollar im Jahr.
In der März-Ausgabe etwa geht es zunächst einige Seiten um die Schwarze Beulenpest, die Europa und Asien in der Spätantike und im Mittelalter heimsuchte. Er streift die Frage, ob das Coronavirus wirklich von einem Tiermarkt stammte und nicht aus einem Biowaffenlabor, gibt konkrete Anlageempfehlungen und schließt mit dem Satz: Die Coronakrise könnte das Ereignis sein, das die große Kreditblase zum Platzen bringt. Könnte.
Wie viele Abonnenten er hat, sagt er nicht. Aber das Geschäft mit dem Newsletter laufe immer schlechter. Die Zeiten hätten sich geändert. Wer heute Wissen und Halbwissen zum unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruch des globalen Finanzsystems sucht, findet auf Twitter mehr, als er verdauen kann.
Wer Faber eine Weile zuhört, findet einen Großteil seiner Argumente so eigenartig nicht – auch dieses Gefühl ist ja nicht untypisch, wenn man mit Crash-Propheten zu tun hat: Tatsächlich war noch nie so viel Geld im Umlauf. Immer mehr Schulden führen zu immer weniger Wachstum. Der Euro, ein Kartenhaus, das bei kleinster Erschütterung einzubrechen droht. Erst Niedrig-, jetzt Negativzinsen halten die Fliehkräfte dürftig zusammen.
Nimmt man das alles zusammen, liegt die Frage zugegeben nah, wie lange das gut gehen kann. „Was sind denn Negativzinsen anderes als eine Enteignung?“, fragt Faber und liefert selbst die Antwort. „Sie zahlen Steuern auf Ihr Einkommen, und das, was Ihnen dann übrig bleibt, wird Ihnen noch mal gekürzt.“
Während Wirtschaftsgrößen des Establishments argumentieren, die Ausweitung der Geldmenge und die Niedrigzinsen im Nachgang der Finanzkrise 2008 seien notwendig gewesen, um eine Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit zu verhindern, sagt Faber: „Sie haben die Reichen reicher gemacht.“ Das Geld floss eben nicht dorthin, wo es hin sollte, nämlich in die Realwirtschaft, sondern staute sich in den Aktienmärkten und Immobilien. „Asset inflation“, eine Inflation der Vermögenswerte. „Und wer profitiert davon? Reiche Leute wie ich, die Immobilien und Aktien besitzen.“
Und warum kommt der Sozialismus dann? „Weil die junge Generation, die Millennials, wissen, dass sie keine Chance haben in diesem System“, sagt Faber. „Sie verlassen die Universität mit horrenden Schulden und können sich nie im Leben ein Haus leisten. Natürlich liebäugeln sie mit sozialistischen Ideen, das ist ganz in ihrem Sinne.“
So weit, so gut. Auch Fabers Faible für Gold ist nachvollziehbar. Tatsächlich scheinen Gold und Edelmetalle niedrig bewertet im Vergleich zu Techaktien. Keine Zinsen abzuwerfen war lange das Standardargument gegen Gold. Doch in einer zinslosen Welt gilt das nicht mehr. Auch Leute wie Hedgefondsmanager Ray Dalio, alles andere als ein Crash-Prophet, sagen für die nächste Dekade eine Schuldenkrise und eine folgende Rezession voraus.
Doch bei Faber und Konsorten werden aus Negativzinsen gleich Zwangsenteignungen, aus neuen Staatsschulden der Beginn des Sozialismus und aus Wirtschaftswachstum Schuldenwahnsinn. Berechtigte Zweifel und Argumente paaren sich mit der Lust zur Provokation, die auch vor anderen Gesellschaftsbereichen nicht Halt macht. Faber ist der Meinung, die viele, nicht selten ältere Menschen haben, wenn sie sich auf der anderen Seite des Zeitgeists wiederfinden: Nicht sie selbst liegen falsch, sondern der Zeitgeist.
