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Kommentar Wahlkampf 2021: Erst komisch und klein, jetzt heiß und groß

Unions-Kanzlerkandidat Laschet und sein Konkurrent von der SPD, Olaf Scholz, bereisten diese Woche gemeinsam die Flutgebiete in Nordrhein-Westfalen
Unions-Kanzlerkandidat Laschet und sein Konkurrent von der SPD, Olaf Scholz, bereisten diese Woche gemeinsam die Flutgebiete in Nordrhein-Westfalen
© IMAGO / photothek
Der Wahlkampf war bisher merkwürdig und verlor sich in Kleinklein. Nun geht die heiße Phase los - und das Rennen ist tatsächlich wieder spannend

Zwei Bilder prägten diese Woche: Olaf Scholz und Armin Laschet, durchnässt, erschöpft und entschlossen in der noch immer unfassbaren Kulisse der Zerstörung. Und Annalena Baerbock und Robert Habeck im Wald und im Moor, die Sonne scheint, und nur Habecks vielsagende Miene trübt das Bild, als seine Gefährtin sich mal wieder verplappert.

Der Wahlkampf geht in eine neue Phase, die finale Phase. Wo stehen wir? Das Feld der Kandidaten ist, so kann man sagen, rundum angeschlagen: kein Favorit, kein Strahlen, kein Siegeszug. Armin Laschet schwächelt, weil er in der Flut sich nicht als Krisenmanager profilieren konnte. Annalena Baerbock hat Lebenslauf und Plagiat hinter sich gelassen und will angreifen – und Olaf Scholz, nun, der ist der still lächelnde Dritte , er macht keine Fehler, seine Werte steigen, nur seine Partei steigt nicht so schnell mit.

#1 Die Grünen: Alles aufs Klima

Wenn man sich bei den Grünen umhört, starten sie endlich in eine dritte Phase. Die erste Phase war die der Nominierung, wo es viel Sympathie und Euphorie gab, die Lichtgestaltphase, hell, glühend und kurz. Dann gab es die zweite Phase der Fehler, dominiert von Debatten um Nebeneinkünfte, geschönte Lebensläufe und Plagiate – und es ist inzwischen bemerkenswert zu sehen, wie souverän und offen Baerbock diese Fehler benennt, wenn die Kameras aus sind. Dann kam die Flut, ein historisches und traumatisches Ereignis, das zwar nicht das ganze Land bewegt, aber etwas verändert hat. Das Thema Klimaschutz wurde den Menschen wichtiger und ringt im Kampf um Aufmerksamkeit gerade mit Corona und der Impfpflicht. Letztere sind für die Mehrheit vermutlich unmittelbarer und damit dringlicher.

Die Grünen wollen angreifen, mit ihren Themen, natürlich mit ihrem Markenkern Klimaschutz, was sie diese Woche getan haben – gut inszeniert in einem Moor vor den Toren Berlins. Wo sie allerdings nicht nur mit einem Versprecher Baerbocks, sondern auch mit einem „Klimaschutzministerium mit Vetorecht“ erst mal verschreckt haben, eine Idee, die zu Recht in der Luft zerpflückt wurde. Die Idee dahinter wird bleiben: Klimaschutz als Querschnittsanliegen für die nächste Regierung, die „Klimaschutzverträglichkeitsprüfung“ für jedes Vorhaben in diesem Land steht als Wortungetüm bereits im Programm. Dafür touren nun beide, Habeck und Baerbock, getrennt und vereint durchs Land. Sie besuchen Orte der Klimakrise – aber auch „Orte der Chancen“, wie es heißt, die den Umbau Richtung Klimaneutralität symbolisieren.

