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Handel Wie Corona den stationären Einzelhandel verändert

Die Corona-Krise setzt den Einzelhandel unter Druck, obwohl die Geschäfte weiter öffnen dürfen.
Die Corona-Krise setzt den Einzelhandel unter Druck, obwohl die Geschäfte weiter öffnen dürfen.
© Olaf Döring / IMAGO
Der stationäre Einzelhandel musste im neuen Teil-Lockdown nicht wie im Frühjahr schließen. Doch auch wenn die Geschäfte offen sind, setzt Corona den Händlern zu. Denn sie verstärkt eine Entwicklung, die es bereits vorher gab: den Trend zum Onlineshopping

Eigentlich müsste der stationäre Einzelhandel gerade das Geschäft des Jahres machen: das Weihnachtsgeschäft. Zwar darf der Einzelhandel anders als zum Beispiel Gastronomiebetriebe noch öffnen, doch die hohen Infektionszahlen und der Teil-Lockdown scheinen die Kunden abzuschrecken : Die Innenstädte sind deutlich leerer als vor der Pandemie, viele kaufen lieber im Internet.

Schon in den ersten drei Novemberwochen hat der Einzelhandel laut einer Trendumfrage des Handelsverbands Deutschland (HDE) in der Innenstadt im Vergleich zum Vorjahr rund einen Drittel weniger Umsatz gemacht, der Bekleidungshandel verbucht demnach sogar ein Minus von 40 Prozent . Das sei nichts, was man einfach so auffangen könne, Stefan Hertel, Pressesprecher des HDE. „Viele Innenstadt-Händler stehen in der Folge mit einem Bein in der Insolvenz.“

„Fiasko“ statt „Highlight“

Das Weihnachtsgeschäft sei eigentlich das „Umsatzhighlight“ für viele Händler. „Dieses Jahr ist es für viele kein Highlight, sondern ein Fiasko“, sagt Hertel. Gerade erst habe man die Weihnachtsprognose an den verlängerten Teil-Lockdown angepasst: „Wir gehen davon aus, dass weitere zwei Milliarden Euro aus dem stationären Bereich in den Onlinebereich abwandern.“

Ähnliches beobachtet auch Kai Hudetz, Geschäftsführer am Institut für Handelsforschung (IFH). Trotz geöffneter Geschäfte seien Konsumentinnen und Konsumenten verunsichert und würden vermehrt in den Onlinehandel abwandern. Wenn sie in den stationären Einzelhandel kämen, dann sehr zielgerichtet, so Hudetz: „Stöbern, bummeln, sich inspirieren lassen – das ist im Moment mehr oder minder passé.“

Den inoffiziellen Startschuss für das Weihnachtsgeschäft gibt der Black Friday mit seinen zahlreichen Rabattaktionen – nicht nur im Internet, sondern auch in den Geschäften. In diesem Jahr dürfte auch das schwierig sein: „Wenn ohnehin kaum Kunden in die Innenstädte kommen, dann haben die Händler auch mit dieser Aktion keinen Erfolg – nicht vergleichbar mit den vergangenen Jahren“, sagt Hertel. Auch hier werde ein Großteil zum Onlinehandel abwandern.

Auch Hudetz geht davon aus, dass vor allem der Onlinehandel vom Black Friday profitieren wird. Schon vor der Corona-Krise habe an dem Aktionstag vor allem der Onlinehandel punkten können, auch wenn der stationäre Einzelhandel vermehrt bei den Aktionen mitziehe.

Corona verändert die Innenstädte

Die Innenstädte in Deutschland konkurrieren nicht erst seit der Corona-Krise mit dem Onlinehandel. Doch die Pandemie hat die Lage verschärft: „Die Fortsetzung des Lockdown Light verlangt den Innenstädten alles ab und am Ende, so fürchten wir, könnte sie das Gesicht der Innenstädte maßgeblich verändern“, sagt Hertel. Nach der Corona-Krise könnten, so Hertel, bis zu 50.000 Geschäfte in Deutschland verschwinden. Man müsse nun schnell handeln, um eine Verödung der Innenstädte zu verhindern.

Hudetz beobachtet eine starke Verschiebung des Einkaufsverhaltens zugunsten des Onlinehandels. Ganz werde das auch nicht wieder weggehen, prognostiziert er. „Die Zufriedenheit der Kundinnen und Kunden im Onlinehandel ist hoch – auch bei denen, die in der Corona-Zeit zum ersten Mal gewisse Produkte online eingekauft haben“, sagt er. Möglicherweise werde sich das Wachstum des Onlinehandels aber wieder auf etwas niedrigere Zahlen einpendeln.

