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Finanzevolution Vorhersagemärkte 2.0

Die entstehenden Vorhersagemärkte basieren auf der Blockchain. Ein Konzept, das fasziniert
Mit der Blockchain-Technologie könnten Handelspartner direkte Vereinbarungen untereinander treffen
Mit der Blockchain-Technologie könnten Handelspartner direkte Vereinbarungen untereinander treffen
© Getty Images

Der erste Wahlgang der Präsidentschaftswahl in Frankreich liegt gerade ein paar Tage zurück. Diesmal waren die Prognosen, anders als bei der Abstimmung zum Brexit und der Wahl zur US-Präsidentschaft, korrekt. Nun wartet Europa mit großer Spannung auf den entscheidenden zweiten Wahlgang am 7. Mai. In Deutschland stehen uns in den kommenden Monaten zwei Landtagswahlen und vor allem die Bundestagswahl am 18. September bevor. Mit den Prognosen für diese Wahlen werden Millionen verdient, und trotzdem wissen wir seit dem Brexit und US Präsidentschaftswahlen, dass solche Vorhersagen weit danebenliegen können.

Ein im Vergleich zu herkömmlichen Wahlumfragen relativ neues Konzept für Vorhersagen ist das Social Forecasting. Das ist ein Crowdsourcing-Ansatz, bei dem das auf verschiedene Personen verteilte Wissen aggregiert und quantifiziert wird. Crowdsourcing gehört zu der Begriffswelt, die in den letzten Jahren für viele auf dem Internet basierende Leistungen entwickelt wurde. Ganz allgemein werden dabei die von einem Empfänger (Unternehmen, Privatperson, Organisation etc.) für eine Aktivität (Investitionsvorhaben, Projekt, Wissenssammlung etc.) benötigten Ressourcen (Arbeitskraft, Fachwissen, finanzielle Mittel) von einer Gruppe von Menschen Crowd) eingesammelt. Zugeschrieben wird die Begriffsprägung Jeff Howe in seinem 2006 in dem Magazin Wired erschienen Artikel “The Rise of Crowdsourcing”.

Wissen wird in konkrete Daten umgewandelt

In der Wirtschafts- und Finanzpraxis hat das Crowdsourcing zu der Kreation zahlreicher neuer Dienstleistungen geführt, von denen das Crowdfunding, also die Nutzung des finanziellen Potenzials der Vielen, seit einigen Jahren Einzug in die Finanzwelt hält (siehe dazu zum Beispiel meine Kolumne Invasion alternativer Finanzierungsplattformen).

Die Nutzung des “Wissens der Vielen” (auch Crowd Wisdom oder Schwarmintelligenz genannt) wird ebenfalls zum Crowdsourcing gerechnet. Eine Form die Schwarmintelligenz zu nutzen, sind Vorhersagemärkte (prediction markets). Hier werden Vorhersagen auf bestimmte zukünftige Ereignisse wie an einer Aktienbörse gehandelt. Die Vorhersagen werden dabei in einer Art virtuellen Zertifikat verbrieft. Das ist so gestaltet, dass es bei Eintritt des Ereignisses bis zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Auszahlung für den Inhaber gibt, wenn er dies richtig vorhergesagt hat.

Beim Social Forecasting wird also Wissen in konkrete Daten umgewandelt. Dieser Ansatz kann auch für Absatzprognosen und zur Schätzung des Potentials neuer Produktideen eingesetzt werden. Der Ökonom Richard Posner sieht den Vorteil, dass auf einer Vorhersagebörse, wie an einer Aktienbörse, die Informationen aggregiert werden.

Wert spiegelt subjektive Wahrscheinlichkeit wider

Auf Vorhersagebörsen werden mögliche Ergebnisse auf verschiedenste Ereignisse gehandelt, wie etwa der Ausgang einer Präsidentschaftswahl, der Rücktritt eines Politikers oder die Erwartung über bestimmte Konjunkturdaten. Für die Stichwahl zur französischen Präsidentschaft werden auf der neuseeländischen Vorhersagebörse PredictIt die Erwartungen gehandelt. Am vergangenen Mittwoch notiert Emmanuel Macron bei 86 Prozent und Marine Le Pen bei 17 Prozent. Die Daten bedeuten nicht, dass Macron 88 Prozent der Stimmen erhält, sondern dass die Marktteilnehmer mit einer Wahrscheinlichkeit von 88 Prozent erwarten, dass Macron die Stichwahl gewinnen wird.

Wenn es genügend Teilnehmer gibt, dann spiegelt also der Wert des Zertifikates die subjektive Wahrscheinlichkeit wider (siehe ausführlich dazu Christoph Koch für brand eins: Die Ahnung der Vielen). Es gibt zahlreiche mittlerweile auch wissenschaftlich erforschte Beispiele für funktionierende Vorhersagemärkte (siehe ausführlich Adam Mann auf Spektrum: Die Wahrsager von heute). Das Handelsblatt hatte vor Jahren eine mittlerweile in ähnlicher Form von der FAZ weitergeführte Prognosebörse auf politische Ereignisse und Konjunkturvorhersagen eingerichtet.

Der Iowa Electronic Market (IEM), ein Projekt der University of Iowa, ermöglicht es Studenten mit kleinen Summen Geld auf die Ergebnisse von Wahlen in den USA zu setzen. Die Prognosen sind in der Regel genauer als Umfragen oder Gutachten. Besonders bekannt für seine Prognosen war der kommerzielle Vorhersagemarkt Intrade. Auch hier hat die Schwarmintelligenz zahlreiche politische Ereignisse, insbesondere Wahlen, besser vorhergesagt als klassische Wahlforscher.

