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Gastbeitrag Insolvenzen - die Ruhe vor dem Sturm

In einem Fenster eines Cafes im Bremer „Viertel“ hängt ein Schild mit der Aufschrift „Help! Dieser Laden ist geschlossen. Geöffnet werden kann er nur mit Hilfe!“
In einem Fenster eines Cafes im Bremer „Viertel“ hängt ein Schild mit der Aufschrift „Help! Dieser Laden ist geschlossen. Geöffnet werden kann er nur mit Hilfe!“
© dpa
Die Bundesregierung will eine große Pleitewelle in Deutschland verhindern. Doch der politische Aktionismus sorgt womöglich nur für eine Verzögerung. Torsten Martini, Experte für Insolvenzrecht, befürchtet, dass die große Welle kommt - nur später.

Die Geschwindigkeit, in der die Politik zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie Gesetze auf den Weg gebracht und mit einem Federstrich Regelungen u.a. im Miet- und Insolvenzrecht außer Kraft gesetzt oder grundlegend geändert hat, ist im besten Sinne bemerkenswert. Der Rechtsanwender hätte sich aber einiges an Muße und besserer Vorbereitung gewünscht, der Gesetzgeber stand aber erkennbar unter Zugzwang. Die Erwartungshaltung an die Dokumentation der Handlungsfähigkeit der Regierung war erheblich.

Die hehren Absichten merkt man den gesetzlichen Regelungen an. Doch: Sie greifen zu kurz und werden, wenn der Gesetzgeber nicht erheblich nachbessert, demnächst zu erheblichen Verwerfungen in weiten Teilen der Wirtschaft führen. Verschiedentlich haben Vertreter der Regierungskoalition bereits kurzfristige Anpassungen und Verbesserungen in Aussicht gestellt. Genauso dynamisch wie die Epidemie selbst ist, sollte der Gesetzgeber jetzt in der Validierung und Anpassung der neu eingeführten Regelungen sein.

Dennoch wird die Politik nicht verhindern können, dass es zu einem signifikanten Anstieg von Unternehmensinsolvenzen kommt. Einerseits solcher Unternehmen, die bereits vor Corona insolvenzreif und nicht sanierbar waren und jetzt den Pyrrhussieg des Zeitgewinns durch die gesetzlichen Regelungen davontragen und andererseits solcher, die originär durch Betriebsschließungen oder erhebliche Einnahmeverluste in ihrer Existenz gefährdet sind. Diesen muss geholfen werden, jene sollten aus dem Markt ausscheiden.

Trittbrettfahrer in Kauf genommen

Die gesetzlichen Regelungen unterscheiden jedoch zwischen diesen beiden Gruppen überhaupt nicht, indem sie Hilfen nicht kausal mit den Auswirkungen der Epidemie auf den Ertrag verknüpfen, sondern in ein lockeres Kausalverhältnis einbinden („auf den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie beruht“). Es mag sein, dass in der Kürze der Zeit anderes nicht umsetzbar war, um den Betroffenen schnelle und effektive Hilfe zukommen zu lassen. Trittbrettfahrer hat man damit aber in Kauf genommen.

Die einstweilige Suspendierung der Insolvenzantragverpflichtung (für die GmbH etwa in § 15a InsO) entlastet Geschäftsführung und Vorstände vom Risiko einer möglichen Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung und einer persönlichen Haftung wegen Zahlungen, die nach Eintritt der Insolvenzreife an sich verboten sind (für die GmbH etwa § 64 GmbHG). Sie hilft jedoch primär der Unternehmensleitung, dem Unternehmen höchstens reflexartig. Diesem helfen allerdings die neuen gesetzlichen Regelungen über die Behandlung von Sanierungskrediten und Gesellschafterleistungen: Neue Kredite, die dem Unternehmen jetzt bis zum 30. September 2020 gewährt werden, können drei Jahre lang zurückgezahlt werden und gelten dennoch nicht als gläubigerbenachteiligend. Sie sind demgemäß der gefürchteten Anfechtung durch den Insolvenzverwalter entzogen. Das gleiche gilt für die Besicherung derartige Kredite und für Rückzahlungen auf Gesellschafterdarlehen. Gerade für Start-ups, die den Break-even noch nicht erreicht haben, stellen diese Regelungen erhebliche Erleichterungen bei weiteren Finanzierungsrunden oder Bridge-Finanzierungen dar.

Keiner dieser Regelungen löst jedoch das Problem unabsehbarer und endgültiger Einnahmeverluste bei im wesentlichen fortlaufenden Kosten. Die Liquiditätsfrage ist aber gegenwärtig das bestimmende Thema. Hier sind die Banken gefragt. Die öffentliche Hand kann nur erste Hilfe leisten und die Grundlagen schaffen. Die zur dauerhaften Aufrechterhaltung großer Teile der Wirtschaft erforderlichen Mittel müssen von den Banken kommen.

Böses Erwachen im Juli

Entgegen einer häufig kolportierten Meinung hat der Gesetzgeber die Verpflichtung zur Zahlung von Mietverbindlichkeiten nicht verschoben oder gar ausgesetzt. Mieten sind weiter zu zahlen, der Mieter kommt ergo auch in Verzug, wenn er nicht zahlt. Allein kann der Vermieter eine Kündigung nicht auf Mietrückstände für die Monate April bis Juni 2020 stützen, wenn die Nichtleistung auf den Auswirkungen der Pandemie beruht, was glaubhaft zu machen ist.

