Lars Vollmer ist Unternehmer, Vortragsredner und Autor. Zuletzt ist von ihm erschienen: „Zurück an die Arbeit - Wie aus Business-Theatern wieder echte Unternehmen werden", Linde Verlag, Februar 2016
Puh, noch ein Air-Berlin-Artikel?! Nein, nur die Ruhe. Wer Air Berlin aufkauft, rettet oder in den Ruin treibt – die Verfolgung dieser Berichterstattung überlasse ich ganz Ihnen.
Das hier, das ist eine Staatskritik.
Air Berlin war lediglich der Trigger, der mich ins Nachdenken gestürzt hat. Kaum befindet sich die Fluggesellschaft im Sinkflug, winkt der deutsche Staat mit 150 Millionen Euro Bundeskredit, um das Schlimmste abzuwenden. Im beginnenden Wahlkampf-Getöse finde ich das durchaus nachvollziehbar. Auch wenn ich von diesem politischen Debakel nicht viel verstehe, so kann ich doch sehen, dass es wahlkampftechnisch schlau ist, die Bilder von auf Mallorca gestrandeten Air-Berlin-Touristen in Grenzen zu halten.
Aber für die Entwicklung des Landes finde ich dieses Vorgehen ganz klar nachteilig. Denn es fördert unmündige Bürger.
Schließlich sind die Menschen, die sich ein Flugticket von Air Berlin oder jeder anderen Fluglinie kaufen, in erster Linie einmal Teilnehmende am Wirtschaftsbetrieb. Sie haben selbst entschieden, ein Ticket bei einer schwächelnden Airline zu kaufen. Genauso wie sie selbst beschlossen haben, einen stinkenden VW zu kaufen und ebenso wie sie in Eigenregie ein Netz Orangen auf dem Markt gekauft haben, ohne jede einzelne Frucht auf ihre Qualität zu prüfen.
Da frage ich mich: Warum sollte es jetzt die Aufgabe des Staates sein, das Risiko beziehungsweise die Konsequenzen dieses Wirtschaftsbetriebs für die Bürger zu tragen?
Urlaub mit Mutter Staat
Sicher gibt es Ausnahmen.Wenn Lebensmittel mit Schadstoffen im Umlauf sind oder Menschen krank und wirklich bedürftig sind, wäre ich der Letzte, der gegen das deutsche Wohlfahrtssystem wettert.
Aber die Menschen, die sich bei Air Berlin ein Flugticket oder bei VW ein Dieselauto gekauft haben, sind doch nicht die Schwachen der Gesellschaft. Hier geht es schließlich um Urlaubsreisen und Luxusgüter, nicht um die staatlich subventionierte Familienkarte fürs örtliche Freibad. Und deshalb wünsche ich mir hier auch mündige Bürger, die sich nicht bei jedem wirtschaftlichen Schluckauf in den Schoß des Staates begeben.
Ein Familienvater, der im Sommer 2017 mit seinen Kindern am Flughafen von Palma de Mallorca strandet und für mehrere hundert Euro extra mit einer anderen Fluglinie oder via Fähre nach Barcelona und von dort aus nach Hause kommen muss – ich bin sicher, er und seine Kinder würden lernen, dass Flugreisen Ausfallrisiken bergen und dass es sich lohnen kann, Fluggesellschaften vorm Ticketkauf auf ihren Fortbestand zu prüfen. Hier fände eine sehr natürliche Art von Reflexion und Lernen statt. Die Menschen würden vor ihrer Teilnahme am Wirtschaftsbetrieb prüfen: Vertraue ich Air Berlin mein Geld an? Gebe ich VW 35.000 Euro oder doch lieber Renault oder Mitsubishi?
Was hier greift, ist Eigenverantwortung. Oder um es noch einmal in einem Bild zu sagen: Wenn Sie auf dem Markt Ihr Netz Orangen kaufen, prüfen Sie doch auch sorgfältig, ob sich darunter eine verdorbene befindet – anstatt im Nachgang zu schreien: „Lieber Staat, meine Orange ist defekt, ersetze sie mir!“
Danke für die Fürsorge, aber nein danke
Es ist diese Eigenverantwortung, diese Wegnahme der staatlichen Fürsorge, die mündige Bürger schafft. Menschen, die ihr Leben lang auf dem Heimtrainer sitzen, lernen nie richtig Fahrradfahren. Ebenso müssen Menschen, die wirtschaftlich mündig werden und sich in dieser Hinsicht entwickeln sollen, auf die Schnauze fallen dürfen und können. Nur so findet Lernen statt.
Ein Lernkreislauf übrigens, der nicht bei mündigen Bürgern endet, sondern auch zu einer aufgeklärteren Wirtschaft führt. Denn eine Air Berlin oder ein VW-Konzern, von denen sich zigtausende Menschen abwenden oder gar klagen, hätten ihre Lektion mit Sicherheit gelernt – wenn, ja wenn der Staat nicht aus einer falschen Fürsorge heraus jegliche Lerneffekte für verantwortungsvolle, aufgeklärte und mündige Bürger zunichte macht.
Arbeit folgt nicht den Wünschen von Chefs und Mitarbeitern, sie ist nicht ihr Verdienst. Arbeit folgt dem Markt, den Forderungen im Wettbewerb. Sie folgt immer nur der Lösung eines dezidierten Problems und diese Problemlösung ist die einzige Existenzberechtigung der Arbeit. Sie dient dem Überleben des Unternehmens, denn das wird nur weiterexistieren, wenn die Arbeit erledigt wird. Die Arbeit selbst ist nicht die Lösung.
