In Peking kommt der Parteitag zusammen — und auch gut 8.000 Kilometer Luftlinie weiter im Westen spielt die künftige Ausrichtung der Volksrepublik eine entscheidende Rolle. Die EU wird ihren bekannten Dreiklang aus „Partner-Wettbewerber-Systemrivale“ zunächst in dieser Form beibehalten, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Montag nach dem Treffen der Außenminister der EU-Staaten in Luxemburg. Der derzeit in der Mitte stehenden „Wettbewerber“ (auf Englisch „competitor“) komme aber zunehmend zu Tragen, sagte Borrell. Denn so trete China derzeit auf. „Wir können nicht so tun, als gäbe es China nicht“, betonte der Spanier.
Die EU-Außenminister hatten zuvor erstmals seit längerer Zeit die EU-China-Strategie sowie eine neue Einschätzung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS) besprochen. Auch über die Rede des chinesischen Staatschefs Xi Jinping habe man beim Außenrat debattiert, so Borrell. Diese habe gezeigt, wie China auch künftig im Weltgeschehen „eingreifen“ werde. Vergangene Woche hatte der EU-Außenchef noch mit weit schärferen Aussagen für Aufsehen gesorgt. „Sie – China und Russland – haben unseren Wohlstand begründet. Das ist eine Welt, die es nicht mehr gibt“, hatte Borrell gewarnt.
Eine Woche später klingt Borrell weniger inbrünstig. Die Tendenz ist jedoch auch hier deutlich: Es geht in Richtung zunehmender Konfrontation mit Peking. Wo es möglich sei, müsste allerdings weiterhin kooperiert werden, betonte unter anderem die französische Außenministerin Catherine Colonna nach dem Treffen. Am Donnerstag stehen die Beziehungen zu Asien auf der EU-Gipfel-Agenda der Staats- und Regierungschefs — welchen Teil China dabei einnehmen wird, ist jedoch noch nicht klar.
EEAS: Brüssel braucht bessere Strategie für Drittstaaten
Auch ob die Einschätzung des Europäischen Auswärtigen Dienstes bei dem Gipfeltreffen besprochen wird, ist noch offen. In dem Papier empfiehlt der EEAS eine deutlich härtere Linie gegenüber der Volksrepublik: Die Volksrepublik müsse uneingeschränkt als Konkurrent mit nur begrenzten Bereichen für eine potenzielle Zusammenarbeit betrachtet werden. „China ist zu einem noch stärkeren globalen Wettbewerber für die EU, die USA und andere gleichgesinnte Partner geworden“, heißt es in dem Text. Die Bewertung des EEAS unterstreicht so die bemerkenswerte Verschlechterung der Beziehungen zwischen Brüssel und Peking seit dem Aufsetzen der China-Strategie im Jahr 2019.
Vor allem die Taiwan-Frage habe „sehr störende Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen der EU und China gehabt“. Die Lösung müsse sein, „sich auf Deeskalation und Abschreckung zu konzentrieren, um die Erosion des Status quo zu verhindern“, rät der Auswärtige Dienst. Aber auch Chinas „Demontage von 'Ein Land, zwei Systeme' in Hongkong“, das Vorgehen gegen Menschenrechtsverteidiger sowie schwere Menschenrechtsverletzungen seien Signale für eine „verstärkte politische Abschottung und staatlich geführten Interventionismus“, warnt der Außendienst.
Brüssel müsse außerdem seine Strategie gegenüber Drittstaaten, vor allem im globalen Süden, ausbauen. China sei der Ansicht, dass die derzeitige Weltordnung „nicht an die Realität“ der Entwicklungsländer angepasst sei, betont das EEAS-Papier. Das bedeute, China werde Positionen „entgegengesetzt zu denen der EU in multilateralen Foren“ unterstützen. Zu sehen ist das bereits an der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit.
Im Kampf der Narrative müsse die EU dringend ihre Reichweite erhöhen, „um auf Widersprüche und Risiken hinzuweisen“ in Chinas Darstellungen reagieren zu können. Die Infrastruktur-Initiative „Global Gateway“ könne dabei laut EEAS einen Schlüssel darstellen. „Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass chinesische Angebote an seine Partner weiterhin eine große Attraktivität haben. Die EU sollte ein besseres Angebot machen, indem sie ihre eigenen Versprechen einlöst“, betont das Papier.
Kooperation nur begrenzt möglich
Daneben führt der Auswärtige Dienst Empfehlungen an, die in Brüssel nicht zum ersten Mal zu hören sind: Die EU sollte enger mit den USA kooperieren und ihre Abwehr gegen Cyber- und hybride Bedrohungen besser aufstellen. Der EEAS wartet bereits seit längerem auf ein Mandat der EU-Kommission, um chinesische Desinformation durch eine eigene Taskforce angehen zu können.
Zudem müssten die Lieferketten diverser gestaltet und Beziehungen zu Staaten in der Indo-Pazifik-Region gestärkt werden, heißt es in der Einschätzung. Die Abhängigkeit der EU von China bei Halbleitern und bestimmten Seltenerdmetallen wird in dem Papier als „strategische Schwachstelle“ bezeichnet, in der neben den diversifizierten Lieferketten auch eine stärkere Inlandsproduktion und andere Initiativen wie ein besseres Recycling innerhalb der EU gefordert werden. Das fünfseitige Dokument enthält nur einen Absatz zu Bereichen mit demnach „begrenzter potenzieller Zusammenarbeit“ mit China: Klima, Umwelt und Gesundheit.
Die EU müsse eine einheitliche Botschaft gegenüber China ausdrücken, betont der EEAS in seiner Einschätzung. Beobachter sahen das am Montag nicht zuletzt als Wink in Richtung Berlin. Denn dort bereitet sich Bundeskanzler Olaf Scholz auf seine erste Reise nach Peking vor. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron soll ebenfalls bald in die Volksrepublik reisen. „Bei den Besuchen ist es sinnvoll, eine gemeinsame Botschaft zu haben – auch wenn wir nicht mit einer Stimme sprechen, muss es eine Botschaft sein“, zitiert „South China Morning Post“ einen EU-Diplomaten. Ob auch Berlin in China zukünftig vor allem einen „Wettbewerber“ sieht, wird sich zeigen.