Unsere Reihe Capital erklärt macht aktuelle Wirtschafts-Themen schnell verständlich. Diesmal erfahren Sie alles, was Sie über den Kohleausstieg wissen sollten - mit Capital-Redakteur Thomas Steinmann, der seit 2013 für Capital über Energiethemen schreibt.
Wie lautet der Fahrplan für den Kohleausstieg?
Nach langwierigen Diskussionen hat sich die sogenannte Kohlekommission Ende Januar auf einen Kompromiss geeinigt. Ab 2022 sollen die Kohlekraftwerke schrittweise abgeschaltet werden, spätestens 2038 soll das letzte Kraftwerk dann vom Netz gehen. Der Fortschritt soll in den Jahren 2023, 2026 und 2029 überprüft werden. Diese Überprüfungspunkte sollen Aufschluss darüber geben, ob sich die geplante Reduzierung der Kapazitäten umsetzen lässt, ohne die Versorgungssicherheit und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie zu gefährden.
Welche Konsequenzen hat der Kohleausstieg?
Nach Angaben der Branche hängen noch circa 60.000 Arbeitsplätze direkt oder indirekt an der Kohle. Mit dem Ausstieg werden die Kohleregionen demnach nicht nur eine große Zahl an Jobs verlieren, sondern auch an Wirtschaftskraft. Das gilt insbesondere für die ostdeutschen Reviere in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt. In der Lausitz beispielsweise ist der Versorger Leag, der dort die Braunkohlekraftwerke betreibt, heute der mit Abstand größte Arbeitgeber. Deshalb plant der Bund milliardenschwere Strukturhilfen für die betroffenen Regionen in Ostdeutschland und Nordrhein-Westfalen. Um die Folgen des Kohleausstiegs für die Beschäftigten in der Kohleindustrie abzufedern, will der Bund zudem jüngeren Arbeitnehmern Aus- oder Weiterbildungen finanzieren. Arbeitnehmer über 58 Jahre sollen Anpassungsgelder erhalten.
Wie sieht die Umsetzung des Kohlekompromisses aus?
Die Bundesregierung muss nun schnellstmöglich Gesetze schaffen. Das betrifft drei wesentliche Bereiche. An erster Stelle steht die Umsetzung der Strukturhilfen: 40 Milliarden Euro sind bis 2038 eingeplant. Um die Verteilung gibt es aber Gezerre. Das Geld soll nicht nur für Symbolpolitik genutzt, sondern in sinnvolle Ausgleichsprojekte investiert werden. Zweitens muss ein konkreter Fahrplan für die Abschaltung von Braun- und Steinkohlekraftwerken sowie für die Entschädigungszahlungen an die Betreiber her. Mit RWE und Leag sind bereits Gespräche angelaufen. RWE hat bis zu 1,5 Milliarden Euro pro Gigawatt gefordert. Darauf wird sich die Bundesregierung nicht einlassen. Anders sieht es bei der Steinkohle aus: Hier wird die Bundesregierung zeitnah ein Gesetz vorlegen, das die Abschaltung von Anlagen über Ausschreibungen regelt. Der dritte Bereich betrifft den Umbau der Erzeugungslandschaft: Durch den Kohleausstieg fallen nennenswerte Kapazitäten weg. Wenn das funktionieren soll, müssen andere Arten der Stromerzeugung verstärkt ausgebaut werden – in erster Linie natürlich die Erneuerbaren.
Kann Ökostrom Kohlestrom kompensieren?
Kohlekraftwerke erzeugen derzeit noch mehr als ein Drittel unseres Stroms. Ende 2022 geht zudem das letzte Atomkraftwerk in Deutschland vom Netz. Um den Wegfall dieser gesicherten und wetterunabhängigen Kapazitäten zu kompensieren, brauchen wir ein deutlich höheres Ausbautempo bei den Erneuerbaren Energien. Nach den Plänen der Bundesregierung sollen die Ökoenergien 2030 bereits 65 Prozent des Strombedarfs in Deutschland decken. Mit dem aktuellen Ausbautempo würden wir dieses Ziel allerdings verfehlen. Deutlich mehr Elan benötigen wir darüber hinaus auch beim Ausbau der Stromnetze und der Entwicklung innovativer Speicherkonzepte. Zudem wird es – zumindest für eine Übergangszeit – neue Gaskraftwerke zur Ergänzung der Erneuerbaren brauchen. Gaskraftwerke stoßen weniger CO2 aus als Kohlemeiler und können schnell hochgefahren werden, sollte die Versorgung mit Ökostrom nicht ausreichen. Doch aktuell investiert so gut wie kein Betreiber in neue Gaskapazitäten. Daher könnte die Politik noch gezwungen sein, finanzielle Anreize für den Bau neuer Gasturbinen zu setzen.
Steigen jetzt die Stromkosten?
Weil Kohle ein vergleichsweise billiger Energieträger ist, ist damit zu rechnen, dass ihr Wegfall kurz- und mittelfristig Effekte auf den Strompreis haben wird – zumindest in der Übergangsphase, bis die Erneuerbaren den Bedarf weitgehend decken. Daher hat die Kohlekommission vorgeschlagen, dass der Bund Privatverbraucher und Unternehmen ab 2023 entlastet – etwa über eine Kompensation bei den Netzentgelten. Als Größenordnung werden rund zwei Milliarden Euro pro Jahr genannt. Auch für die energieintensive Industrie soll es Erleichterungen geben. Hier muss man aber erst noch sehen, inwiefern die Bundesregierung die Empfehlung der Kommission übernimmt. Denn die Entlastungen würden sich bis 2038 auf weitere rund 30 Milliarden Euro summieren.