Nicht wenige Unternehmer, welche die Verhältnismäßigkeit der derzeitigen Eindämmungsmaßnahmen der Bundesregierung infrage stellen, müssen sich dem Vorwurf der Rücksichtslosigkeit gefallen lassen. Vermutlich gehöre ich bald zu ihnen. Um es vorweg zu nehmen, weder maße ich mir als Unternehmer an, Menschenleben irgendeiner materiellen Bewertung zu unterziehen, noch gehe ich für mein Geschäft über Leichen. Niemand hat sich diese Krise ausgesucht.
Das Coronavirus trifft uns allesamt unvorbereitet und hat einen Zustand hervorgebracht, wie wir ihn uns vor wenigen Monaten nicht hätten vorstellen können. Dass ein wirtschaftlich starker Staat wie Deutschland stringente Maßnahmen ergreift, um Menschenleben zu retten empfinde ich als selbstverständlich. Schließlich haben wir die Menschenwürde als oberste Maxime in unserem Grundgesetz fest verankert.
Unternehmer stehen in der Verantwortung – und stehen allein mit ihren Fragen
Doch zur Würde des Menschen gehört neben seiner Gesundheit auch die soziale und wirtschaftliche Sicherheit – insbesondere hierfür tragen Unternehmer tagtäglich Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeitern. Insofern stellt sich für mich als Geschäftsführer eines produzierenden Online-Handels mit fast 300 Mitarbeitern nicht die einfache Frage nach der schönen neuen Arbeitswelt im Homeoffice, von der die ganze Republik (trotz mangelhafter digitaler Infrastruktur) gerade träumt. Lagerlogistik lässt sich nur schwer von zu Hause aus erledigen.
In der Flut an täglich neuen Zahlen zu Corona sowie der fundamentalen Ungewissheit hinsichtlich der tatsächlich zu erwartenden medizinischen Folgen der Pandemie stelle ich mir Tag für Tag die Fragen: Handle ich als Unternehmer verantwortungsbewusst oder verantwortungslos, wenn ich den Betrieb zum Schutz meiner Mitarbeiter schließe beziehungsweise am Laufen halte? Wäre es angebracht, einige Abteilungen ins Homeoffice zu schicken? Und wo bleibt dann die Solidarität des Teams gegenüber denjenigen, die – wie die Lagermitarbeiter – nicht von zu Hause aus arbeiten können? Diesen Spagat zwischen dem Schutz der Gesundheit und dem Aufrechterhalten der Wirtschaft müssen viele Unternehmer in der Corona-Krise tagtäglich meistern.
Status quo gefährdet unseren Wohlstand – und das Unternehmertum als Ganzes
Mit der Beibehaltung oder gar Verschärfung der aktuellen Maßnahmen riskieren wir, dem Rückgrat der deutschen Wirtschaft langfristig und irreparabel das Genick zu brechen. Die unter Generationen und jahrzehntelang aufgebaute wirtschaftliche Existenz von tausenden von Unternehmen und ihren Mitarbeitern ist gefährdeter denn je. Die Aussage von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, es werde „kein Arbeitsplatz verloren“ gehen, erinnert in seinem Realitätsgehalt schon drei Wochen nach seiner Entstehung an Norbert Blüms fatales Versprechen „die Rente ist sicher“.
Die beschlossenen und bereits in Milliardenhöhe ausgezahlten Nothilfen reichen in den meisten Fällen nicht aus – und sie müssen auch gedeckt sein. Wir müssen verhindern, dass das Konsumklima vollends abkühlt und somit den Unternehmen den Antrieb raubt.
Gesundheit braucht gesunde Wirtschaft
Zu guter Letzt dürfen wir nicht vergessen, dass unser vorbildliches Gesundheitssystem allerdings nur funktioniert, weil dahinter eine leistungsfähige Wirtschaft steckt und wir alle uns dieses Niveau erarbeitet haben. Auch für einen Stand-by-Modus benötigt man Energie – und die darf nicht versiegen. Wenn also die Wirtschaft nach einer angemessenen Zeit nicht bald wieder hochfahren darf, ist sie in großer Gefahr.
Oder anders gesagt: Wenn wir zu lange auf Pause bleiben, wird Play nicht mehr funktionieren. Dass ein strenger Gesundheitsschutz und eine laufende Wirtschaft funktionieren können, zeigen uns ostasiatische Nationen wie Südkorea und Singapur. Natürlich müssen die eingeschlagenen Maßregeln erst einmal wirken. Doch Konzerne, Mittelstand, Gastronomen und Messeveranstalter benötigen eine Perspektive. Jetzt!
Martin Menzist Gründer und Geschäftsführer von Relaxdays, einem Online-Handel mit fast 300 Mitarbeitern aus Halle (Saale).