Nadine Oberhuber ist Wirtschafts- und Finanzjournalistin. Sie schreibt auf Capital.de über Geldanlagethemen
Der Mensch neigt bekanntlich zur Übertreibung. Das ist das Erstaunliche an unserer Spezies, die von sich selbst sagt, sie sei der Tierwelt überlegen. Sie überlege nämlich bevor sie handle und agiere völlig rational, egal ob es nun ums Essen, Arbeiten oder Einkaufen gehe. Dass das gar nicht stimmt, haben uns Verhaltensforscher schon oft nachgewiesen. Vor allem an der Börse folgen wir oft nicht unserem Kopf, sondern animalischen Instinkten, sagt Ökonom und Nobelpreisträger Robert Shiller. Anders jedenfalls kann er sich nicht erklären, wie es immer wieder zu den Übertreibungen an den Anlagemärkten kommt. Die sieht er auch jetzt schon wieder: Das Risiko von Übertreibungen sei größer denn je. Es blähten sich große neue Blasen auf.
Shiller ist ja immerhin der Mann, der die zwei vergangenen Crashs richtig vorhergesagt hat, nämlich das Platzen der Dotcom-Blase 2001 und den Kollaps des US-Immobilienmarktes, der 2007 zur Finanz- und Wirtschaftskrise führte, von der sich die Welt immer noch nicht vollständig erholt hat. Was aber schon wieder das alte Niveau erreicht hat – und sogar noch viel mehr – das sind die Aktienkurse. Sie notieren heute schon wieder weit über den Höchstständen von damals: Der amerikanische Dow Jones brach 2007 auf dem damaligen Höchststand von 14.000 Punkten ein und liegt inzwischen bei 18.000. Der Dax stürzte bei 8000 Punkten ab und notiert jetzt 50 Prozent über seinem damaligen Allzeithoch bei knapp 12.000. Das ist ja vielen Anlegern schon lange unheimlich. Aber was tun sie? Sie kaufen und kaufen und kaufen. Aktien nämlich.
Der Blasendetektor schlägt Alarm
Nun ist es nicht so, als hätten wir aus der Krise von 2008 nichts gelernt. Dank Shiller haben wir jetzt immerhin einen Indikator dafür, der uns noch besser hilft zu erkennen, ob Aktienmärkte überbewertet sind – das Shiller-KGV nämlich. Es berechnet, wie hoch der Börsenwert eines Unternehmens im Verhältnis zu dessen Gewinn ist, wobei der Gewinn inflationsbereinigt und im Durchschnitt auf zehn Jahre ermittelt wird, damit keine einmaligen Sondereffekte die Zahlen verfälschen. Als gesunder Wert gilt ein Indikator von 16, so hoch war das Shiller-KGV im Schnitt seit 1870. Er bedeutet: Es dauert 16 Jahre, bis ein Anleger sich von dem durchschnittlichen Gewinn je Aktie, den er jährlich einstreicht, eine neue Aktie kaufen kann.
Inzwischen liegt der Indikator für US-Aktien bei einem Wert von 27. Nur in den Jahren 1929, 2000 und in der Zeit vor 2007 schaffte er ebenfalls diese Höhen. Für den chinesischen Aktienmarkt ermittelt Shiller derzeit sogar einen Wert von 375. Hier nur von einer Übertreibung zu reden, wäre schon maßlos untertrieben.
Der Blasendetektor des Finanzmarktforschers schlägt also längst Alarm. Die Frage ist nur: Warum hört keiner hin? Warum kaufen die Menschen weiter Aktien, obwohl sich doch hier bereits die nächste Blase abzeichnet? Shiller erklärt das so: In früheren Zeiten hätte der Fortschrittsglaube die Investoren in Aktien getrieben, das beflügelte vor allem die Tech-Aktien in der Dotcomzeit und Immobilien- und Finanzwerte bis zur Immobilienkrise. Heute sei es vor allem die Angst, die Anleger treibe. Eine wachsende Schicht in Amerika fürchtet, die Roboterwelt von morgen könnte viele Arbeitsplätze vernichten und setzt daher lieber auf die Kapitalmärkte als auf eigener Hände Arbeit.
Und überall treibt Kapitalanleger die Furcht, dass festverzinsliche Anlagen das eigene Vermögen eher schmälern statt zu vermehren. Im Grunde haben sie gar keine andere Wahl, als Aktien zu kaufen. Deshalb steigen die Kurse, obwohl sich die Weltwirtschaft nur mau entwickelt und die Gewinne der Unternehmen hinterherhinken.
