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Lahmende Konjunktur Wie sich die deutsche Wirtschaft selbst helfen kann

Neuwagen der Marke Audi werden mit einem Güterzug transportiert
Die Autoindustrie gehört momentan zu den Sorgenkindern der deutschen Wirtschaft
© IMAGO / Sven Simon
Die deutsche Wirtschaft lahmt und schon werden Rufe nach Hilfen durch den Staat laut. Aber sind die wirklich notwendig? Ökonomen sehen die Unternehmen am Zug: Sie könnten selbst stärker gegensteuern

Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer Schockstarre, wie Ökonomen es beschreiben. Die Rufe nach Hilfe vom Staat werden seit Monaten immer lauter, etwa nach einem Industriestrompreis und Bürokratieabbau. Allein an diesem Dienstag fordern die Arbeitgeberverbände eine „Renovierung“ des Wirtschaftsstandorts Deutschland, während die Wirtschaftsweise Veronika Grimm eine Stärkung von Investitionen verlangt und der Sparkassenverband mehr Tempo vor allem beim Faktor Energie. Doch die Unternehmen könnten auch selbst deutlich mehr beitragen, um ihre aktuelle Krise zu überwinden. Das zeigt eine Umfrage von ntv.de unter führenden Ökonomen.

Unternehmen und Bevölkerung sollten nicht erwarten, „dass der Staat in Krisen durch Hilfen alle Lasten aus der Welt schafft“, stellt IFO-Präsident Clemens Fuest auf ntv.de-Anfrage klar. „Die Politik neigt dazu, derartige Versprechungen zu machen. Das ist ein Fehler.“ Die geforderte Reformbereitschaft gelte natürlich auch für Unternehmen. „In der Vergangenheit hat es hier Versäumnisse und Fehler gegeben, ein Beispiel ist der Abgasskandal in der Autoindustrie.“

Auf die Autoindustrie verweisen auch andere Wirtschaftswissenschaftler. Viele Unternehmen machten zwischen Finanzkrise und Coronapandemie vor allem im Export blendende Geschäfte und Rekordgewinne, wie Jens Südekum gegenüber ntv.de erläutert. „Allen voran die Automobilindustrie. Aber dabei haben viele wohl vergessen, darüber nachzudenken, womit sie morgen Geld verdienen wollen, wenn die alten Produkte am Ende des Lebenszyklus angekommen sind“, meint der Professor für Internationale Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. „Der Bereich Elektromobilität wurde so zum Beispiel ziemlich verschlafen, und es musste erst Elon Musk mit Tesla kommen, um die deutschen Autokonzerne aufzuwecken.“

Mehr geopolitischer Weitblick

Auch Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, teilt ntv.de mit: „Die aktuellen Probleme des deutschen Automobilbaus haben ihre Ursachen zu einem beträchtlichen Teil auch in Versäumnissen des Managements, vom Diesel-Skandal über den verschleppten Einstieg in die Produktion von E-Autos bis hin zu schlechtem Management von Lieferketten in und nach der Coronapandemie.“

Unternehmen müssen Dullien zufolge ihre Lieferketten auf Zuverlässigkeit prüfen, dürften nicht mehr nur auf einen Zulieferer für Vorprodukte setzen und sollten die eigenen Arbeitsprozesse so gestalten, dass sie bei Schocks schnell reagieren können. Mehr Weitblick fordert der Ökonom zudem für die „anstehenden geopolitischen Veränderungen und die bevorstehende Dekarbonisierung“. Das sei effizient nur bei einer stärkeren Einbindung der Mitarbeiter möglich, „statt, wie es einige tun, die Mitbestimmung zu behindern“. Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), verlangt ebenfalls mehr geopolitischen Weitblick von Unternehmen, wie er gegenüber ntv.de ausführt: „Der Fokus auf China könnte mittelfristig ein Risiko darstellen.“ Hüther empfiehlt mehr strategische Investitionen, wie zur Rohstoffbeschaffung.

Nachholbedarf sehen Forscher daneben bei der Digitalisierung und Investitionen. „Der Kapitalstock ist vergleichsweise überaltert, viele digitale Technologien werden nur unterdurchschnittlich eingesetzt, insbesondere in kleinen und mittelständischen Unternehmen“, kritisiert Südekum. „Große Investitionen sind erforderlich. Natürlich kann und muss der Staat hierbei punktuell mit Förderprogrammen helfen, aber zuallererst sind die Unternehmen selber gefragt.“ Investitionsbedarf besteht laut Jan Schnellenbach, VWL-Professor an der Brandenburgischen Technischen Universität in Cottbus, vor allem bei Forschung und Entwicklung - vom Staat gefördert.

