Mit Glück und Verstand kommt Deutschland bisher offenbar besser durch die Zeit des Virus als nahezu jedes andere große Land der Welt. Gemessen an der Zahl der Todesfälle als auch an der Tiefe der Rezession kommen wir vergleichsweise glimpflich davon. Zwar ist bei uns der wirtschaftliche Schaden bisher wohl leicht ausgeprägter als in den USA. Dafür liegt in den USA die Zahl der Corona-Todesfälle mit 255 pro eine Million Einwohner weit über dem deutschen Wert von 95.
Damit sich die Folgen dieser in Friedenszeiten so noch nie dagewesene Krise uns auch weiterhin in Grenzen halten, müssen wir allerdings zwei große Fehler vermeiden: Wir dürfen die Restriktionen nicht so überstürzt lockern, dass uns eine zweite Riesenwelle der Pandemie erneut zu harten und langen Eingriffen in das Wirtschaftsleben zwingen würde. Der Vertrauensverlust in politische Entscheidungsträger und der Schaden für die Konjunktur wären enorm. Und wir dürfen nicht mutwillig eine neue Eurokrise heraufbeschwören. Noch stehen die Chancen gut, dass wir dies trotz des unsäglichen Urteils des Bundesverfassungsgerichtes zur Geldpolitik und des Widerstandes gegen Corona-Bonds schaffen können.
Deutschland hatte viel Glück in der Pandemie. Erstens waren wir durch die dramatischen Szenen aus Norditalien gewarnt, wo das Virus in Europa als erstes massiv zugeschlagen hat. Zweitens waren viele der ersten Virusträger in Deutschland offenbar relativ junge und gesunde Heimkehrer aus dem Skiurlaub, bei denen die Infektion zumeist harmlos verlief. Auch das gab uns Zeit, die Risikogruppen etwas besser zu schützen, als das vielen anderen Ländern gelungen ist. Drittens leben bei uns typischerweise weniger Menschen aus verschiedenen Generationen unter einem Dach als in Italien und Spanien, wo auch als Folge hoher Jugendarbeitslosigkeit junge Erwachsene oft noch bei den Eltern wohnen, teilweise zusammen mit den Großeltern.
Weniger drastische Einschränkungen
Auch Deutschland hat sich Fehler geleistet, zu denen auch bierselige Feiern zu Zeiten des bayrischen Kommunalwahlkampfes im März gehörten. Alles in allem hat die Bundesrepublik aber insgesamt relativ früh auf die Gefahr reagiert. Weil uns das Virus nicht mit der vollen Wucht getroffen hat, mit der es sich in Italien, Spanien und Frankreich ausgebreitet hat, konnten bei uns viele der Einschränkungen des öffentlichen Lebens weniger drastisch ausfallen als anderswo.
Zwar haben große Teile der Automobilindustrie Mitte März ihre Werke für mehr als vier Wochen geschlossen, da die Nachfrage ausblieb und einige Lieferketten unterbrochen waren. Aber anders als in Italien und Spanien haben Behörden keine zwangsweise Unterbrechung der Produktion anordnen müssen. Laut einer Übersicht der Universität Oxford hat Italien ab dem 22. Februar und Frankreich ab dem 17. März eine große Zahl von Arbeitsstätten geschlossen. In Deutschland war das nur in weit geringerem Umfang und erst ab dem 22. März der Fall.
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Das Ergebnis ist in Zahlen sichtbar: Als Folge eines dramatischen Einbruchs im März ist die Wirtschaftsleistung in Italien, Frankreich und Spanien im ersten Vierteljahr 2020 jeweils um etwa 5 Prozent gegenüber dem Vorquartal eingebrochen. Für Deutschland fällt der Rückgang mit 2,2 Prozent weit weniger heftig aus . Ohne den Sonderfaktor der Automobilwirtschaft, deren Produktion in Deutschland im März um 31 Prozent gegenüber dem Februar zurückgegangen ist, wäre das deutsche Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal 2020 nur unwesentlich geschrumpft.
