Christian Kirchner ist Frankfurt-Korrespondent von Capital. Er schreibt an dieser Stelle regelmäßig über Geldanlagethemen. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen
Prominente Investoren und Banker wählen ihre öffentlichen Worte mit Bedacht. Kein Wunder, schließlich haben sie im Laufe ihrer Karriere gelernt, dass sie mit Äußerungen Kurse bewegen, Währungen ins Taumeln oder – wir erinnern uns an den Fall des Medienunternehmens Kirch - Unternehmen in die Pleite schicken können.
Umso bemerkenswerter ist, was sich am vergangenen Dienstag um 16:17 Uhr abgespielt hat. Bundesanleihen seien „Short of a lifetime“, twitterte die US-Fondsgesellschaft Janus Capital als Zitat des für sie tätigen Anleihengurus Bill Gross.
Sprich: Auf fallende Kurse (und somit steigende Zinsen) von Bundesanleihen zu setzen, sei eine so aussichtsreiche Spekulation, wie sie nur einmal im Leben vorkomme. Lediglich das Timing sei herausfordernd. Und: Die Spekulation sei sogar „besser als das britische Pfund“, womit Gross auf die Pfundkrise 1992 anspielte: Seinerzeit wetteten Großinvestoren wie George Soros erfolgreich gegen die Notenbank auf eine Abwertung des Pfunds und strichen Milliardengewinne ein.
Die Kurse der Bundesanleihen gaben jedenfalls sofort nach Gross‘ Äußerungen nach, und ihre Rendite kletterte von 0,07 Prozent bei zehnjährigen Papieren binnen Minuten auf 0,10 Prozent und weiter auf am Donnerstag früh 0,17 Prozent.
Wette mit Kalkül
Der Vorgang verdient eine genaue Betrachtung, und das nicht nur, weil es bei Bill Gross keinen Zweifel geben kann, dass er sich der Bedeutung seiner scharfen Worte bewusst sein muss.
Denn die Geschichte hat nicht nur ein, wie die Schwaben sagen, „Geschmäckle“: Anfang April empfahl Gross in seinem Investmentausblick (am Ende des vorletzten Absatzes hier), darauf zu setzen, dass sich die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihen in den kommenden drei Monaten in einem Band zwischen minus 0,05 Prozent Rendite und plus 0,5 Prozent Rendite bewegen werde. Solche Spekulationen sind über Optionen und den Terminmarkt kein Problem. Man gewinnt, wenn man Recht behält, man verliert, wenn die Rendite das Band verlässt. Gross‘ Kalkül: Zwar seien Bundesanleihen überbewertet, aber die Aufkäufe der EZB verhinderten einen zu starken Kursverlust und damit einhergehend einen Renditeanstieg.
Anfang April rentierten die Bundesanleihen aber noch mit 0,2 Prozentpunkten. Nun rutschten die Renditen binnen nur drei Wochen auf in der Spitze 0,05 Prozent. Mit anderen Worten: Im Zeitraum von nicht einmal drei Wochen der auf drei Monate angelegten Spekulation haben die Renditen bereits knapp zwei Drittel des „Weges“ zur unteren Grenze zurückgelegt, ab der eine von Gross‘ empfohlene Strategie beginnt, richtig schmerzhaft zu werden, weil sie herbe Verluste einbringt.
Gross will es allen nochmal zeigen
Bislang hat Gross natürlich Recht behalten. Die Rendite liegt in dem von ihm vorhergesehenen Band. Und es ist im Prinzip nichts dagegen einzuwenden, dass zwischen Reden und Handeln von Fondsmanagern keine Widersprüche klaffen. Für Aktienfondsmanager sind Aktien schließlich auch stets kaufenswert und der Aktienmarkt nie zu hoch bewertet.
Dennoch steht der Verdacht im Raum, dass Gross mit seiner Prognose angesichts der in der Schärfe kaum steigerungsfähigen Worte ein Selbstmarketing betreibt, das vor allem der Verbissenheit Rechnung trägt, mit der er es nach seinem Weggang von der Allianz-Tochter Pimco noch einmal zeigen will. Dazu passt auch, dass er in einem TV-Interview mit dem Sender CNBC am Dienstag nachschob, seinen Fonds zu kaufen, sei die einfachste Möglichkeit, von der Wette gegen Bundesanleihen zu profitieren.
Es geht hier allerdings auch mehr als nur um persönliche Eitelkeiten oder kleinere Kursveränderungen, die inzwischen von öffentlichen Kurznachrichten ausgelöst werden können. Es geht um die Frage, wie geregelt eine mögliche Rückkehr zu einem wieder etwas höheren Zinsniveau ablaufen wird. Denn mit höheren Zinsen könnten viele leben - nicht aber mit einem raketengleichen Anstieg. Genau mit dem hätten aber all jene keine Probleme, die in Bundesanleihen die „Shortspekulation ihres Lebens“ sehen, und damit steht Gross schließlich nicht alleine.