Vor grüner Waldkulisse stellten Annalena Baerbock und Robert Habeck das Grüne Klimaschutzprogramm vor
Vor grüner Waldkulisse stellten Annalena Baerbock und Robert Habeck das Grüne Klimaschutzprogramm vor (Foto: dpa)
© dpa

Es geht für die Grünen vor allem darum, ein Energiefeld für Veränderungswillen bis September zu erzeugen, für Weichenstellungen in einem „Schicksalsjahrzehnt“. Und dafür wird in der Grünen-Führung sogar Ronald Reagan zitiert: „Ich glaube an ein Schicksal, das uns ereilt, wenn wir nichts tun.“ (Fun Fact: Dieses Zitat hatte Angela Merkel 2006 auf einem Grundsatzkongress der CDU ebenfalls bemüht , auf dem sie appellierte: „Veränderung ist die notwendige Antwort auf eine sich verändernde Welt.“)

Die Grünen glauben, dass die Deutschen weiter sind, als sie manchmal den Eindruck erwecken. Sie wollen ja Neustart, auch Aufbruch, sie wollen, dass dieses Land seine Zukunft in die Hand nimmt. Die Grünen stehen in den Umfragen bei rund 20 Prozent, mal bei 19, mal bei 22 Prozent – für den Anspruch aufs Kanzleramt gibt es keine Schamgrenze nach unten. Wenn man den zweiten Platz hat und auch mit 17 Prozent ein Dreierbündnis gegen die Union formen kann, werden die Grünen es versuchen.

#2 CDU: Es muss sich etwas bewegen

Die CDU hat zwei Probleme: Die Taktik ist nicht aufgegangen, dass die Deutschen geimpft und erholt aus dem Urlaub zurückkommen, das Land ohne Lockdown eigentlich wieder ganz okay finden und dann: CDU wählen. Zweitens bot die Flutkatastrophe, so furchtbar sie war, eine Chance für Armin Laschet, sich als Krisenmanager zu profilieren. Laschet hat immer gesagt: Wer NRW regieren kann, kann auch Deutschland regieren. Wenn er sich jetzt also als tatkräftig inszeniert, so richtig Helmut-Schmidt-mäßig, dann hätte er genau das bewiesen. Hat er aber (bisher) nicht, auch wenn er sich Mühe gab, er patzte, wirkte verloren – er hatte Pech, selbst die Wut aus Dörfern in Rheinlad-Pfalz projizierte sich auf ihn. Er hat diese Woche sogar seine Wahlkampftour in den Süden verschoben. Half auch nix. Seine Umfragewerte wurden schwächer, fielen wie Erdmassen nach Starkregen.

Auch für die CDU gab es in diesem Wahlkampf – den selbst Köpfe in der Führung als „komisch“ beschreiben – einige Phasen: Die erste Phase war die des großen Streits, zwischen Armin Laschet und Markus Söder. Es war ein Streit, der die Union fast zerrissen hätte, und dessen Wunden nicht verheilt sind. Söder stichelt immer noch und immer wieder, zuletzt mit seiner Bemerkung über den „Schlafwagen“, in dem man nicht sitzen bleiben dürfe. Da ist jeder Halbsatz gezielt gesetzt, da rutscht nichts raus wie bei Baerbock.

In der zweiten Phase des Wahlkampfes musste die Union nur zuschauen, wie die Grünen Fehler machten und man in den Umfragen wieder außerhalb der Schlagweite kam. Nun beginnt auch hier die dritte Phase, wobei die Strategen die Zeit bis September nochmal unterteilen: Im August will man endlich eigene Themen und Akzente setzen. Da geht es, klar, auch ums Klima. Bei anderen Themen, die den Deutschen wichtig sind, wie die Migration, möchte man eigentlich vermeiden, sie in den Wahlkampf zu ziehen. Weil die CDU hier nur verlieren kann, vor allem gegen die AfD. Ob das aufgeht – man schaue nach Litauen und google „Balkan-Route“ - ist derzeit nicht ausgemacht, im Gegenteil.

