Susanne Hounsell ist Associate Director European Energy Policy bei IHS Inc. in Paris. Sie schreibt regelmäßig auf capital.de über Energiethemen
Die deutschen Energiekonzerne stehen vor der größten Herausforderung ihrer Unternehmensgeschichte. Sie müssen sich neu erfinden, wollen sie überleben. Energiewende und Atomausstieg gefährden die Profitabilität im traditionellen Stromgeschäft. Die Börsenstrompreise sind seit Jahren auf Talfahrt, die Politik möchte innerhalb der nächsten sieben Jahre aus der Kernkraft aussteigen. Ob es einen neuen Fördermechanismus für konventionelle Kraftwerke geben wird, ist noch unklar. Die Industrie geht durch einen Strukturwandel.
Eon, einer der größten Stromkonzerne in Deutschland, hat Ende vergangenen Jahres angekündigt, ein neues Unternehmen zu gründen. Das neue Unternehmen gruppiert alle Geschäftsfelder, die sich mit fossilen Energien und Kernkraft beschäftigen. Die neue Gesellschaft soll Mitte 2016 an die Börse gebracht und verkauft werden. Die Entscheidung von Eon wird viel debattiert, insbesondere die Frage, ob es sich bei dem neuen Unternehmen um eine "bad bank" für die deutschen Kernkraftwerke handelt oder nicht. Aber was wird eigentlich aus dem "alten" Eon?
Was Eon behält, sind die Branchen, von denen sich das Unternehmen mit Sitz in Düsseldorf noch Wachstum erhofft: Erneuerbare Energien, deren Stromproduktion größtenteils zu garantierten Einspeisetarifen oder zumindest mit Marktprämien abgenommen wird, die (ebenfalls regulierten) Verteilnetze und das Endkundengeschäft. Doch auch das ändert sich rasant.
Manche Kunden wechseln wegen der steigenden Strompreise ihren Stromversorger heute im Jahresrhythmus. Sie installieren Solarzellen auf ihren Dächern und bauen ihr Zuhause in sogenannte “Smart Homes” um. Die einen, um in den Genuss von höherem Komfort zu kommen. Die anderen in dem Bestreben, die Stromrechnung zu drücken.
Vom Konsumenten zum Produzenten
Der Kunde ist längst nicht mehr nur Konsument. Er ist oftmals auch Produzent. Beispielsweise durch Solarstrom. Auf alle Fälle aber durch Daten, massenweise Daten. Big Data informiert über das Verbrauchsverhalten der Endkonsumenten: Wie viele Personen leben im Haushalt? Wann sind sie zu Hause? Welche Raumtemperatur wird bevorzugt? Wann werden Ofen, die Waschmaschine oder der Fernseher eingeschaltet?
Diese Daten hat es natürlich schon immer gegeben. Der Unterschied ist, dass es durch Internet, Sensoren und intelligente Stromzähler heute einfacher und günstiger ist, an sie heranzukommen und vor allem: sie zu analysieren und die Ergebnisse gewinnbringend zu verkaufen. Zwei Absichten stehen hinter der Datenanalyse: Zum einen, den Kunden durch neue, maßgeschneiderte Angebote stärker an sich zu binden. Zum anderen, ihn aktiver in das Stromsystem einzubinden.
Weil Endkunden zusehends autonomer werden, ihren eigenen Stromverbrauch managen und zwischen vielen Stromanbietern frei wählen können, müssen Stromversorger ihr Angebot weiterentwickeln, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Sie müssen sich vom passiven Stromversorger, der einmal im Jahr eine Rechnung schickt, zu einem Dienstleister wandeln, der seine Kunden kennt und weiß, was sie brauchen. Hier kommen Smart-Home-Systeme wie die von Qivicon (Ableger der Deutsche Telekom) ins Spiel, welche es Stromversorgern wie EnBW und Vattenfall erlauben, über Qivicon‘s Software neue Kundenangebote zu erstellen. Auch RWE hat intensiv in solche Systeme investiert. Alle sind per Smartphone steuerbar. Und auch Apple wird mit seinem AppleHomeKit zum Wettbewerber.
