Irans Wette geht nicht auf. Es war nicht zuletzt der wirtschaftliche Abstieg, der das islamische Regime veranlasste, die Verhandlungen mit der Staatengemeinschaft über eine Aufhebung von Sanktionen gegen das Atomprogramm des Landes zu beschleunigen. Die Hoffnung: eine Öffnung des Landes für ausländische Unternehmen würde den Lebensstandard anheben.
Dazu ist es nicht gekommen. Zwei Jahre, nachdem der wegweisende Atomdeal zwischen Teheran und einer Koalition aus sechs Mächten in Kraft trat, zieht es zigtausende Iraner auf die Straße. Ihre Proteste richten sich zumindest teilweise dagegen, dass die Bevölkerung von einer Linderung der Sanktionen wirtschaftlich kaum profitiert. Im Gegenteil.
Die Preise für Konsumartikel steigen zweistellig – für Eier waren es mehr als 50 Prozent in einem Jahr, berichteten iranische Medien im vergangenen Monat. Die Landeswährung verlor seit Mai etwa ein Zehntel gegenüber dem Dollar. Das macht begehrte ausländische Ware noch teurer.
„Das Regime hat zu viel versprochen, und der Deal hat zu wenig gebracht“, resümiert Rob Malley, ein ehemaliger Berater von US-Präsident Barack Obama und Vorsitzender der International Crisis Group. „Wenn zu viel versprochen wurde, dann entstand das zum Teil aus ernsthaften Erwartungen an die Nutzen des Abkommens, zum anderen aus dem Wunsch heraus, die erwarteten Vorteile hochzuspielen, um heimische Zweifler zu beruhigen.“
Wut richtet sich gegen soziale Ungerechtigkeit
Die anhaltende wirtschaftliche Misere zeigt nicht nur, dass sich die Hoffnungen auf eine Blüte enttäuschten. Sie zeigt auch, dass selbst ein zunehmender Handel weite Teile der Bevölkerung und vor allem Arbeiter nicht erreichen. Anders als die Massenproteste im Jahr 2009, die sich an der zweifelhaften Wiederwahl des Hardliners Mahmoud Ahmadinedschad zum Präsidenten entzündeten, richtet der Zorn der Straße sich diesmal auf korrupte Zustände, die als wirtschaftliche Ungerechtigkeit empfunden werden, und eskaliert zum Ruf nach dem Sturz des Regimes.
„Brot, Arbeit, Freiheit“, riefen einige der Demonstranten in ihrer Anklage gegen das herrschende Establishment – oder „Nein zu Inflation“. Der 38-jährige Ali, ein Bauingenieur aus Teheran, betrachtet die hohe Teuerungsrate als ungerecht. Man könne die wirtschaftliche Lage nicht allein Präsident Hassan Rouhani anlasten, sagt er. „Aber bessere Politik hätte Schlimmeres verhindern können.“
Sieben Tage hintereinander wüteten die Straßenproteste in verschiedenen Städten – begleitet von Gegenwehr und Pro-Regierungmärschen seit Mittwoch. In den Kanälen der Social Media war abzulesen, dass Studenten, öffentliche Angestellte und Arbeiter der staatlichen Ölgesellschaften von ihren Vorgesetzten aufgefordert wurden, daran teilzunehmen.
Mehr als 20 Tote sind die bisherige traurige Bilanz, obwohl die Sicherheitskräfte nicht mit aller Wucht gegen die Proteste vorgehen. Der Kommandeur der Iranischen Revolutionsgarde, Generalmajor Mohammed Ali Dschafari, erklärte inzwischen die „Verschwörung“ der vergangenen Tag für beendet und spielte das Ausmaß der Bewegung herunter. Die dem obersten Religionsführer Ali Khamenei unterstehende Garde, die auch wirtschaftlich sehr mächtig ist, habe ihre Präsenz in den Provinzen Isfahan, Lorestan und Hamedan verstärkt.
Europäische Wirtschaft hoffte auf neuen Markt
Die iranische Wirtschaft war seit der islamischen Revolution 1979 weitgehend abgeschottet. Die folgende Geiselnahme von 52 Amerikanern hat die Beziehungen zu den USA dauerhaft vergiftet. US-, UNO- und EU-Sanktionen untersagten weitgehend den Öl- und Warenhandel mit dem Schurkenstaat.