Im zweiten Quartal dürfte es auch Deutschland knüppeldick treffen. Wir rechnen mit einem Minus von etwa 13 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Aber in Frankreich, Italien und Spanien könnte das BIP sogar um 17 Prozent oder mehr fallen.
Warum sich der Schaden in Grenzen hält
Im Vergleich mit anderen Ländern kommen Deutschland ebenso wie dem kleineren Österreich vier Faktoren zugute:
- Erstens konnten wir angesichts eines bisher weniger dramatischen Verlaufs der Pandemie die Läden wieder früher öffnen als andere Länder.
- Zweitens können wir dank der Haushaltsüberschüsse der vergangenen Jahre fiskalisch aus dem Vollen schöpfen. Bisher hat Deutschland neben umfangreichen Garantien einen diskretionären Fiskalstimulus von etwa 7 Prozent seiner Wirtschaftsleistung angekündigt, der weitgehend innerhalb von etwa zwei Jahren wirksam werden dürfte. Frankreich mit knapp 5 Prozent sowie Italien mit gut 4 Prozent und Spanien mit bisher nahe 2 Prozent liegen weit zurück.
- Drittens ist unser öffentlicher Dienst trotz vielfacher Unzulänglichkeiten besser darauf eingestellt, Hilfszahlungen und -kredite an die Arbeitnehmer, Unternehmen und Haushalte zu verteilen als in vielen anderen Ländern. So musste bei uns das Kurzarbeitergeld nicht erst erfunden werden. Wie man es handhabt und auszahlt, haben wir zuletzt in der Finanzkrise 2008/2009 geübt. Auch wenn die Größenordnung dieser Hilfen jetzt eine ganz andere ist als damals, so haben wir doch eine gewisse Routine. In Italien ist bisher einigen Berichten zufolge nur ein Bruchteil der angekündigten Hilfen tatsächlich angekommen.
- Viertens spielen im industrielastigen Deutschland die besonders hart getroffenen Teile des Dienstleistungssektors einschließlich des Tourismus eine geringere Rolle als in Südeuropa.
Auch bei uns werden gerade viele kleinere Unternehmen im Dienstleistungsbereich diese Krise nicht überstehen. Aber insgesamt dürfte sich der Schaden in engeren Grenzen halten als in Ländern, in denen erhebliche Teile die Wirtschaft für längere Zeit durch striktere Restriktionen gelähmt wurden und in denen die staatlichen Hilfen entweder weniger umfangreich sind oder ihre Empfänger erst später erreichen.
Solidarität mit den Nachbarn
Auch wenn die Produktion seit etwa drei Wochen Stück für Stück langsam wieder anläuft und die Läden wieder geöffnet haben, ist Deutschland natürlich noch lange nicht über den Berg. Ob die Pandemie in einer zweiten großen Welle zurückkommt oder wir stattdessen nur immer mal wieder mit einigen regional begrenzten Problemen zu kämpfen haben werden, können Ökonomen nicht beurteilen.
Wir können nur die Politik mahnen, über der alles in allem erfolgreichen nationalen Antwort auf das Virus das gemeinsame europäische Handeln nicht zu kurz kommen zu lassen. Wenn wir nicht die gebotene Solidarität mit unseren härter gebeutelten Nachbarn aufbringen, kann das erhebliche politische Flurschäden in Europa anrichten. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu leider aus offenbar grober Unkenntnis des Wesens der Geldpolitik heraus gerade einen Beitrag geleistet.
Angesichts seiner relativen Stärke steht Deutschland beim Finanzieren eines gemeinsamen Aufbaufonds für Europa in der Pflicht. Letztlich würden auch wir auf Dauer hinter unseren Möglichkeiten zurückbleiben, wenn nicht auch unsere wichtigsten Partner wieder richtig in die Gänge kommen.
Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Er schreibt hier regelmäßig über makroökonomische Themen. Weitere Kolumnen von Holger Schmieding finden Sie hier