„Arbeitslosigkeit ist ein Übergangsphänomen“

Denn Unternehmen müssten neue, innovative Produkte entwickeln, wie Schnellenbach ntv.de mitteilt. „Da stehen wir in Deutschland traditionell ganz gut da mit vielen sogenannten Hidden Champions, also Unternehmen, die die breite Öffentlichkeit oft gar nicht kennt, die aber sehr gut darin sind, kleine, hoch spezialisierte Nischenmärkte mit sehr fortgeschrittenen Produkten zu bedienen und die da auch entsprechend hohe Preise aufrufen können, weil es wenige oder gar keine ähnlich innovativen Wettbewerber auf den Weltmärkten gibt.“

Durch Produkte, für die die Zahlungsbereitschaft höher ist, steigt die Arbeitsproduktivität - laut Schnellenbach der wichtigste Beitrag von Unternehmen zu mittel- und langfristigem Wachstum. Eine höhere Produktivität werde daneben durch technischen Fortschritt in der Produktion möglich, vor allem mehr Automatisierung, Digitalisierung und Effizienz. Durch den Fortschritt bei künstlicher Intelligenz sei selbst in der Dienstleistungsbranche, etwa in Beratungsjobs, mehr Automatisierung möglich.

Der dadurch kurzfristig mögliche Anstieg der Arbeitslosigkeit sei angesichts des demografischen Wandels mittel- und langfristig keine Bedrohung. „Wir müssen schauen, wie wir mit weniger Arbeitskräften ein hohes - und weiter wachsendes - Produktionsniveau erreichen können“, sagt der Ökonom. „Arbeitslosigkeit ist da allenfalls ein kurzfristiges Übergangsphänomen.“

Grüner und digitaler

IW-Chef Hüther nennt es besorgniserregend, dass mehr als die Hälfte der Unternehmen einen unklaren Nutzen als Hürde für digitale Geschäftsmodelle angebe, und fordert mehr Offenheit dafür. Mithilfe der Digitalisierung könnten bis zu 13 Prozent Material und 11 Prozent Energie eingespart werden. Kosten senken und Ressourcen schonen würde ihm zufolge auch eine besser umgesetzte Kreislaufwirtschaft. „Nachhaltigkeit sollte als Geschäftsmodell ernst genommen werden, die grüne Transformation schnell umgesetzt werden, um wettbewerbsfähig in Zukunftsbranchen zu sein.“

Eine höhere Widerstandsfähigkeit von Unternehmen gegen Schocks wie aktuell bei den Energiepreisen entlässt den Staat nicht aus der Pflicht. Dieser könne und solle helfen, die aktuelle Unsicherheit infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zu verringern, findet Dullien. Gunther Schnabl, Professor für Wirtschaftspolitik und Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Leipzig, sieht die entscheidende staatliche Hilfe allerdings in einem Weniger statt Mehr: „Nachdem in den letzten Jahren Krisen mit mehr Staatsausgaben, mehr Regulierung und einer immer expansiveren Geldpolitik der EZB begegnet wurde, brauchen wir jetzt eine ordnungspolitische Wende“, fordert er gegenüber ntv.de.

„Jetzt brauchen wir eine Konsolidierung der Staatsausgaben sowie eine umfassende Deregulierung, um den Unternehmen wieder mehr Freiheit zu geben“, meint Schnabl. „Der aktuelle wirtschaftspolitische Aktionismus ist Gift für die Wirtschaft“, sagt der Volkswirt. „Ein schlankerer Staat und Investitionen statt Subventionen sind die Schlüssel für eine wirtschaftliche Belebung in Deutschland.“

Hüther sieht es als Wechselspiel: Die Transformation verlange ein Zusammenspiel aus staatlichem und unternehmerischem Handeln. „Der Staat muss die notwendigen Bedingungen dafür bereitstellen, aber die Unternehmen müssen die grüne und digitale Transformation umsetzten.“

Der Beitrag ist zuerst bei ntv.de erschienen

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