Andreas Syska steht auf der Balustrade und blickt auf Deutschlands schnellstes Impfzentrum, eine umgebaute Turnhalle in Neuss. Messebau-Wände, Registriertische, markierte Wege, Impfkabinen, ein Ausruh-Bereich von ein paar Dutzend Stühlen. Was er sieht, stimmt ihn zufrieden. Keine Schlangen, kein Gedränge, höchstens ein zwei Menschen warten auf Stühlen vor den Kabinen. Eine fast andächtige Stille liegt im Raum.
„Es fließt“, so soll es sein. „Hohe Effizienz, stressfreie Prozesse, entspannte Gesichter“, sagt Syska, ein großer Mann mit kahlem Schädel, dem sein Alter (62) nicht anzusehen ist. Der Mann ist Berufsoptimierer, er lehrt Produktionsmanagement an einer Hochschule am Niederrhein, hilft Mittelständlern ihre Prozesse zu verbessern und hat in den vergangenen Wochen das Impfen hier mit perfektioniert. „Alle 15 Sekunden kann ein frisch Geimpfter das Impfzentrum verlassen,“ erklärt Syska, „vorausgesetzt alle acht Impfstraßen arbeiten.
Nur gut zwei Minuten Zeit braucht es für einen Pikser. Angefangen haben sie mit vier bis sechs Minuten. Über 3000 Menschen könnten sie so am Tag impfen, im Schichtbetrieb zwischen 8 Uhr und 22 Uhr. Es sind rekordverdächtige Zahlen, die ihnen den Ruf des schnellsten Impfzentrums Deutschlands eingebracht haben.

Dabei wollte ihn Anfangs keiner. Als es mit dem Aufbau von Impfzentren in Deutschland losging, bot er seine Unterstützung an, ehrenamtlich, in seiner freien Zeit. Er schrieb ans Gesundheitsministerium NRW, Kommunen, die Kassenärztliche Vereinigung und hörte – nichts. „Die Scheu war riesig“, erzählt Syska. „Impfen im Akkord, Prozessoptimierung, Effizienzsteigerung, das klang für viele erschreckend, so als würden wir Menschen aufs Fließband setzen“.
Schließlich meldete sich das Impfzentrum Rhein-Kreis-Neuss, als einziges. Barbara Edelhagen, die Damen, die sonst die Zulassungs- und Führerscheinabteilung im Kreis leitet, wollte seinen Rat. Das Duo harmonierte, er passte zum Team. Syska ist keiner der auftrumpfend auftritt, er hört viel zu, beobachtet, probiert aus und dosiert den Manager-Sprech auf ein Minimum.
Kleine Dinge mit großer Wirkung
Sie verdoppelten die Mitarbeiter an der Registrierung, führten Lotsen ein, verbesserten die Wegführung, kleine Dinge mit großem Effekt. Die Schlangen vor der Registrierung lösten sich auf, die Ärzte weiter hinten in den Kabinen hatten wieder genug zu tun. Zugleich reduzierte sich der Stress für alle – Mitarbeiter wie Patienten, weil die Prozesse im Fluss blieben. Abgeguckt hat sich der Berater das Prinzip vom japanischen Autohersteller Toyota, der seine Effizienz mit Hilfe von Kaizen, einer Methode der permanenten Verbesserung, so deutlich steigerte, dass Generationen von Managern sich daran orientieren.
Mit der Methode, glaubt Syska, könnte theoretisch jedes Impfzentrum seine Impfgeschwindigkeit verdoppeln. Damit könnten die 450 Impfzentren bundesweit im Tagesschnitt etwa eine Million Menschen schaffen, rechnet Syska vor. Vorausgesetzt natürlich es gibt ausreichend Impfstoff.

Doch auch beim Impfen steht sich Deutschland mit bürokratischen Hürden und Vorgaben selbst im Weg. Die Terminvergabesysteme funktionierten häufig nicht gut, sie waren überlastet. Statt zusammenzuarbeiten, kreierte jedes Bundesland sein eigenes System. Wer es ins Impfzentrum schaffte, musste Zeit mitbringen, Warteschlangen draußen wie drinnen. Die deutsche Gründlichkeit verlangt viel Papier, fünf bis sechs Unterschriften bei der Erst- und genauso viele bei der Zweitimpfung, zehnseitige Dokumente, die jeweils bei der Registrierung manuell in den Computer übertragen wurden. Mancherorts mieteten Impfzentren Container für die Akten an. Misslich auch, dass mitunter Impfzentren an Wochenenden und Feiertagen früher schließen.
Inzwischen läuft es zwar in ganz Deutschland schneller. Im Schnitt werden in pro Sekunde acht Covid-Vakzine in Oberarme gespritzt, mehr als 33 Millionen Menschen sind bereits einmal, mehr als elf Millionen Menschen vollständig geimpft.
Es wäre mehr drin
Aber Prozessoptimierer Syska ist trotzdem nicht zufrieden. Im Impfzentrum Neuss fühlen sie sich ausgebremst, es gibt viel Leerlauf. Zwar hat das Land NRW nun mehr Impfdosen zu verteilen, doch im schnellsten Impfzentrum der Republik kommt davon nichts an.
Die zusätzlichen Dosen gehen an die Hausärzte, erzählt Syska, der sich über diesen Unsinn in Rage reden kann. Nun haben sie hier eine bestens funktionierende Impfstraße – gut erreichbar – und nun werde sie nicht vernünftig genutzt. 1300 Menschen werden an diesem Donnerstagabend vor Pfingsten hier geimpft sein, gerade mal ein Drittel von dem was möglich wäre. Für ihn sei das weder ökonomisch noch menschlich nachvollziehbar.
Ändern kann er es nicht. So freut er sich lieber über einen neuen Rekord. Er hat die Zeit für seine eigene Impfung gestoppt. Neun Minuten und sechs Sekunden vom Fiebercheck bis zum Stempel im Impfpass. Schneller geht es eigentlich nicht mehr.