Die globale Finanzkrise ist überwunden, die Euro-Krise unter Kontrolle und die Klimakatastrophe aus der Debatte verschwunden. Und dennoch ist die Apokalypse nicht fern, wenn sich morgen wieder einmal die globale Elite im Skiort Davos versammelt. Schließlich hat man den Anspruch, die Welt zu retten und dazu sind ausreichend viele Bedrohungen unabdingbar. Die Organisatoren des Weltwirtschaftsforums liefern diese alljährlich verlässlich mit ihrem „Global Risks Report“. 2014 finden sich auf der Liste alte Bekannte wie Staatsschulden oder Wasserkrisen. Aber auch ein relativer Neuzugang hat es auf Platz vier der am meisten gefürchteten Risiken geschafft: die „schwerwiegende Einkommens-Ungleichheit“.
Man ist damit in den Schweizer Bergen ganz auf der Höhe des Zeitgeistes. US-Präsident Barack Obama hat die Ungleichheit kürzlich zur „entscheidenden Herausforderung unserer Zeit“ erkoren. Auch Papst Franziskus hat laut „Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der Disparität der Einkommen“ gesagt. Die Hilfsorganisation Oxfam untermauert das aktuell mit Zahlen. Danach besitzen die 85 reichsten Menschen der Welt so viel wie die arme Hälfte der Weltbevölkerung - 3,5 Milliarden Menschen - zusammen. Eine Statistik, die richtig knallt.
Trotzdem ist es fraglich, ob man in Davos die Welt in dieser Sache wird retten können.
Denn worum geht es überhaupt? Handelt es sich bei der „schwerwiegenden Einkommens-Ungleichheit“ um ein moralisches, gesellschaftliches oder ökonomisches Problem?
Wie gleich soll es denn sein?
Wenn es schlicht unmoralisch ist, dass die Reichen so viel mehr haben als die Armen, dann ist die Lösung simpel: Man nimmt ihnen etwas weg und der Moral ist Genüge getan. Ähnliches gilt für die gesellschaftliche Dimension. Wenn sich eine Gesellschaft schlecht damit fühlt, dass die Unterschiede zu groß sind, lässt sich „mehr Gerechtigkeit“ ganz leicht dadurch schaffen, dass die Reichen ärmer gemacht werden. Dabei ist es egal, ob „die da unten“ am Ende dieses Verfahrens tatsächlich materiell besser dastehen. Sie fühlen sich besser, das reicht.
Viel schwieriger stellt sich die Sache unter ökonomischen Blickwinkel dar. Zwar bestreitet kaum ein Ökonom, dass die Spreizung zwischen Arm und Reich in den vergangenen Jahren in der Tendenz zugenommen hat. Gar nicht einig sind sich die Volkswirte dagegen, ob der Trend wirklich schlimm ist. Wie gleich soll es denn sein? Ganz gleich? Ein bisschen gleicher als heute? Und die entscheidende Frage: Wie erzeugt man mehr Gleichheit, ohne dass am Ende alle dabei verlieren?
Denn zur Ungleichheitsbetrachtung gehört auch, dass die weltweite Armut in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch gesunken ist. In den entwickelten Ländern hat sich laut Weltbank der Anteil der Menschen, die von 1,25 Dollar am Tag leben, zwischen 1990 und 2010 von 43 auf 21 Prozent halbiert. Und noch etwas anderes ist passiert: Der technische Fortschritt hat den Unterschied im Lebensstandard zwischen Reich und Arm in gewisser Weise nivelliert: Vieles, was früher den Reichen vorbehalten war, erleichtert heute auch denen am unteren Ende der Wohlstandspyramide das Leben. Ein Millionär kann sich einen vergoldeten Kühlschrank in die Küche stellen – am Ende aber hält das Secondhandgerät des Hartz-IV-Empfängers die Milch genauso kalt.
Umverteilung auf Kosten des Wachstums
Das mag eine Erklärung dafür sein, warum der Aufstand der Massen bisher ausgeblieben ist, den die Weltelite so fürchtet. Eine weitere könnte sein, dass die meisten Menschen gar nicht so sehr interessiert, dass „die da oben“ zu viel haben, sondern nur, was sie selbst haben. Lange war das die amerikanische Haltung: Solange alle ein bisschen reicher werden, kümmert mich nicht, dass der da oben das größere Kuchenstück bekommt. Ins Wanken gerät dieses Modell, wenn – wie das Studien zufolge zunehmend der Fall ist – das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts nur noch an die „one percent“ geht. Die Briten zum Beispiel fragen sich gerade, wo eigentlich der gefeierte Super-Aufschwung ankommt. In den Realeinkommen der Beschäftigten bislang jedenfalls nicht.
An dieser Stelle könnte es dann wirklich eng werden für die Bestverdiener: Die Gefahr wächst, dass die 99 Prozent Umverteilung verlangen – auf die Gefahr hin, dass dabei das Wachstum der Volkswirtschaft leidet. Nach dem Motto: Egal, ob der Kuchen schrumpft, Hauptsache ich kriege ein paar Krümel ab.
Die Briten haben den Konflikt erst einmal vertagt. Die Haushalte holen sich ihren Konsumzuwachs, indem sie sich verschulden. Die Regierung unterstützt das. Der soziale Frieden scheint damit erst einmal gesichert.
In Davos darf man sich trotzdem ein paar Tage schön gruseln. Aber wo ist eigentlich Occupy?
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