Das böse Erwachen wird, wenn der Gesetzgeber nicht bis dahin nachbessert, im Juli folgen, wenn dann unter Umständen die vierfache Miete, womöglich nebst Verzugszinsen, auf einen Schlag zu zahlen ist. Die verantwortungsvolle Unternehmensleitung wird bereits zuvor einvernehmliche Regelungen mit dem Vermieter über reduzierte Mietzahlungen treffen, um genau das zu vermeiden. Die zu erwartende Abkühlung des Marktes gewerblicher Mietflächen wird dies voraussichtlich viel eher möglich machen als noch vor einigen Wochen. Diejenigen Unternehmen aber, die bereits vor Corona mangels eines tragfähigen Geschäftskonzepts oder einer Sanierungsfähigkeit insolvenzreif waren, werden schon mangels Rücklagen derartige Einigungen mit Vermieter nicht herbeiführen können.

Diese Beschränkung des Kündigungsrechts ist einer der Bausteine, der dazu beitragen wird, dass die große Insolvenzwelle uns nicht jetzt, sondern frühestens im Sommer bevorsteht.

Viele werden nicht überleben

Der zweite Baustein, der eine Bugwelle befürchten lässt, sind die sicherlich in bester Absicht beschlossenen Maßnahmen wie die Vereinfachungen beim Kurzarbeitergeld, die Möglichkeiten vereinfachter Steuerstundungen und der weitgehende Verzicht auf deren Vollstreckung und vor allem das ganze Bündel an durch Bund und Länder beschlossener finanzieller Sofortmaßnahmen. Selbst wenn diese kurzfristigen Liquiditätshilfen im Großen und Ganzen schnell bewilligt werden und auch fließen, so ist doch absehbar, dass sie nicht ausreichen werden, entstandene Einnahmeausfälle in Gänze zu kompensieren. Sie werden dazu auch von denjenigen Unternehmen in Anspruch genommen, also mitgenommen, die dennoch nicht überleben werden.

Überleben werden viele nicht, wobei es naturgemäß auch branchenabhängig ist, wie schnell und heftig die Krise durchschlägt. Unternehmen der Textilindustrie und des Textilhandels werden wegen des weitgehenden Einnahmeausfalls auch saisonbedingter Mode ebenso wie der Bereich der Hotellerie und Gastronomie voraussichtlich in weiten Teilen existenzgefährdet sein, Betriebe mit langfristigen Aufträgen, Firmen aus dem Bereich der Investitionsgüter- und langlebigen Konsumgüterindustrie werden möglicherweise weniger stark betroffen sein.

Für viele Start-ups liegt die Chance in der Krise: ausgeprägter Unternehmergeist, Fehlen von „Denkverboten“, kurze Entscheidungswege, eine typischerweise schon viel weitergehende Digitalisierung und Internationalisierung als im klassischen deutschen Mittelstand erlauben es vielen Gründern vielleicht, sich viel schneller als andere den veränderten Gegebenheiten anzupassen.

Sanierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens

Zu befürchten ist allerdings aufgrund der gesetzlichen Regelungen eine weitgehende Verzögerung von Insolvenzanträgen an sich erhaltenswerter Unternehmen. Eine Verzögerung von Insolvenzanträgen nach dem Prinzip Hoffnung verschlechtert mit jedem Tag die Sanierungsmöglichkeiten erheblich. Natürlich ist jedwede Sanierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens aufgrund der nach wie vor gegebenen Stigmatisierung des Insolvenzverfahrens in der Bundesrepublik (z.B. anders als in den Vereinigten Staaten) einem gerichtlichen Verfahren vorzuziehen.

Mangels der bisher umgesetzten nationalen Transformation des durch die EU seinen Mitgliedsstaaten aufgegebenen präventiven Restrukturierungsrahmens außerhalb eines Insolvenzverfahrens ist jedoch die Sanierung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens eine gleichwertige gangbare und unter Umständen gegenüber der außergerichtlichen Sanierung nicht teurere Option. Ob diese nationale Transformation jetzt tatsächlich im nächsten Jahr kommt oder sich möglicherweise aufgrund der aktuellen Situation noch verschiebt, ist völlig offen. Bauen sollte man darauf nicht. Ohnehin käme diese Möglichkeit zu spät.

Das mit einem „klassischen“ Insolvenzverfahren verbundene Bekanntwerden der wirtschaftlichen Situation kann durch die Möglichkeit eines Eigenverwaltungsverfahrens vermieden werden. Die gesetzlichen Regelungen über Maßnahmen auf Gesellschafterebene beim Insolvenzplan erlauben die Hereinnahme finanzkräftiger Investoren unter höchstmöglicher Flexibilität bei der Behandlung der bisherigen Shareholder. Das deutsche Insolvenzrecht ist wesentlich moderner und sanierungsfreundlicher als es noch vor dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vor rund acht Jahren war.

In eine etwaige Betrachtung eines solchen Szenarios sind stets auch die Vorteile einzubeziehen, die nur innerhalb eines Insolvenzverfahrens bestehen: Die sofortige Möglichkeit der Beendigung verlustbringender Verträge, die Inanspruchnahme des Insolvenzgeldes, das den Arbeitnehmern im Gegensatz zum Kurzarbeitergeld auch ohne Aufstockung ihren vollen Nettolohn garantiert und die arbeitsrechtlichen Erleichterungen, die es so nur im Insolvenzverfahren gibt.

Fazit

Aktionismus ist auch jetzt ein schlechter Ratgeber. Notwendige Voraussetzung für das Überleben krisenbehafteter Situationen ist ein strukturiertes Vorgehen unter Einbeziehung auch solcher Sanierungsoptionen, die herkömmlich nicht in Betracht gezogen werden. Ansonsten verlängert sich der Todeskampf des Unternehmens nur weiter. Damit ist niemandem gedient. Außer vielleicht dem Insolvenzverwalter, der später Gläubiger in die Verantwortung (Anfechtung!) und Geschäftsleiter in die Haftung nimmt.

Torsten Martini ist Fachanwalt für Insolvenzrecht

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