Als die Traditionsfirma ZF aus Friedrichshafen vor gut acht Jahren ihre Hundertjahrfeier beging, da versammelte sie an 193 weiß gedeckten Tischen Honoratioren und Automanager in einer aufwändig geschmückten Halle auf dem örtlichen Messegelände. Während die Gäste sich mit der Zerlegung ihrer Bodenseeforellen mühten, hielt der damalige Vorstandschef des Autozulieferers Stefan Sommer mit der Linken ein großes Zahnrad in die Luft, mit der Rechten eine Platine aus einem Elektroantrieb. Alles ganz harmonisch, sollte das heißen: Der als Zahnradfabrik gegründete Konzern würde den Übergang vom Verbrenner zum Elektroauto meistern, ohne das Wohlgefühl seiner sicherheitsgewohnten Mitarbeiter und dividendenseligen Eigner allzusehr zu strapazieren.
Das war das Versprechen. Dabei schien die Perspektive der Firma strukturell schon etwas ungewiss. Ihr Hauptprodukt waren über Jahrzehnte Getriebe. Die braucht ein Elektroantrieb nicht mehr oder zumindest nicht mehr so komplex. Aber die Männer aus dem Vorstand versicherten, dass sie alles im Griff hätten. Gerade hatten sie zum Beispiel beschlossen, die niedrigmargige Montage von Stoßdämpfern aus ihrem angestammten Werk in Schweinfurt nach Polen zu verlagern. Aber damit die Schweinfurter Mitarbeiter nicht vor dem Aus stehen, wurde dort eine neue Produktion von Teilen für E-Auto-Motoren hochgezogen. So könnte es gehen.
Im 109. Jahr der Firmengeschichte ist von dieser Harmonie nichts mehr zu spüren. Tausende Mitarbeiter stapften am Mittwoch durch den kalten Regen der Bodenseestadt und bekundeten, dass sie Angst um ihre Zukunft hätten. Der Vorstand setze die Existenz der gesamten ZF aufs Spiel rief Betriebsratschef Achim Dietrich. „Wenn das schiefgeht, dann gibt es die ZF gar nicht mehr. Um das geht es.“ Zuvor waren Pläne bekanntgeworden, nachdem der Konzernvorstand 12.000 Arbeitsplätze in Deutschland abbauen will, rund ein Viertel der Beschäftigten.
Drei Standorte in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen sollen ganz geschlossen werden, das war schon länger bekannt. Und am Stammsitz zögert der Konzern laut Betriebsrat seit über einem Jahr eine Einigung über Zukunftsperspektiven heraus, obwohl das anders versprochen worden sei. Drei Tage lang, bis Ende der Woche wollten die Mitglieder des Gesamtbetriebsrats beraten, wie sie auf die Situation reagieren könnten. Die herbeigeeilte neue Personalchefin Lea Corzilius habe noch einmal die schwierige Lage des Unternehmens referiert, aber wenig Antworten geben können, hieß es aus dem Gremium.
Kostendruck kommt bei ZF an
ZF, mit rund 44 Mrd. Euro Umsatz im Jahr und etwa 165.000 Beschäftigten weltweit einer der drei größten Autozulieferer, ist ein Muster dafür, was der Wandel in der Branche bedeutet. Und wie er sich in dem Feld auswirkt, auf das – im Unterschied zu den bekannten Herstellern – selten das Scheinwerferlicht fällt, obwohl hier der Großteil der Beschäftigten der Autoindustrie arbeitet.
Laut Prognosen der Beratungsfirma Alixpartners werden die Zulieferer in den kommenden Monaten und Jahren immensen Kostendruck zu spüren bekommen. Der Umbau ist längst keine abstrakte Herausforderung mehr. Die angestammten Autobauer der westlichen Länder müssen sich gegen Newcomer wie Tesla und chinesische Importeure zur Wehr setzen. In dieser Schlacht, so die Berater, hätten sie nur dann eine Chance, wenn sie bei den Kosten in die Nähe des viel niedrigeren Niveaus der neuen Konkurrenz kämen. Und diesen Druck müssten sie an die Zulieferer weitergeben. Bei ZF kommt dazu, dass der Konzern die strukturelle Herausforderung zwar erkannt, dann aber nicht gut gemanagt hat. Die Friedrichshafener haben für Milliardenbeträge neue Geschäftsfelder zugekauft, um weniger abhängig vom Verbrennergeschäft zu werden. Dann aber haben sie die dabei aufgehäuften Schulden nicht rechtzeitig abgebaut.
In einem Unternehmen, das stets für Sicherheit, Wohlstand, und Langfristigkeit zu stehen schien, löst derlei einen Schock aus. ZF ist ein Stiftungsunternehmen, das über den Mehrheitseigner Zeppelin-Stiftung von der Stadt Friedrichshafen kontrolliert wird. Die hat über Jahrzehnte in einzigartiger Weise von ihrem größten Arbeitgeber profitiert. Zeitweise schienen sie hier kaum noch zu wissen, wo sie die schönen neuen Schwimmbäder und gut ausgestatteten Kitas noch hinbauen sollte. Und Oberbürgermeister Andreas Brand mokierte sich schon mal über die Zusammenkünfte des baden-württembergischen Gemeindeverbands, indem seine Bürgermeisterkollegen nur über Finanzsorgen klagten.