„Merken Sie sich meine Worte: Ich werde ein Vermögen machen, irgendwann auf fallende Kurse dieser Anleihen zu setzen, und das eher früher als später“, erklärte ein Hedgefondsmanager erst Mitte April. Die Nullzinsen seien „die Blase aller Blasen“, gegen die Technologieaktien-Blase im Jahr 2000 zwergenhaft gewesen sei. Und zur Erinnerung: Im vergangenen Oktober gab es auch am US-Anleihenmarkt schon einmal Tagesschwankungen von annähernd 0,5 Prozentpunkten.
Bundesanleihen bringen noch ein bisschen Rendite
Um das grotesk niedrige Zinsniveau in Deutschland zu verstehen, muss man sich vor Augen führen, dass Bundesanleihen derzeit so etwas wie die Zauberformel unter den Geldanlagen sind: Die Europäische Zentralbank lässt monatlich für mehrere Milliarden Euro Bundesanleihen aufkaufen, obwohl der Bund netto gar keine neuen Schulden über neue Anleihen aufnehmen muss.
Darüber hinaus sind Bundesanleihen auch für jene Investoren aus anderen Währungsräumen in Asien oder den USA attraktiv, die sich vor einem Auseinanderfallen der Eurozone etwa nach dem Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone absichern wollen: Denn Bundesanleihen sind durch den Euroverfall für sie günstiger geworden, sie stammen von einem erstklassigen Schuldner und bringen zumindest bei längeren Laufzeiten noch ein kleines bisschen Rendite – und haben Aufwertungspotenzial, da man ja Schulden eines sicheren Kern-Euro-Landes besitzt und dieser Kern-Euro bei einem Austritt der Peripheriestaaten stark aufwerten würde.
Diese Faktoren setzen die Anpassungsmechanismen außer Kraft, nach der wieder etwas höhere Renditen eigentlich der sich verbessernden Konjunkturlage und der leicht anziehenden Teuerung der Eurozone Rechnung tragen müssen.
Dramatische Renditesprünge sind nicht ausgeschlossen
Doch wie lange wird das so weiter gehen? Man kann sich die Anleihenrenditen derzeit wie einen luftgefüllten Ball vorstellen, der von den Notenbanken mit aller Gewalt unter Wasser gedrückt wird – und der entweder sanft wieder an die Oberfläche geführt wird. Oder aber, wenn er ihnen entgleitet, binnen Bruchteilen einer Sekunde eben nicht nur an die Oberfläche, sondern gleich hoch in die Luft schießt.
Das Problem ist, dass die Ära der Niedrigzinsen aus vielen Anleihefondsmanagern Herdentiere gemacht hat, die Geld verdienen, indem sie immer in die gleiche Richtung marschieren: Auf fallende Zinsen über alle Risikoklassen hinweg und mit möglichst langer Laufzeit setzen ist eine seit Jahren bewährte Strategie. Wer an die Zinswende glaubte, verlor. „Witwenspekulation“ spottet man daher auch schon eine Weile über die Strategie, auf steigende Zinsen in Deutschland zu setzen.
Was jedoch für den Weg nach unten gilt, stimmt auch für die andere Richtung, also für die eines Zinsanstiegs – dreht die Herde um, dann womöglich erneut geschlossen. Und genau auf diesen Moment lauern all jene Spekulanten, die mit Bill Gross einer Meinung sind. Kommt einmal Bewegung in diesen Markt mit einem ersten, initialen Renditeanstieg, sind dramatische Renditesprünge vielleicht nur eine Frage von Tagen oder gar Stunden – weil viele einen „Wir haben es immer geahnt“-Moment haben.
Es wird keine leichte Aufgabe für die Europäische Zentralbank und ihren Chef Mario Draghi, diesen Prozess zu steuern. Denn was Bill Gross und viele seiner Kollegen wissen, ist, dass die EZB ihr Aufkauftempo für Bundesanleihen mangels kauffähiger Papiere kaum bis Herbst 2016 wird durchhalten können. Entweder wird sie noch bis Sommer ihre Käufe von Bundesanleihen drosseln müssen - und das hat Gross im Kopf, wenn er zunächst einen Horizont von drei Monaten für das Renditeband minus 0,05 bis plus 0,5 Prozent Rendite für zehnjährige Bundesanleihen ausgibt. Oder sie wird das Programm zumindest flexibilisieren. Die Zeit arbeitet derzeit nicht gegen, sondern eher für Leute wie Gross, die an die Spekulation ihres Lebens glauben.