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Bernd Ziesemer Warum Putin auf eine „Lex Schwedt“ hofft

Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
© Martin Kress
Das Gerangel um das Erdölembargo ist auch nach dem mühsamen EU-Beschluss noch keineswegs zu Ende. In Deutschland geht es vor allem um die Druschba-Pipeline

Eine Allparteienkoalition unter der Führung des Ministerpräsidenten Dietmar Woike (SPD) – das gab es in Brandenburg bisher noch nicht. In Sachen Erdöl aber kämpfen die sechs Landtagsfraktionen gemeinsam gegen die Bundesregierung – mit nur sehr wenigen Nuancen. Die Argumentation der Landespolitiker geht so: Nach dem EU-Embargo gegen Russland dürfen Ungarn, Tschechien und die Slowakei weiter die Südtrasse der Druschba-Pipeline nutzen, um russisches Erdöl zu beziehen. Warum soll es da nicht auch eine „Ausnahme“ für die Raffinerie in Schwedt geben, an der ein paar Tausend Arbeitsplätze hängen?

Nun kann man schon das „Embargo Light“ kritisieren, auf das sich die EU-Staaten nur nach vielen durchverhandelten Nächten zusammenraufen konnten. Es deckt bisher nur den Tanker-Transport ab – und auch erst ab 2023. Die Ausnahmegenehmigung für den Weiterbetrieb der Pipeline mindert die Wirkungen der Sanktionen deutlich. Polen und Deutschland haben sich jedoch verpflichtet, kein Erdöl über die Nordtrasse mehr zu beziehen. Diese freiwillige Entscheidung außerhalb des EU-Embargos trifft Russland härter als das Embargo selbst: 66 Prozent des Erdöls, dass durch die Druschba-Pipeline fließt, gingen zuletzt nach Deutschland und Polen, nur elf Prozent nach Ungarn.

Im Pipeline-Geschäft verdient Wladimir Putin deutlich höhere Margen als auf den Tankerrouten. Und es gibt auch nicht genug Supertanker, um das Erdöl nach Indien oder China zu transportieren, das bisher über die Pipeline nach Polen und Deutschland geht. Nichts wäre deshalb besser für den russischen Diktator als eine „Lex Schwedt“ – und nichts schlimmer für den Ruf Deutschlands in Mittel- und Ost-Europa.

Die Allparteienkoalition in Brandenburg schert sich offenbar nicht um den Krieg in der Ukraine und die Wirkung westlicher Sanktionen. Es geht allein um die Wähler in Schwedt und der weiteren Umgebung, die man nicht verprellen will. Deshalb arbeitet die Landesregierung seit Wochen mit allen möglichen Schreckensszenarien – zum Beispiel dem Zusammenbruch des neuen Berliner Flughafens BER, der sein Flugbenzin bisher vor allem aus der Raffinerie in Schwedt bezieht. Auch ein Fahrverbot für Brandenburger Autofahrer gehört zum Arsenal der Argumente. Nichts davon wird selbst im schlimmsten Fall eintreffen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck arbeitet hart daran, andere Erdölquellen und Transportwege für die Raffinerie zu erschließen. Allenfalls mit einer vorübergehenden Verringerung der Verarbeitungskapazitäten muss man rechnen und mit Schwierigkeiten für einige Unternehmen, die Erdölprodukte aus Schwedt weiterverarbeiten. Schmerzhaft sicherlich, aber nichts, was die Wirtschaft in Brandenburg umbringt und Deutschland schon gar nicht.

Mit einer „Lex Schwedt“, die Habeck bisher strikt ablehnt, käme das gesamte westliche Sanktionspaket erneut ins Rutschen. Denn Sonderprobleme hat so gut wie jedes europäische Land. So wollen die Griechen gern weiter russisches Erdöl mit ihrer riesigen Tankerflotte transportieren, die Ungarn würden ihr billiges russisches Erdöl gern ohne alle Auflagen weiterverkaufen und damit hohe Profite machen, die Briten gern die Ladungen der Tanker versichern. Selbst die Amerikaner warnen nach den hohen Benzinpreisen an ihren Tankstellen plötzlich vor einem allzu strikten EU-Embargo. So geht es in Schwedt plötzlich um ein kleines Stück Weltpolitik und nicht nur um Brandenburg. Bei den Landespolitikern hat sich das aber noch nicht herumgesprochen.

Bernd Ziesemer

ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.

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