Der moderne Fußball ist nicht mehr nur Sport, er hat inzwischen auch erhebliche Nebenwirkungen. Besonders im Umfeld von Europa- oder Weltmeisterschaft hat er enorme Strahlkraft. Angesichts der wochenlangen Euphorie ist es kein Wunder, dass regelmäßig die Frage gestellt wird, wer eigentlich wirtschaftlich profitiert, wenn weltweit hunderte Millionen Verbraucher wochenlang in Hochstimmung sind.
Gewinner lassen sich leicht benennen: Da ist etwa die Bauindustrie, die im Vorfeld der Turniere Stadien und Straßen errichtet. Auch Catering- und Sicherheitsunternehmen erhalten durch die WM im jeweiligen Gastgeberland eine Sonderkonjunktur. Weltweit gehören zum Beispiel Bierbrauer und Sportartikelhersteller zu den Gewinnern. Vor allem aber profitiert der Fußball selbst. Während einer WM werden Menschen erreicht, die sich im Alltag kaum für den Fußball interessieren. Einige von ihnen bleiben dem Fußball nach der WM als neue Fans erhalten. Es ist deshalb wahrscheinlich, dass die Bundesliga einen erneuten Schub bekommen wird.
Nach dem letzten deutschen Titelgewinn im Jahr 1990 stiegen zum Beispiel die Zuschauerzahlen in den Stadien kräftig an (siehe Graphik). Zwar trug damals auch die zunehmend professionelle Vermarktung zum Bundesliga-Boom bei, doch der WM-Gewinn war eine Art Initialzündung. Es fällt eben deutlich leichter, Sportler und Mannschaften zu vermarkten, die internationales Spitzenniveau haben. Auch der Tennissport und die Formel 1 begeisterten hierzulande erst die Massen, als mit Boris Becker, Steffi Graf und Michael Schumacher deutsche Sportler höchste internationale Erfolge feiern konnten.
Effekte sind unbedeutend
Es ist unstrittig, dass der Fußball und dass einzelne Unternehmen von der WM profitieren. Ernüchternd fällt hingegen die volkswirtschaftliche Bilanz aus. Vor jedem Sportgroßereignis – ob WM, EM oder Olympische Spiele – werden die volkswirtschaftlichen Effekte für die jeweiligen Gastgeberländer analysiert. Zur allgemeinen Überraschung sind die Wachstumseffekte aber im Regelfall äußerst mager.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) attestierte rückblickend ganz nüchtern, dass von der WM 2006 in Deutschland keinerlei nennenswerten positiven gesamtwirtschaftlichen Effekte ausgegangen sind. Selbst optimistische Schätzungen im Vorfeld der WM 2006 kamen auf Effekte in Höhe von maximal 10 Mrd. Euro, was nicht einmal 0,5 Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes entsprach. Da die Baumaßnahmen, die den Löwenanteil des Gesamteffektes ausmachen, bereits vor dem Event über mehrere Jahre verteilt stattfinden, ist der BIP-Effekt auf Jahresbasis praktisch zu vernachlässigen.
So groß der gesellschaftliche Stellenwert auch ist, in volkswirtschaftlichen Kategorien ist der Fußball unbedeutend – sogar für die meisten Gastgeberländer von Weltmeisterschaften. Dass der volkswirtschaftliche Wert von Weltmeisterschaften für die Gastgeberländer dennoch immer wieder diskutiert wird, ist durchaus berechtigt, denn es geht auch um den Einsatz öffentlicher Gelder. Und hier ist eine ordentliche Aufstellung von erwarteten Kosten und Nutzen hilfreich.
Konsumausgaben werden umgelenkt
Während dieser WM wurde der Diskussionsbogen aber deutlich weiter gespannt. Plötzlich ging es darum, welche konjunkturellen Effekte die WM im fernen Brasilien auf die deutsche Konjunktur haben könnte. Dahinter steckt wohl die etwas naive Vorstellung, dass ein paar zusätzliche verkaufte Fanartikel und Bratwürste oder ein steigender Bierkonsum tatsächlich messbare konjunkturelle Effekte haben.
Offenkundig ist manchem Beobachter das Gespür für die richtigen Relationen verloren gegangen. Zur Erinnerung: Gemessen am privaten Konsum war das zweite Quartal 2006, in dem der Großteil des WM-Sommermärchens stattfand, keinesfalls außergewöhnlich.
Zu den konjunkturellen Trugschlüssen trägt auch bei, dass gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge oft durch die einzelwirtschaftliche Brille betrachtet werden. Wer nur auf den von der WM ausgelösten Mehrkonsum schaut, liegt zwangsläufig falsch. Denn während die Fußballanhänger vor dem Fernseher sitzen oder auf Grillfesten und Fanmeilen feiern und konsumieren, gehen sie nicht ins Kino, ins Restaurant oder ins Theater. Mit anderen Worten: Die Konsumausgaben werden zu einem guten Teil nur umgelenkt. Dies gilt übrigens auch für den immer wieder zitierten Fernseherkauf, zu dem die WM animiert. Im Regelfall wird ein Fernseher aber nur etwas früher gekauft als ohnehin geplant. Der zur WM gekaufte Flachbildschirm fehlt dem Einzelhandel somit ein paar Monate später im Weihnachtsgeschäft.
die Kirche im Dorf lassen
Groteske Züge nimmt die Diskussion um die volkswirtschaftlichen Effekte an, wenn Zusammenhänge konstruiert werden, wo keine sind – oder allenfalls mit dem Mikroskop gefunden werden können. So wurde die WM in den Medien auf konjunkturelle Effekte abgeklopft, die aus späten Anstoßzeiten und damit verbundenem Schlafmangel der Arbeitnehmer resultieren könnten. Oder es wurden die Folgen eines frühen WM-Ausscheidens auf die Wachstumsraten des jeweiligen Landes hinterfragt.
Fehlen durfte auch nicht die Frage, ob ein WM-Sieg im Land der Titelträger einen Konsumboom auslösen kann – als ob sich tatsächlich jemand einen neuen Kühlschrank oder ein neues Auto gönnt, nur weil die eigene Nationalelf Weltmeister geworden ist. Schließlich wurde sogar thematisiert, wie sich das sportliche Abschneiden der Nationalmannschaft auf den heimischen Aktienmarkt auswirkt und wie die daraus resultierenden Vermögenseffekte den privaten Verbrauch beeinflussen.
Um es deutlich zu sagen: Die Effekte sind viel zu gering und zudem von viel zu kurzer Dauer, um in den volkswirtschaftlichen Daten irgendwelche nennenswerten Spuren zu hinterlassen. Deshalb sollten alle Beteiligten die Kirche im Dorf lassen und den Fußball nicht überstrapazieren. Es gibt viele wirtschaftliche Aspekte des Fußballs, die eine gründliche Analyse wert sind. Sie sind aber ein paar Ebenen tiefer angesiedelt. Der Fußball kann vieles erreichen, die Wirtschaft einer ganzen Nation wird er aber nicht retten.