Heute sind auf den Straßen Teherans zwar wieder westliche Automodelle zu sehen, aber auf sie sind überhöhte Zölle und Steuern fällig, um die heimische Produktion zu schützen. Die iranische Autoindustrie hat eigene Fahrzeuge entwickelt und ausländische Modelle mit Teilen „made in Iran“ oder China nachgebaut. Amerikanische Handys sind weit verbreitet, aber sie werden über Umwege ins Land gebracht und entsprechend hochpreisig verkauft.
Das von Obama vorangetriebene und von Deutschland untersützte Atomabkommen sollte die wirtschaftliche und diplomatische Isolierung des Landes beenden. Auch europäische Länder erhofften sich von einem Abbau der Sanktionen einen neuen Markt von rund 80 Millionen Menschen.
Irans Wirtschaftsleistung legte 2016, als der Deal in Kraft trat, um ganze 12,5 Prozent zu. Aber viele strukturelle Probleme bleiben, und Umfragen zeigen, dass die Erholung bei den Menschen nicht ankommt. Zwar sank die Inflation von nahezu 40 Prozent unter Rohanis Vorgänger, sie steht aber immer noch bei knapp 10 Prozent. Und zwölf Prozent Arbeitslose warten auf hunderttausende Jobs, die Rohani in Aussicht gestellt hat.
Trumps Iran-Politik untergräbt Vertrauen
Rohanis Reformkurs kollidiert zudem mit der neuen Iran-Politik von US-Präsident Donald Trump, der das Atomeinkommen am liebsten einstampfen würde und Teheran für alle Übel im Nahen Osten verantwortlich macht. Statt die Einhaltung des Deals durch Teheran zu bestätigten, verhängt er neue Strafen gegen das Raketenprogramm des Landes. Wie es mit bislang zeitweise aufgehobenen Sanktionen weitergeht, ist ungewiss.
Die Kehrtwende in Washington tut das Ihre, potenzielle Investoren auf der ganzen Welt zu verunsichern. So zögerte der französische Öl- und Gaskonzern Total sechs Monate lang, bevor er schließlich vergangenen Juli eine 5 Mrd. Dollar-Vereinbarung zur Entwicklung eines Gasfelds unterschrieb. Viele kleinere Investoren haben Pläne für ihr unternehmerisches Engagement nach dem Wechsel im Weißen Haus zunächst auf Sparflamme gestellt.
Die fehlende Berechenbarkeit ist für viele ausländische Unternehmer das größte Hindernis, sagt der stellvertretende Geschäftsführer der Deutsch-Iranischen Industrie- und Handelskammer, Amir Alizadeh in Teheran. Es sei nicht so, dass sein Telefon heißlaufe, „aber eine so angespannte Lage vermittelt auch nicht gerade den Eindruck stabiler Geschäftsbedingungen“.
Kürzungen treffen die ärmere Bevölkerung
Zugleich folgen die Unruhen auf mehrere Jahre, in denen Rouhani die öffentlichen Ausgaben gekürzt hat. Sozialprogramme wurden zusammengestrichen, während aus geopolitischem Kalkül großzügig islamistische Milizen etwa in Irak und Syrien finanziert wurden. Allein 8 Mrd. Dollar enthält der jüngste Haushaltsentwurf für die mächtige Revolutionsgarde.
Der Haushalt war offenbar auch einer der Auslöser, die die Menschen auf die Straßen trieb. Während er erstmals auswies, welche Milliarden-Überweisungen für religiöse Stiftungen und dubiose Forschungsinstitute überwiesen werden, sah er die Streichung eines seit 2010 laufenden populären sozialen Beihilfeprogrammes vor.
Eine Reform der Subventionen empfiehlt auch der Internationale Währungsfonds. Aber es ist politisch riskant, soziale Zuwendungen zu streichen. „Für viele Menschen war der Staatshaushalt der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte“, sagt Ali Fahtollah-Nedschad, ein Wissenschaftler am Iran-Projekt der Harvard University.
Copyright Wall Street Journal, 2018