Kommt der Staatsfonds für die Altersvorsorge – oder kommt er nicht? Das ist ohne Zweifel die spannendste Frage in Bezug auf die große Rentenreform, die im nächsten Jahr geplant ist und bereits ab Frühjahr angegangen werden soll. Inzwischen kann man Wetten abschließen, ob aus dem kollektiven Aktiensparen hierzulande vielleicht doch noch Wirklichkeit wird. In seinem aktuellen Jahresgutachten jedenfalls spricht sich der Sachverständigenrat für Wirtschaft – die sogenannten Wirtschaftsweisen – für die Einrichtung eines solchen staatlichen Aktienfonds aus. Das verleiht der Diskussion nun wieder neuen Schub. Denn die Einschätzung der Sachverständigen hat bei der Bundesregierung Gewicht.
Aber nicht nur zur Aktienrente äußerten sich die Ökonomen. Auch zu den Fragen, ob das Renteneintrittsalter angehoben werden muss und ob Beamte und Selbstständige in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen sollten, formulierten sie klare Empfehlungen. Und überdies deklinierten sie die Stellschrauben durch, mit denen das jetzige Rentensystem reformiert werden könnte – und auch dringend müsste. Denn sonst droht der gesetzlichen Rentenkasse spätestens ab 2030 eine Finanzierungsnot. Weil dann die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand gehen, aber die viel kleinere Kohorte der Jüngeren immer höhere Beiträge aufbringen müsste, um die Renten noch in gewohntem Maße zu finanzieren.
Reformiert werden muss das System dringend, darauf legten sich bereits die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag fest. Völlig unklar scheint aber noch, worauf sich die Koalition wird einigen können. Mit ihrem Jahresgutachten geben die Sachverständigen nun immerhin deutliche Empfehlungen, was die wirtschaftlich sinnvollsten Reformansätze wären. Und sie sagen auch klar: „Keine einzelne Reformoption reicht aus, um die Finanzierungsprobleme der GRV zu lösen“, es müsse daher ein Bündel von Reformmaßnahmen umgesetzt werden. So ließen sich auch mögliche Nachteile und Härten besser abfedern:
1. Ein Staatfonds muss her
Klarer geht´s nicht: Die Einführung einer Kapitaldeckung sehen die Sachverständigen „als wichtiges Element, um die umlagenfinanzierte gesetzliche Rentenversicherung (GRV) zu ergänzen“ und damit zukunftsfit zu machen. Und sie nennen dabei auch ausdrücklich einen „öffentlich verwalteten, stark aktienbasierten Fonds mit breiter Diversifizierung“ nach internationalem Vorbild, also „ähnlich wie in skandinavischen Ländern“.
Aber Moment, hatte sich nicht gerade erst die Expertenkommission zur Reform der privaten Altersvorsorge genau gegen so einen Staatsfonds ausgesprochen? Hatte sie, jedoch längst nicht einstimmig und zudem mit einer wichtigen Einschränkung: Die Experten dort diskutierten, ob es diesen staatlich verwalteten Fonds in der „dritten Säule“ geben sollte, also bei der privaten Altersvorsorge – wo bereits Versicherer mit Rentenpolicen und Fondsanbieter mit Sparplänen aktiv sind. Hier sah die Kommission einen sehr großen Eingriff in den Wettbewerb.
Der Sachverständigenrat dagegen befürwortet einen staatlich organisierten Fonds als Standardlösung für die private Altersvorsorge, dem jeder Erwerbstätige zugeschlagen würde, sofern er nicht ausdrücklich widerspreche (opt-out). Er träte neben der Konkurrenz der privaten Altersvorsorgeanbieter auf und könne durch seine schiere Größe kostengünstigere und damit renditestärkere Lösungen schaffen, als die Privatanbieter mit Einzelverträgen. Und das automatische Aktiensparen würde hierzulande die Aktienkultur stärken, sagen die Wirtschaftsweisen. Nur durch aktienbasiertes Sparen seien überdies Renditen zu erreichen, die später in der Lage wären jene Lücken aufzufüllen, die sich vermutlich durch niedrigere gesetzliche Renten auftun dürften. Bei den Berechnungen gingen die Sachverständigen davon aus, dass so ein Fonds eine Realrendite von fünf Prozent jährlich erzielen könnte, also nach Abzug von Inflation und Kosten. Das ergäben Kapitalmarktsimulationen mit extrem langen Datenreihen.
Abgewatscht haben die Wirtschaftsweisen hingegen die Idee des „Generationenkapitals“ von Finanzminister Lindner. Der will einen staatlichen verwalteten Stiftungsfonds einrichten – angedockt an die gesetzliche Rente, dessen Erträge später direkt in die GRV fließen sollen, damit nicht immer höhere Steuerzuschüsse fließen müssen. Die Sachverständigen sagen jedoch: Das Generationenkapital „ist kaum geeignet“, um Beitragssätze oder Bundeszuschüsse wirklich kleinzuhalten. Selbst wenn jährlich 12 Mrd. Euro aus dem Bundeshaushalt in den Topf flössen, sei sein Umfang zu gering. Zudem sei problematisch, dass das Geld kollektiv angelegt werde und die Einzahlungen – und Erträge – nicht den einzelnen Bürgern zugerechnet werden könnten. Wie beim schwedischen Staatsfonds. Gerade das sei viel wirkungsvoller und transparenter.