Vorhersagemärkte ohne zentrale Instanz

Aber die Nähe von Vorhersagemärkten zu Glücksspielen dürfte eine Ursache dafür sein, dass der Markt Ende 2012 geschlossen wurde. Während die Vorhersagemärkte mit reinen Glücksspielen wenig zu tun haben, ist die Nähe zu Wetten unbestritten. Auch hier versuchen die Wettenden überlegene Informationen zu Geld zu machen. Allerdings funktionieren die Vorhersagebörsen anders als klassische Wettbüros. Bei einem Wettbüro legt der Anbieter eine Quote fest, nach der sich die Wettteilnehmer zu richten haben. Auf Vorhersagemärkten stellt der Anbieter nur die Plattform zur Verfügung und sorgt für die vereinbarungsgemäße Abwicklung und vor allem Abrechnung.

Interessant ist, dass nach den Verboten zentraler Vorhersagemärkte diese möglicherweise vor einem Comeback stehen. Bei den gerade entstehenden neuen Vorhersagemärkten gibt es keine zentrale Instanz mehr, über die die “Zertifikate” gehandelt und abgewickelt werden. Grundlage sind direkte Vereinbarungen zwischen den Handelspartnern. Diese “dezentralen Vorhersagemärkte” basieren auf der Blockchain-Ttechnologie. Die Blockchain ist ein technisches Protokoll, dass festlegt, wie rechtsrelevante Dokumente ohne eine zentrale Instanz rechtssicher übertragen, überprüft und dezentral in einer Datei (der Blockchain) dokumentiert werden.

Das Ethereum-Projekt bietet dafür die finanzielle und technologische Basis. In Verbindung mit sogenannten intelligenten Verträgen (smart contracts) können zwei Handelspartner direkt ihre Vorhersagen tauschen. Die Vertragsausführung wird automatisch überwacht und bei Eintritt bzw. Ablauf eines Ereignisses, werden die Verträge automatisch erfüllt bzw. geschlossen. Bei Smart Contracts handelt es sich um ein technisches Verfahren, bei dem digital bestimmte Transaktionen automatisch durchgeführt werden, wenn bestimmte Ereignisse eingetreten sind. Vertragliche Inhalte werden dabei über Programmierbefehle umgesetzt und ohne Einschaltung einer Person abgewickelt (ausführlich dazu dieses Paper der FH Münster).

Zu diesen neuen Vorhersagebörsen gehören zum Beispiel Gnosis oder Augur. Gnosis will es jedermann ermöglichen, einen Vorhersagemarkt für jedes Ereignis zu schaffen (ein Paper der Firma Bitaccess zusammen mit der Concordia Universität erläutert das im Detail an einem Beispiel). Ähnlich funktioniert Augur, das laut des Fachmagazins Wired eine Nonprofit-Organisation ist.

Konzept schafft Transparenz und erleichtert Vorhersagen

Plattformen wie Gnosis und Augur experimentieren mit dezentralisierten Modellen, die nicht von externen Akteuren abgeschaltet werden können. Zumindest ist das die Idee. Mit der Blockchain sollen solche Märkte grenzübergreifend geschaffen werden. So soll dann die Person mit den besten Informationen teilnehmen können und die Märkte weniger anfällig für Manipulationen sein. Die übrigens über Crowdfunding finanzierte Augur will eine dezentrale Prognosemarktplattform aufbauen, auf der die Nutzer Wahlergebnisse, Produktneueinführungen, das Geschlecht von Promi-Babys und auch Sportveranstaltungen vorhersagen können. Augur will das Problem „unethischer Verträge“ durch eine Nulltoleranzpolitik bei kriminellem Verhalten lösen.

Die Fachbuchautoren Alex und Don Tapscott glauben, dass Prognosemärkte viele Aspekte des Finanzsystems erweitern und verändern könnten. Sie schreiben in ihrem Buch “Die Blockchain Revolution”, dass mit solchen Prognosemärkten Ergebnisse von Kapitalmaßnahmen, Gewinnmeldungen, Fusionen, Übernahmen und Führungswechsel vorhergesagt werden können. Prognosemärkte liefern außerdem Informationen, um sich gegen bestimmte Risiken abzusichern. Potenziell könnten sie nach ihrer Auffassung sogar Finanzinstrumente wie Optionen, Zinsswaps und Credit Default Swaps ablösen.

Das Feld der Prognoseplattformen auf Basis der Blockchain-Technologie befindet sich noch in einem sehr frühen Stadium. Längst sind nicht alle technischen, rechtlichen und praktischen Fragen geklärt. Das Konzept hat dennoch eine gewisse Faszination, nicht nur weil es Vorhersagen erleichtert und transparenter macht, sondern auch weil die dezentrale Organisation mit Blockchain-Technologie zeigen könnte, wie man Märkte organisieren kann, ohne dass eine zentrale Partei zwischen den Handelspartnern steht.

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Dirk Elsner ist bei der DZ Bank Senior Manager Innovation und Digitalisierung. In dieser Kolumne äußert er seine private Meinung. 2008 hat er das private Wirtschaftsblog BlickLog gegründet, das mehrfach ausgezeichnet wurde.

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