Das Rathaus brannte, Gerichte, Kataster. Als der Außenminister in die zentralalbanische Stadt Luschnja eilte, um die aufgebrachten Massen zu beruhigen, wurde er von Demonstranten als Geisel genommen: Man stopfte ihm eine Zwiebel in den Mund, urinierte auf ihn und sperrte ihn in die Umkleide des örtlichen Fußballstadions, wo sich Tausende versammelt hatten.
So ging die Ära der albanischen Schneeballsysteme zu Ende. Über Jahre hatten Betrüger den Sparern des Landes Zinsen von bis zu 300 Prozent zugesichert – und auch ausgezahlt, solange die stetig fließenden Einlagen von Neukunden es möglich machten. Als die Pyramiden im Januar 1997 kollabierten, landeten die Betrüger im Knast. Die geprellten Anleger aber wollten, dass der Traum weiterginge – und wandten sich gegen den Staat, der ihre vermeintlichen Wohltäter einsperrte.
Überall im Osten gab es die Pyramidensysteme nach dem Kommunismus. Nirgends aber hielten sie sich so lange wie in Albanien, nirgends sonst kaperten sie die halbe Volkswirtschaft. Menschen verkauften Haus und Hof, Auslandsalbaner schaufelten Dollars ins Land, um von den Wunderzinsen zu profitieren. So schön war also der Kapitalismus!
Die „FAZ“, die Konrad-Adenauer-Stiftung, selbst IWF-Chef Michel Camdessus schwärmten vom albanischen „Wirtschaftswunder“. Dessen Inkarnation war die Vefa-Holding von Vehbi Alimucaj, dem damals reichsten Mann des Landes. Ihr Slogan „Das albanische Wunder“ war omnipräsent, ihr TV-Sender brachte die frohe Botschaft ins Land, ihr Chef versprach, am Balkan werde es bald „schön wie in der Schweiz“.
Mehr als die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts steckte da bereits an Einlagen in den Pyramiden. Fast jede Familie, arme Bauern, auch ein albanischstämmiger Harvard-Ökonom hatten Geld investiert. Als die Systeme zusammenbrachen, fuhr eine Welle der Gewalt durchs Land: Massen plünderten die üppigen Waffenlager, Banden eroberten vielerorts die Macht, öffentliche Gebäude brannten, ausländische Botschaften wurden übers Meer evakuiert. Erst eine internationale Militäroperation unter Führung Italiens konnte im April 1997 die Ordnung wiederherstellen.
Wenn heute, 23 Jahre später, über Albaniens Aufnahme in die EU gestritten wird, sind dort die Pyramidenjahre noch immer im kollektiven Gedächtnis eingebrannt.
Hauptperson
Vehbi Alimucaj , geb. 1949, war Unteroffizier, wurde 1990 Altkleiderhändler und verkaufte Seife, bevor er mit seinem Vefa-Konglomerat Privatgeld von Investoren einsammelte. Wurde 2002 wegen Betrugs zu 20 Jahren Haft verurteilt, kam 2010 vorzeitig frei.
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