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Kolumne Verfrühter Abgesang auf Schwellenländer

Skeptiker übersehen ermutigende Zeichen in den Schwellenländern. Von Jim O'Neill
Jim O’Neill war bis 2013 Chairman im Asset Management von Goldman Sachs, zuvor von 2001 bis 2011 Chefökonom der Bank. Der 57-Jährige ist Honorarprofessor in seiner Heimatstadt Manchester – und einer der prominentesten Fans von Manchester United
Jim O’Neill war bis 2013 Chairman im Asset Management von Goldman Sachs, zuvor von 2001 bis 2011 Chefökonom der Bank. Der 57-Jährige ist Honorarprofessor in seiner Heimatstadt Manchester – und einer der prominentesten Fans von Manchester United
© Getty Images

Die Liebesaffäre mit den Schwellenländern ist jetzt wirklich und wahrhaftig vorbei. Diese These ist unter Finanzleuten seit Anfang des Jahres populär, ein Bündel von Gründen wird dafür genannt: Viele Schwellenländer ringen mit internen Problemen, die immer mehr eskalieren.

Hinzu kommt ein schwierigeres äußeres Umfeld, weil die expansive Politik der US-Notenbank ausläuft (das sogenannte „tapering“) und etliche Rohstoffpreise ihren Höhepunkt überschritten haben.

Da ich 2001 das Kürzel Bric (Brasilien, Russland, Indien, China) erfunden und Ende 2013 die Mint-Länder (Mexiko, Indonesien, Nigeria, Türkei) in den Blick gerückt habe, liegt mir das Thema natürlich am Herzen. Und es wird Sie nicht überraschen, dass ich die oben genannte These nach wie vor bezweifele.

Argument der Skeptiker verschwindet

Alle Schwellenländer wie eine Einheit zu behandeln ist natürlich ziemlicher Unsinn. Aber abgesehen von diesem wichtigen Punkt liegen die Skeptiker bislang mit zwei Dingen falsch: Erstens sind die langfristigen US-Anleihezinsen trotz des tapering gefallen, statt den im Frühjahr 2013 begonnenen Anstieg fortzusetzen. Auch mich hat das überrascht, und der Grund dafür ist unklar.

Die aktuelle Capital
Die aktuelle Capital

Aber wenn das so bleibt, dann verschwindet eines der großen Argumente der Schwellenländer-Skeptiker. Möglicherweise kompensiert die lockere Geldpolitik der Bank of Japan und der EZB – die vielleicht noch weiter lockert – die etwas straffere Fed-Politik. Die Investoren werden weiter nach hohen Zinsen suchen, und das dürfte den riskanteren Märkten das Leben leichter machen.

Mit der Rohstoff-Story lagen die Skeptiker richtig, was zum Teil an dem schwächeren Wachstum Chinas liegt. Für die Länder, die besonders auf jenen Nachfragetyp angewiesen sind, den ich das „alte“ China nenne, wird es schwieriger. Es gibt aber noch immer viele, die vom Aufstieg Chinas profitieren. Schauen Sie sich die jüngsten Rekordumsätze von Apple oder BMW in China an. Das „neue“ China, in dem die Konsumenten wichtiger werden, wird viele Gewinner hervorbringen.

Der zweite Punkt, den die Kritiker übersehen, ist, dass einige wichtige Länder ihre Makropolitik verbessert haben. Die viel debattierten Leistungsbilanzdefizite sind gesunken, vor allem in Indien und Indonesien, ein wenig auch in der Türkei.

In diesem Jahr gibt es zudem wichtige Wahlen, und einiges deutet darauf hin, dass sich eher Reformer durchsetzen: Indien hat gerade den schillernden Narendra Modi gewählt, von dem viele ein wachstumsfreundlicheres Umfeld erwarten.

Nur Russland bleibt als Problemkandidat

Auch in Brasilien und Indonesien haben reformorientierte Kräfte eine Chance. Von den „fragilen Fünf“ bleiben damit nur die Türkei und Südafrika. Deren Wirtschaftspolitik mag für sie selbst problematisch sein, ist aber kein Grund zu genereller Sorge. Wenn sich die Lage in Indien und Brasilien bessert und China den Umstieg auf ein anderes Wachstumsmodell weiterhin erfolgreich bewältigt, dann bleibt nur noch Russland als Problemkandidat.

All das vollzieht sich vor dem Hintergrund wichtiger Revisionen in der Statistik. Nach neuen Daten der Weltbank ist die Wirtschaftsleistung wichtiger Schwellenländer gerechnet in Kaufkraftparität größer als gedacht. Chinas Wirtschaft ist vielleicht schon so groß wie die der USA, die von Indien die drittgrößte der Welt. Einige von uns sind deshalb keineswegs überrascht, dass die Börsen vieler Schwellenländer 2014 bislang gut gelaufen sind – so ganz im Gegensatz zu den Erwartungen des skeptischen Konsenses.

Der Beitrag von Jim O'Neill erschien zuerst in der aktuellen Capital. Hier können Sie sich die iPad-Ausgabe der neuen Capital herunterladen. Hier geht es zum Abo-Shop, wenn Sie die Print-Ausgabe bestellen möchten.

Das ökonomische Quartett: David McWilliams (Irland), Heleen Mees (Niederlande), Jim O'Neill (Großbritannien), Michael Pettis (USA). Jeden Monat schreibt bei Capital einer dieser vier Ökonomen. Sie stammen aus verschiedenen Ländern, und jeder hat damit eine andere Perspektive auf die Welt

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