Capital: Herr Kunkel, die Zinsen steigen, und an den Aktienmärkten erleben wir in den USA die größten Tagesverluste seit sieben Jahren. Was ist da los?
Maximilian Kunkel: Wir haben an den Aktienmärkten global den stärksten Januar seit rund 20 Jahren gesehen – nach einem bereits positiven Jahr 2017. Klar, dass eine solche Bewegung auch einmal eine Korrektur erfordert. Dabei muss man unterscheiden zwischen dem eigentlichen Auslöser in der vergangenen Woche und dem, was seitdem passiert ist: Auslöser war eine Veröffentlichung des Anstiegs der US-Stundenlöhne um 2,9 Prozent am vergangenen Freitag. Dieser Anstieg hat Investoren noch einmal eines der Risiken verdeutlicht, die auch wir für 2018 sehen: Eine Überhitzung des US-Arbeitsmarkts, weil Arbeitnehmer immer höhere Löhne durchsetzen können. Setzt sich diese Bewegung fort – und die Schmerzgrenze sehen wir bei einem Lohnanstieg von nachhaltig mehr als 3,5 Prozent – werden die US-Aktien- und Anleihenmärkte in schwieriges Fahrwasser geraten. Die Anleihenmärkte, weil dies womöglich raschere und entschlossenere US-Zinsanhebungen erfordert. Und die Aktienmärkte, weil ein zu starker Anstieg der Löhne künftige Gewinne abwertet.
Das heißt lieber raus aus dem Risiko?
Nein. Auf Sicht von sechs Monaten und länger stellt dieser Einbruch eine gute Kaufgelegenheit dar. Wir sehen eine Überhitzung des US-Arbeitsmarkts durchaus als Risiko, sehen die Eintrittswahrscheinlichkeit aber noch als eher gering an. Was seit vergangenen Freitag nach der ersten Reaktion passiert ist, hat vor allem technische Gründe: Wir haben den stärksten Anstieg der Volatilität innerhalb eines Tages aller Zeiten gesehen in den USA. Es liegt auf der Hand, dass dies nach dem starken Jahresauftakt mit Verkäufen von Investoren einhergeht, die ihre Portfolios auch anhand der Volatilitäten und der kurzfristigen Kursbewegungen ausrichten. Das fundamental positive Bild hat sich nicht verändert. Dazu zählen historisch niedrige Zinsen und rasch steigende Unternehmensgewinne mit zweistelligen Wachstumsraten in den meisten Regionen.
Aber der Aktienmarkt nimmt eine Verschlechterung der Konjunktur und der Unternehmensgewinne doch meist einige Monate vorweg.
Ja, aber diese Korrektur weist nicht die Merkmale auf, die wir üblicherweise an Marktwendepunkten beobachten und Anlass zur Sorge wären: Weder gibt es einen Einbruch in der ganzen Breite des Markts, noch haben Firmen überinvestiert, es verschlechtern sich auch nicht die Finanzierungskonditionen der Unternehmen. Vor allem aber sehen wir keine exzessiven Bewertungen an den Märkten.
Die US-Renditen sind zeitweise wieder auf ein Niveau von 2,9 Prozent für zehnjährige Anleihen geklettert. Ist das ein Bereich, ab dem es für Aktien schmerzhaft wird?
Nein. Betrachtet man die vergangenen acht großen Wenden am US-Aktienmarkt nach unten, so war der Realzins – also der sichere Sparzins gemessen am US-Leitzins abzüglich Inflation – stets bei mindestens zwei Prozent. Aktuell liegt er immer noch im negativen Bereich. Daher glaube ich nicht, dass die Zinssorgen berechtigt sind. Plus: Die steigenden längerfristigen Zinsen reflektieren gerade den Konjunkturaufschwung und den Umstand, dass wir uns in einem normaleren – aber nicht exzessiven – Inflationsumfeld bewegen. Ich halte den Zusammenhang daher auch für falsch, dass steigende Zinsen mit sinkenden Aktienkursen einhergehen müssen. Wenn die Zinsen steigen, weil die Konjunktur brummt, ist das unterstützend für die Aktienmärkte.
Gemessen an den US-Aktienmärkten halten sich die europäischen Aktienmärkte und der Dax etwas besser. Gelingt Europa, sich von den US-Märkten positiv abzukoppeln?
Zumindest stehen die Chancen dafür so gut wie nie, auch wenn es historisch hier viele Fehlprognosen gab. Gemessen am üblichen Tempo eines Aufschwungs sind wir in der Eurozone ungefähr vier Jahre hinter dem US-Zyklus, das gilt für die Geldpolitik ebenso wie für das Kreditwachstum, das in den USA bereits 2011 ansprang, in der Eurozone aber erst 2015 allmählich. Und: Europa weist einen Leistungsbilanzüberschuss auf und hat ein binnengetriebenes Wachstum, zudem werden alle Euro-Staaten in diesem Jahr voraussichtlich das Mastricht-Kriterium von maximal drei Prozent Haushaltsdefizit erfüllen.
Dass 2018 das große Jahr der Eurozone werden könnte, ist aber doch gewissermaßen schon eine „Konsensprognose“ unter Strategen.
Das stimmt, ändert aber auch nichts an den Fakten, die optimistisch stimmen. Es gibt allerdings einen Faktor, der bei allem Optimismus für Europa nicht unter den Tisch fallen darf: Europa mangelt es an Technologiewerten. Ohne die geht es nicht in der Portfolioallokation aktuell. Sie stellen 25 Prozent am US-Aktienmarkt und 40 Prozent am chinesischen Aktienmarkt. Diversifikation ist daher gerade aus europäischer Sicht wichtiger denn je.
Können sich Sparer angesichts der starken europäischen Konjunktur denn wieder Hoffnung auf bald steigende Zinsen machen?
Ich fürchte nein und halte dies auch für einen wichtigen Grund, weiter auf rentablere Vermögensverwerte zu setzen. Unser Basisszenario ist, dass die Europäische Zentralbank im Herbst 2018 ihr Aufkaufprogramm beendet, aber erst 2019 mit der Anhebung des Einlagenzinses von aktuell -0,4 Prozent beginnt. Positive Leitzinsen erwarten wir nicht vor 2020. Die Europäische Zentralbank dürfte eher bereit sein, die Wirtschaft sich nachhaltig überhitzen zu lassen, als zu früh mit Zinsanhebungen zu beginnen. Dass der starke Euro in Verbindung mit den womöglich bald wieder korrigierenden Ölpreisen erneut einen deflationären Druck aufbaut, kommt da noch hinzu.