Ein Job bei ZF, das galt nicht nur hier in Friedrichshafen als sichere Bank. Und es war etwas, was enorme Privilegien mit sich brachte. Jedes Jahr erhielten die Stammmitarbeiter zum Beispiel lukrative Sonderzahlungen. Mitarbeitervertreter und Vorstand bemühten sich meist um größte Eintracht. „Das ist nicht mehr so“, heißt es aus dem Gesamtbetriebsrat jetzt. „Inzwischen hat sich da etwas verschoben“.
Ausgerechnet im Jubiläumsjahr 2015 kaufte ZF für 12,4 Milliarden Dollar den amerikanischen Konkurrenten TRW, der in ganz anderen Geschäftsfeldern tätig war, als traditionell ZF. Sicherheitstechnik, Sensoren, autonomes Fahren. Die Übernahme sollte auch nach innen als Weckruf wirken: TRW war fast ebenso groß wie ZF. Und die übernommene Firma funktionierte nicht nur im Produktangebot völlig anders als ihr deutsches Pendant: ZF pflegte einen elitären Premiumanspruch bei seinen Edelgetrieben, die oft in Luxusfahrzeugen eingesetzt wurden – die Entwicklung war teuer, langsam, aber alternativlos gut.
Die Amerikaner waren schneller, billiger, pragmatischer, und auch digitaler – also so, wie die Chefs ZF auch gern hätten. Die beschrieben ihre eigene Firma oft als zu schwerfällig in den Abläufen, zu technikgetrieben, zu aufwandsverliebt. Typisch deutsch eben. Die Amerikaner waren pragmatisch, technisch oft nicht ganz vorne, aber Profis im Massengeschäft und beherrschten zudem vor allem digitale Abläufe. Die Hoffnung war: Der Käufer lernt vom Zukauf.
Auf diesem Weg wollte die Konzernführung gleich weitergehen. Erst bemühte man sich um den Bremsenhersteller Haldex und wurde von der Konkurrenz überboten. Dann ging es um Wabco, einen US-amerikanischen Spezialisten für elektronisch gesteuerte Bremsen. Doch die Übernahme scheiterte zunächst vor allem am Friedrichshafener Oberbürgermeister Brand. Der fürchtete, dass noch ein Milliardenzukauf die ganze Stabilität von ZF gefährden könnte. Vorstandschef Stefan Sommer ging, erst sein Nachfolger Wolf-Henning Scheider brachte die Großübernahme durch. Rund 6 Mrd. Euro waren dieses Mal fällig.
Zinswende wird zum Problem
Bei der ersten Großübernahme schaffte es das Management noch ganz gut, die immensen Schulden wieder abzubauen. Denn das war der Schwur gewesen, auf den die Stiftungseigentümer den Vorstand verpflichtet hatten: Eine dauerhaft hohe Verschuldung könnte ein Unternehmen gefährden, das so auf Stabilität gebürstet ist wie ZF. Nach der zweiten Großübernahme standen die langfristigen Schulden aber bei fast 13 Milliarden Euro. Und Vorstandschef Scheider und seinem Anfang vergangenen Jahres installierter Nachfolger Holger Klein gelang es kaum, diese Last zu reduzieren. Mit den steigenden Zinsen wird der hohe Schuldenstand zur Falle: Immense Zinszahlungen von deutlich mehr als 300 Millionen Euro pro Jahr lasten auf der Firma.
Dazu kommt, dass der Umbau im Stammgeschäft nur langsam vorankommt. ZF hat es durch die Zukäufe zwar geschafft, weniger abhängig vom Verbrennergeschäft zu werden. Aber dass sie gerade in den Traditionsfeldern zu teuer und zu langsam sind, dieses Problem gibt es nach wie vor. Dabei war absehbar, dass der Druck der Kunden, also der Autobauer, auf die Zulieferer zunehmen wird.
Nun versucht Vorstandschef Klein schnell zu sparen, um der doppelten Falle zu entkommen. Ganze Unternehmensteile wie das Geschäft mit Airbags – das vom teuren Zukauf TRW stammt – sollen ausgelagert werden. Der Personalabbau kommt dazu. Das Unternehmen sei „knietief in der Transformation“ sagte Personalchefin Corzilius in Friedrichshafen. „Wo heute zwei Mitarbeiter fertigen, ist es künftig nur einer.“ Aber der Schuldenstand lasse dem Unternehmen keine Wahl. „Wir müssen aufpassen, dass nicht die Banken uns irgendwann führen“. Die Mitarbeiter beklagten bei ihrer Protestaktion, dass sie die Leidtragenden einer verfehlten Strategie seien. So gibt der Großkonzern ZF einen Vorgeschmack auf ein Schicksal, das vielen mittelgroßen und kleineren Zulieferern noch bevorstehen könnte.