Der Totalitarismus lauert
In seinem „Boom, Gloom, Doom“-Report vom Januar zitiert Faber auf mehreren Seiten Hannah Arendt, um vor einem neuen Totalitarismus zu warnen. Nur sieht er den eben nicht von rechts, sondern von links drohen. („I believe that socialism will almost inevitably be introduced in most Western countries within the next ten years.“) Fraglich, ob Hannah Arendt das auch so sehen würde. Aber ein Zeitgeist, der nach links rutscht, verleitet vielleicht dazu, noch mehr gegenzusteuern – nach rechts. Vor zwei Jahren kam Faber genau das teuer zu stehen.
Er saß lange im Aufsichtsrat mehrerer Goldminen und Vermögensverwaltungen – ein konsequentes Engagement für einen Goldapologeten wie ihn. Bis zum Oktober 2017, als Faber in seinem Report einen Kommentar über Schwarze und die Besiedlung des amerikanischen Kontinents machte – und zwar zweifelsfrei rassistisch. In der Folge trennten sich die Unternehmen Ivanhoe Mines, Sprott Inc., Nova Gold Resources, Sunshine Silver Mining Corp, der Vietnam Growth Fund und Indochina Capital Corporation von Faber. Eine ganze Reihe von amerikanischen Medien kündigte an, Faber in Zukunft nicht mehr zu Wort kommen lassen zu wollen. „Vor 20 Jahren hätte man so was sagen können, es ist ja eine historische Tatsache“, ist sich Faber sicher. Genauso wie ein französischer Wissenschaftler, der gesagt hätte, „Immigration sei eine Invasion“, und dafür zwei Monate ins Gefängnis musste. An den Namen kann er sich gerade nicht erinnern. Faber raunt: „Das alles ist eine Vorstufe der Diktatur. Sie sind dabei, die Meinungsfreiheit abschaffen.“
Man kann sich fragen, weshalb so viele Crash-Propheten immer auch das Klischee des alten, weißen Mannes erfüllen: reich und sich der eigenen Privilegien nicht bewusst? Warum sind Vertreter des Goldstandards so oft auch gegen Immigration? Warum leugnen diejenigen, die die Hyperinflation kommen sehen, häufig auch den Klimawandel?
Noch ein Bier in Linda’s Bar
Möglicherweise sind dies auch Strategien, um die wachsende Komplexität der Welt beherrschbar zu halten. Wenn sich alles verändert, wandelt und sich scheinbar auf dem Weg ins Chaos (oder noch schlimmer, in den Sozialismus) befindet, dann übt das Feste, Unveränderliche, Ordentliche eine umso größere Faszination aus.
1971 war für viele Goldbugs wie Faber das Jahr des Sündenfalls: Damals hob US-Präsident Richard Nixon den Goldstandard auf. Seitdem druckt die Fed Dollars, so viel, wie sie möchte. Das Geld verlor seinen Wert und mit ihm scheinbar alles andere auch: Familie, Sitten, Moral. Denn zeitgleich begannen die 68er, die Gesellschaft zu prägen. Gold dagegen ist für die Crash-Propheten bis heute unveränderlich, unfälschbar und hat Wert seit Jahrtausenden.
Vielleicht ist es aber auch einfacher. „Ich habe genug Geld“, sagt Faber. „Und mir persönlich ist es egal, wann der Zusammenbruch kommt.“ Wenig bis gar kein Staat, Anarcho-Kapitalismus und Libertarismus sind auch die Götzen der Starken und Reichen, die auf nichts und niemanden angewiesen sind.
Faber lebt heute getrennt von seiner thailändischen Frau, mit seiner Tochter hat er keinen Kontakt. Auch der Rauswurf aus den Aufsichtsräten der Goldminen schert ihn wenig. Drei von sieben Abenden der Woche verbringt er jetzt in Linda’s Bar im Rotlichtviertel von Chiang Mai. Dort trinkt er mit Urlaubern, Prostituierten und Gestrandeten – und wartet auf den Untergang. Seit Jahren.