Vor allem, so glaubt man in der CDU-Spitze, wird es für viele Menschen um das Thema Be- oder Entlastung gehen, und zwar nicht nur bei den Steuern, man kann das durchdeklinieren: Rente, Gesundheit, Pflege, Wohnen, Autofahren – wo die großen Trends wie Demografie und Klimaschutz sich erbarmungslos in den Alltag fräsen. Da werden sich viele nicht nur fragen: Wie retten wir die Welt? Sondern: Was bedeutet das für mich? In der finalen Phase im September wird es für die Union nur um eines gehen: um Mobilisierung. Im Adenauer-Haus hängen zwei Countdowns: Einer zählt die Zeit bis zur Wahl, der andere die bis zum Start der Briefwahl.

Die CDU steht in den Umfragen wieder bei 24 bis 26 Prozent, klar, das ist nur eine Momentaufnahme. Es gab viel Bewegung, und es wird sich noch viel bewegen. Aber der Abstand ist derzeit wieder zu klein, zu gefährlich.

#3 SPD und FDP: Die entscheidenden Dritten

Olaf Scholz ist populär und erhebt, zum Erstaunen vieler, stoisch den Anspruch aufs Kanzleramt. Seine Ruhe war rätselhaft, seine Kampagne wurde mitunter mitleidig begleitet, sein Kalkül ist aber nicht mehr aussichtslos: Es geht für Scholz nur darum, zwei Lücken zu schließen: die Lücke zwischen seinen persönlichen guten Werten und den schlechten Werten der SPD. Und er muss sich bis September als Führungsfigur mit Erfahrung inszenieren, die die Weltbühnenlücke, die Merkel hinterlässt, im Herbst als einziger zu schließen vermag. Das schien lange Zeit ein absurdes Szenario, ausgeschlossen ist es nicht mehr. ( Eine Analyse dazu finden Sie hier. ).

Bleibt die FDP. Christian Lindner ist der andere dritte Mann, der in zwei Konstellationen ins Spiel kommt, bei Jamaika und der Ampel. Die Kampagne der FDP ist selbstbewusst und bisher ohne Fehler, die Partei ist solide zweistellig in den Umfragen, seit Monaten. Der Anspruch aufs Finanzamt ist taktisch und tollkühn, die Bemerkung Lindners, das Rennen um das Kanzleramt sei entschieden, war ein Weckruf – der in der CDU als etwas schmutzig empfunden wurde. Die FDP muss nur stark genug werden, um in einem Dreierbündnis genug Luft zum Atmen zu bekommen.

Um was geht es jetzt?

Der Wahlkampf, der bisher „komisch“ war und nun endlich los gehen soll, ist ein Rennen, das alles andere als entschieden ist. Es war bisher ein Wahlkampf, der sich in Details und Nebensächlichkeiten verlor, in dem Zeilen von Lebensläufen und Absätze in Büchern eine Rolle spielten, statt die großen Ideen der Zukunft. Das ändert sich hoffentlich.

Aber: Es wird immer noch darum gehen, wer welche Fehler macht, wer patzt, wer sich verspricht, verrennt oder lacht. Das gehört immer dazu. Aber es geht auch darum, wer mobilisiert, wer die Stimmung erspürt und den richtigen Ton trifft. Im Kern geht es diesmal um eine große Frage, die tief ins uns allen ruht: wie viel Veränderung die Deutschen wirklich wollen – und wieviel man vor ihnen verheimlicht.

Wollen wir Politiker, die sinngemäß sagen: Wir verändern etwas, aber bewahren euch vor dem Schlimmsten, lange lebe das Auenland? Oder wollen die Deutschen Politiker, die offen sagen: Hier muss und wird sich grundsätzlich etwas ändern, wir müssen mutig sein, so Kopf-auf-die-Füße-mäßig? Erst dann kommen im zweiten Schritt die konkreten Ideen und Vorschläge. Diese Veränderungsbereitschaft – denn die Umwälzungen kommen unabhängig von unserer Bereitschaft so oder so – ist der emotionale und psychologische Kern aller Kampagnen bis Ende September.

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