Angst treibt Anleger in Immobilien
Allerdings sagt Shiller auch: Erstens, so ernst wie 2000 oder 2005 ist die Lage noch lange nicht. Zweitens, es ist nicht überall so brenzlig wie in den USA. Für europäische Aktien schlägt sein Index nicht einmal halb so weit aus. Deren Bewertungen lägen demnach noch durchaus im Rahmen und er würde sogar selbst raten, mehr in Europa zu investieren. Drittens aber detektiert er nicht nur beim Aktienmarkt Übertreibungen, sondern diesmal auch bei den Anleihen- und Immobilienmärkten. Das verleiht seinen Worten dann doch wieder ein unheilvolles Gewicht.
Es ist auch hier die Angst, die zum anhaltenden Sturm auf die Immobilien führt. In Ermangelung an Anlagealternativen flüchten Sparer ins vermeintlich sichere Wohneigentum und kaufen in großen Städten noch Immobilien, deren Preise schon längst die Decken durchstoßen haben. Im Grunde könnte man der Immobilienblase mit neuen Finanzprodukten die Luft ablassen, schlägt Shiller vor: Man müsste nur Finanzprodukte schaffen, mit denen auch Normalanleger auf sinkende Hauspreise wetten könnte – schon würden sich diejenigen, die vielerorts die Preise treiben und diejenigen, die sie drücken, die Waage halten.
Doch woher kommt das Interesse für Anleihen? Wieso kaufen Investoren noch immer Staatsanleihen im großen Stil, obwohl deren Renditen negativ sind und die Aktienmärkte boomen? Ganz einfach: Weil es Kurzfristkäufer und Profianleger sind. Sie sichern sich mit den Anleihen gegen mögliche Kursstürze am Aktienmarkt ab. Und sie planen auch nicht, die Anleihen bis zur Fälligkeit zu halten, sondern setzen darauf, dass deren Kurse weiter steigen, weil die Zentralbanken weiter Anleihen aufkaufen. Die Kursgewinne wollen sie zu Geld machen. In den Augen vieler Spekulanten war das bisher ein todsicheres Geschäft.
Warnung vor überbewerteten Anleihen
Wie anfällig gerade dieser Markt inzwischen für Übertreibungen ist, zeigte der Blitzcrash der Bundesanleihen Anfang Mai: Als die Kurse stürzten, verpufften gut 800 Mrd. Euro. Das katapultierte die gegenläufige Rendite innerhalb von Tagen von 0,1 auf 0,6 Prozent. So eine heftige Bewegung hat der Bondmarkt zuletzt vor 25 Jahren erlebt. Es hatte jüngst warnende Stimmen gegeben, zum Beispiel Anleihenkönig und Ex-Pimco-König Bill Gross, der kurz zuvor von einer historischen Gelegenheit sprach, auf fallende Kurse bei deutschen Bundesanleihen zu setzen. Dem Ruf ist dann die Herde der Finanzmarktteilnehmer wohl prompt gefolgt.
Seitdem warnen immer mehr Branchenbeobachter: Anleihen sind deutlich überbewertet. Zu normalen Verhältnissen finden sie nur zurück, wenn die Aktienmärkte einen Rückschlag erleben oder die Zinsen steigen. Irgendwann wird das natürlich passieren – aber wann?
Kann sein, dass Robert Shiller mit der Neuauflage seines Buches mal wieder ein untrügliches Gespür für Timing beweist und es genau in dem Moment auf den Markt kommt, in dem ein neuer Crash bevorsteht. Es könnte aber auch noch eine ganze Weile so weitergehen. Für den Fall, dass der Markt es noch ein bisschen übertreibt, hat er gerade erst mit Barclays und dem ETF-Anbieter Ossiam einen Indexfonds auf den Markt gebracht, der anhand des Shiller-KGV regelmäßig die vier am stärksten unterbewerteten Branchen in Europa ausfindig macht und sie in einem Papier verpackt, dem Ossiam Shiller Barclays Cape Europe Sector Value (LU1079842321). Er kauft allerdings nicht die Aktien selbst, sondern Swaps, mit denen er die Branchenindizes synthetisch nachbildet. Risikolos und total rational ist das nicht. Aber beim Anlegen schalten wir ja ohnehin gern den Kopf aus. Damit, dass er einfach nur seinem Instinkt folgt, lebt der Mensch ja anscheinend ganz gut.