Sie irgendwie zu gestalten, erhöht also nicht notwendigerweise die Überlebensfähigkeit des Unternehmens. Wer das versucht, vertauscht doch glatt die Wirkungsrichtung!
Ein Beispiel: Während alle von Digitalisierung reden, glauben die meisten, das würde bedeuten, jemand mache die Wirtschaft irgendwie digitaler. Aber das macht niemand, sondern das passiert ganz automatisch, wenn ein Unternehmen mit den Erfordernissen des Marktes Schritt halten möchte. Wenn sich dadurch Arbeitsplätze verändern, dann nicht deshalb, weil jemand die Arbeit irgendwie „digitaler“ machen wollte, sondern weil sich das Unternehmen anpassen musste, um zu überleben.
Wer also Arbeit ohne Marktdruck umgestaltet, weil er sie irgendwelchen Trends folgend „moderner“ oder seinen eigenen Moralvorstellungen folgend „menschlicher“ machen will, kann damit krachend vor die Wand fahren. Das heißt: In manchen Branchen dürfen Sie gerade NICHT new-workig arbeiten, wenn Sie überleben wollen.
Lasst den Kunden nicht im Regen stehen!
Wenn Sie es genau nehmen, will ein Teil der New-Work-Bewegung genau das: Die Wirtschaft ihren Moralvorstellungen anpassen. Zwar regen sich diese New Worker sehr über die alten, tayloristischen Managementmethoden des 20. Jahrhunderts auf, bei denen die ganze Arbeit den bürokratischen internen Referenzen von Anweisungen, Vorgaben, Zielen, Budgets, Mitarbeitergesprächen, Boni und diesem ganzen damit einhergehenden Theater folgt – während der arme Kunde da draußen im Regen stehen gelassen wird. Und sie regen sich zu Recht darüber auf!
Doch dann tappen sie in die gleiche Falle wie der Taylorismus, sie ersetzen einfach eine interne Referenz durch eine andere, nämlich durch ihre persönlichen Vorstellungen von artgerechter, menschlicher Arbeit. Der Kunde steht derweil weiter im Regen.
Dabei ist die externe Referenz, der Markt, der Wettbewerb, der Kunde, der bestimmende Faktor in dem ganzen Spiel!
Wenn die Arbeit auch noch so schön und menschlich gemacht wird, der Wettbewerber aber mit seinen weniger menschlichen Standards schon längst vorbei und auf und davon gezogen ist und den Kundenbedarf glatt abgefrühstückt hat, dann tritt der GAU ein, der größte anzunehmende Unmenschlichkeitsfall: Die Arbeitsplätze sind nicht mehr rentabel und fallen weg. Großartig! Sehr menschlich! Und die moralische Entrüstung bringt die Jobs dann auch nicht wieder zurück!
Eine Differenzierung, die es in sich hat
Gut. Aber wie kommen wir aus diesem Dilemma nun heraus? Wir wollen ja eigentlich sowohl sinnstiftende, erfüllende Arbeit als auch Erfolg am Markt. Wie geht das?
Ich mache Ihnen da mal ein Angebot. Eine Differenzierung: Trennen Sie doch bitte mal in Gedanken Arbeit und Zusammenarbeit.
Arbeit ist das, was für den Kunden getan werden muss. Die Wertschöpfung. Die wirtschaftliche Realität. Das Einzige, was am Ende in harter Währung zählt. Diese Arbeit folgt alleine (!) der externen Referenz, dem Kunden.
Und Zusammenarbeit? Das ist die unternehmensinterne Perspektive. Die Art und Weise, wie die Arbeit organisiert wird. Die Methodik, die Verfahren. Der Clou, der Kniff, der von den Mitarbeitern gefunden wurde, um in der ganz spezifischen Marktsituation die Arbeit auf eine ganz bestimmte, besondere Weise gemeinsam zu erledigen. Die Arbeit ist das „Was“, die Zusammenarbeit ist das „Wie“. Die Arbeit ist das Handwerk, das „Wie“ ist die Kunst.
Die Zusammenarbeit muss die Arbeit organisieren. Und die besten, die modernsten, die fittesten Unternehmen erkennen Sie daran, dass sie die Zusammenarbeit auf ihre ureigene Weise besser hinbekommen als der Wettbewerb. Sie bringen das „Was“ und das „Wie“ besser in Einklang als die anderen. Und machen genau deshalb den Könnern und Talenten in ihren Reihen Freude. Sie bieten ihnen einen Sinn an und stehen ihnen weder mit diesem überflüssigen Management-Theater noch mit ihren Moralvorstellungen im Weg herum. Sie sind nicht nur Handwerker, sondern sie sind Künstler, die ihr Handwerk beherrschen.
Und dafür feiere ich sie! Sie „machen“ irgendwie auch New Work, ja, das stimmt. Aber diese „neue Arbeit“ ist, vom Ende her betrachtet, nichts wirklich Neues. Nennen wir es einfach: Fortschritt.
Weitere Beiträge von Lars Vollmer: Schluss mit Bullshit-Bingo, Neues Jahr, neues Glück, Management von vorgestern, Oje, Oje VW und Das Tesla-Experiment