Smart Homes bedeuten noch mehr Datenmengen. Vor allem bedeuten sie aber, dass Netzbetreiber eventuell die Übersicht verlieren, was hinter dem Stromzähler im Haus mit der Stromnachfrage geschieht. Das ist insbesondere in Deutschland ein Risiko, wo intelligente Stromzähler, welche zwischen Netz und Kunden kommunizieren können, nicht verpflichtend installiert werden müssen. Um die Versorgungsqualität zu garantieren beziehungsweise das Risiko von Stromausfällen zu reduzieren, spielt die Analyse von Kundendaten für Netzbetreiber und Stromversorger eine wichtige Rolle.
In den USA und auch in Europa arbeiten Firmen wie Opower schon seit ein paar Jahren mit Stromversorgern zusammen, um Kunden aktiver in das Stromsystem einzubinden. “Verhaltensbasierte Nachfragesteuerung” wird dieser Ansatz genannt und bedeutet in der Praxis, dass beispielsweise Kunden in Kalifornien bei hohen Temperaturen eine SMS bekommen, doch bitte ihre Klimaanlagen nicht zu stark hoch zu fahren. Denn sonst wird es bei Spitzennachfrage mit der Stromversorgung eng. Diese Kunden bekommen auch Stromrechnungen, auf denen ihr Verbrauch mit dem Durchschnittsverbrauch der Nachbarschaft verglichen wird.
Das Problem mit Smart Homes ist jedoch, dass der Kunde es auch gerne bequem hat. Er möchte die Heizung oder Klimaanlage nicht per Smartphone aus- oder einstellen müssen. Im besten Fall würde im Smart Home alles automatisiert sein. Das Heizungsthermostat müsste sich automatisch an unser Verhalten anpassen und mit anderen Geräten im Haus kommunizieren. Und an dieser Stelle kommen neue Wettbewerber für die Energiekonzerne ins Spiel. Eine Konkurrenz, die es vor wenigen Jahren auf diesem Feld noch gar nicht gab.
Daten allein sind nicht alles
Google beispielsweise. Das US-Unternehmen hat für ein automatisiertes Thermostat, Nest, vergangenes Jahr 3,2 Mrd. Dollar gezahlt. Zu Google Nest gehört MyEnergy, eine Firma die Kunden ebenfalls den Vergleich mit anderen Stromverbrauchern in ihrem Netzwerk ermöglicht. Opower will demnächst ein ähnlich intelligentes Thermostat (von Honeywell) anbieten.
Das Interesse am Smart Home zur Datenanalyse hat seinen Grund: Alles, was smart im Zuhause ist, sprich mit dem Internet verbunden ist, bedeutet mehr Datenmengen und einfacheren externen Zugriff darauf. Wer Zugang zu den Daten des Kunden hat, kann diese analysieren und gewinnbringend nutzen.
Daten allein sind aber nicht alles. Bloß weil ich weiß, wieviel und wann ein Kunde Strom verbraucht, bedeutet dies noch nicht, dass ich auch tatsächlich die Vorlieben des Kunden kenne. Der Vergleich mit Angeboten der Telekomindustrie kann hier passen. Möchte ich als Kunde Kosten sparen und meine Stromnachfrage monatlich einschränken? Oder bin ich ein Komfortsuchender Kunde, der nicht auf den Zählerstand achten möchte? Wäre ich eventuell an einem schicken Thermostat mit einem Dreijahresvertrag interessiert? Oder tut es auch eine schlichte weiße Box und ich kann dafür kündigen, wann ich will? Dies sind Fragen, die sich nicht einfach per Datenanalysen beantworten lassen.
Google und Apple, Amazon und Facebook, das sind die Unternehmen, die heute die Vorlieben der Kunden besser kennen, als alle anderen. Wird es einen Konkurrenzkampf um die Energiedaten der Kunden geben? Wer ist besser positioniert, um die Daten zu analysieren, zu interpretieren und gewinnbringend zu verwenden? Daten allein haben keinen eigenen Marktwert. Es kommt darauf an, was man aus ihnen macht. Und sollte ein Unternehmen wie Google sich entschließen, einen Schritt in die Stromversorgung zu wagen, dann würde ein neues altes Eon in der Zukunft auf einen Wettbewerber treffen, der dessen Endkunden heute schon besser kennt als Eon selbst.