Neue Konzepte gefragt

Die Corona-Krise sieht Hudetz als Beschleuniger einer Entwicklung. Es sei zu befürchten, dass der Handel ausdünne und es mehr Leerstände geben werde, die man auch nicht einfach nachbesetzen könne. „Wir werden einen neuen Mix von Angeboten in der Innenstadt benötigen – von Gastronomie über Kultur und Sport bis hin zu anderen Freizeitangeboten“, sagt er. Nur in Städten mit besonders hoher Kaufkraft könne man möglicherweise zu ähnlichen Strukturen wie vor der Pandemie zurückkehren. „Es wird nicht mehr so werden wie vorher. Das ist sonnenklar.“

Diese Woche beschlossen die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten neue Beschränkungen – dieses Mal auch für den Einzelhandel. So dürfen Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von über 800 Quadratmetern künftig nur noch einen Kunden pro 20 Quadratmeter in ihr Geschäft lassen.

Hertel kritisiert diese neue Regelung. Man befürchte, dass sich mehr Schlangen vor den Geschäften bilden könnten. Das sei zum einen kontraproduktiv, weil durchaus eine Infektionsgefahr in der Schlange gegeben sein könnte und sich die Menschen draußen erkälten könnten.

Zum anderen gebe es eine spezielle Situation im Lebensmitteleinzelhandel. Viele Supermärkte hätten eine Verkaufsfläche von mehr als 800 Quadratmetern. „Wenn sich dort Schlangen bilden, dann kommt ein psychologischer Effekt dazu: Wenn da viele Leute stehen, vermuten die Menschen Warenknappheit“, sagt Hertel. Man befürchte, dass dann Hamsterkäufe wieder zunehmen könnten.

„Geöffnete Ladentüren sichern keine Existenz“

Hertel kritisiert, dass es für den Handel bisher keine Nothilfen der Bundesregierung gibt. Bisher sei das Argument, dass der Einzelhandel ja weiter öffnen dürfe. „Das verkennt aber völlig, dass geöffnete Ladentüren keine Existenz sichern, wenn keiner reinkommt“, sagt er. Daher fordert der HDE einen Innenstadtfonds mit einem Umfang von 500 Millionen Euro. Damit solle eine umfassende Problemanalyse der Innenstädte sichergestellt werden, denn jede Stadt sei anders, so Hertel. Im Moment gebe es noch ein Erkenntnisproblem, weil beispielsweise Leerstände nicht zentral registriert würden.

Um die Einzelhändler beim Übergang in die digitale Welt zu unterstützen, fordert der HDE zudem ein staatliches Digitalisierungsförderprogramm mit einem Umfang von 100 Millionen Euro, das Maßnahmen in den Unternehmen fördern soll. Man rate den Einzelhändlern derzeit, wenn sie es noch nicht getan hätten, darüber nachzudenken, sich ein Online-Standbein aufzubauen, sagt Hertel. „Dann können sie auch am Onlinewachstum teilhaben“, sagt er. Aber das sei die Königsdisziplin. In der Krise sei es für viele kleine und mittelständische Unternehmen nicht möglich, große Investitionen in die Digitalisierung zu tätigen.

Nach Corona: Rückkehr zum stationären Handel?

Wie es für den stationären Einzelhandel weitergeht, das hängt für HDE-Sprecher Hertel vor allem von einer Frage ab: Kommen die Kunden nach der Pandemie zurück in die Innenstädte oder bleiben die Menschen beim Onlinehandel? Man könne davon ausgehen, dass nicht alle wieder vollkommen zum stationären Einzelhandel zurückkehren würden. „Inzwischen ist eine kritische Zeitspanne erreicht, die eine Gewöhnung eintreten lässt“, sagt Hertel.

Man habe es mit zwei gegenläufigen Bewegungen zu tun, sagt Hudetz. Einerseits gebe es die hohen Zufriedenheitswerte mit dem Onlinehandel. Andererseits gebe es auch eine gewisse Sehnsucht nach dem stationären Handel. „Ich glaube schon, dass es eine Chance für den stationären Handel gibt“, sagt Hudetz. „Wir als Konsumentinnen und Konsumenten werden wieder etwas gieriger nach Events und sozialem Austausch. Wenn es also zum Beispiel wieder die Möglichkeit gibt, zu einer Lesung in einem Buchladen zu gehen statt das Buch direkt im Internet zu bestellen, wenn man eine Modenschau besuchen oder wieder bummeln kann, dann wird ein Teil wieder zurückkommen.“

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