2. Das Rentenalter anheben
Eine der Hauptforderungen der Sachverständigen ist: Das Rentenalter sollte ans Lebensalter gekoppelt werden. Im Klartext: Wenn die Lebenserwartung der Bevölkerung weiter steigt, sollte das Rentenalter proportional angehoben werden. Fast 100 Jahre lang arbeiteten deutsche Arbeitnehmer bis 65 Jahre. Seit 2012 gilt für die jetzigen Erwerbstätigen die Rente mit 67. Gut möglich, dass es künftig ein paar Monate mehr sind: Ab 2031 wäre eine Anpassung nach oben möglich. Allerdings sollte das jeweilige Renteneintrittsalter abhängig vom Gesundheitszustand und der Berufsgruppe festgelegt werden. Zudem könne natürlich jeder auch früher aus dem Beruf ausscheiden, wenn sie oder er Rentenabschläge in Kauf nimmt.
3. Renten dynamisieren
Bisher werden die Renten alljährlich an das Wirtschaftswachstum und die Lohnentwicklung angepasst. Das heißt: Steigt die Produktivität, dann steigen automatisch die Renten. Und mit ihnen auch die Steuerzuschüsse, die der Bund jährlich ins System pumpen muss. Eine Entlastung brächte es, wenn die Renten künftig „nur noch“ an die Inflation angepasst würden, sagen die Wirtschaftsweisen. Damit behielte jeder Rentner die Kaufkraft, die er bei der Umrechnung seiner Rentenpunkte zum Renteneintritt schon besäße. In den Folgejahren stiege seine Rente dann zwar weiterhin im Gleichlauf mit der Inflation, aber eben nicht mehr so stark wie derzeit, wo die Steigerung auch ans BIP-Wachstum gekoppelt ist. Gerade die jüngsten Rentensteigerungen fielen extrem groß aus, weil die Wirtschaft nach dem Coronaknick zur großen Aufholjagd ansetzte. Dagegen hatten viele Arbeitnehmer sogar reale Einkommenseinbußen zu verzeichnen. Künftig jedoch seien einseitige Belastungen der jüngeren Generationen zugunsten der Älteren tunlichst zu vermeiden, lautet die Empfehlung.
4. Reformen müssen auch für Beamte gelten
Zudem müsste auch der Kreis der Renteneinzahler vergrößert werden, so die Sachverständigen weiter. Dazu müssten mehr Zuwanderer in den Arbeitsmarkt gebracht werden und Frauen in die Vollerwerbstätigkeit. Dazu müsste das Ehegattensplitting reformiert werden. Außerdem müssten Ältere länger im Job gehalten werden. Und wie steht es mit den Beamten und Selbstständigen, sollten auch sie in die gesetzliche Rentenkasse integriert werden? Bei den Selbstständigen könne man darüber nachdenken, sagen die Wirtschaftsweisen.
Im Falle der Beamten brächte es keine Entlastung, denn deren Altersbezüge wüchsen aufgrund der Alterung ebenfalls rasant. Sie werden bisher rein durch Steuermittel gedeckt. Dabei jedoch sei wenig transparent, was die Beamtenversorgung an Steuermitteln verschlinge, kritisieren die Wirtschaftsweisen. Trotzdem brächte es einen Vorteil, die Beamten ins gesetzliche System zu integrieren (was in Nachbarländern wie Österreich zuletzt gelungen ist). Die Beamtenpensionen wären dann an die Entwicklung der übrigen Altersrenten gekoppelt. Also müssten Reformen auch spiegelgleich auf die Pensionen übertragen werden. Bisher werden Leistungskürzungen nicht oder nur sehr schleppend auf Beamte übertragen.
5. Riester ersetzen durch Aktiensparen
Der Riesterrente stellen die Sachverständigen ebenfalls kein gutes Zeugnis aus. Sie sei zu teuer, zu renditeschwach, nicht weit genug verbreitet – besonders unter jenen Wenigverdienern, die solche privaten Zusatzpolicen nötig hätten, um später nicht in die Altersarmut zu rutschen. Das Votum der Ökonomen lautet daher: Eine aktienbasierte private Altersvorsorge – die staatlich gefördert wird – soll Riester ersetzen. Bestehende Riesterverträge sollten zwar Bestandsschutz bekommen und weiterlaufen können, aber auch ohne Einbußen auf einen solchen Aktiensparvertrag übertragbar sein. Hier kommt dann wieder der staatlich verwaltete Aktienfonds ins Spiel.
Wie weit nun diese Empfehlungen der Wirtschaftsweisen von den Regierungsparteien aufgegriffen – und umgesetzt werden – ist die große Frage. Sie wird sich hoffentlich bis zum Frühjahr 2024 klären.