Kein Deal ist zu groß, kein Risiko ist zu hoch. Dieser Leitlinie folgte lange Zeit der chinesische Versicherungsriese Anbang. Im letzten Jahr ventilierten die Manager des Konzerns sogar eine Übernahme des deutschen Konkurrenten Allianz – und trafen dort auf ein anderes Schwergewicht aus China mit der gleichen Devise: die HNA-Holding, den größten Einzelaktionär der Deutschen Bank. Beide kapitulierten am Ende in München, verfolgten jedoch ihre globale Expansionsstrategie weiter. Mittlerweile können Anbang und HNA jedoch froh sein, wenn sie in ihrer jetzigen Gestalt überhaupt überleben. Beide Konzerne stehen in diesen Wochen in ihrer Heimat im Mittelpunkt undurchsichtiger Schattenspiele.
HNA kämpft seit längerem um den Zugang zu neuen Krediten. Einzelne Tochterfirmen konnten ihre fälligen Anleihen nicht zum vereinbarten Termin zurückzahlen. Die Schulden des Konglomerats, das eng mit der Provinzregierung der Insel Hainan verknüpft ist, summieren sich auf die gewaltige Summe von 25 Mrd. Euro. Schon werden viele andere Aktionäre der Deutschen Bank nervös und fragen sich, ob die HNA-Manager ihre deutschen Aktien bald kursschädigend auf den Markt werfen müssen. Noch dementiert der Konzern diese Absicht.
Chinesische Übernahmen in Deutschland
#6 Ledvance: 2015 war es beschlossene Sache: Die Osram Licht AG lagert ihr traditionelles Lampengeschäft mit rund einem Drittel der Belegschaft aus. Im Juli 2016 ging das eigenständige Unternehmen Ledvance an den Start. Wenige Tage später wurde bekannt, dass die Firma verkauft wird. Seit 3. März 2017 gehört Ledvance dem chinesischen Investmentkonsortium, bestehend aus dem strategischen Investor IDG Capital, dem LED-Hersteller MLS CO., LTD. und Yiwu State-Owned Assets Operation Center. Kostenpunkt: rund 500 Millionen Euro.
#5 Krauss-Maffei: Es war der bis dato teuerste Kauf eines deutschen Unternehmens durch chinesische Investoren und läutete das große Übernahmejahr 2016 ein. Im Januar verkaufte der kanadische Finanzinvestor Onex den Münchener Spezialmaschinenbauer Krauss-Maffei für 925 Millionen Euro an die staatliche chinesische National Chemical Corporation (ChemChina). Dabei handelte es sich wohlgemerkt nicht um den Panzerhersteller Krauss-Maffei Wegmann, sondern um den Kunstoffmaschinenspezialisten, der mit dem Rüstungskonzern lediglich gemeinsame Wurzeln teilt. 2016 gaben chinesische Unternehmen in Deutschland die Rekordsumme von rund 13 Milliarden Dollar aus, im Jahr zuvor waren es gerade einmal 900 Millionen Dollar gewesen. Das ergab eine Analyse der Beratungsgesellschaft Ginkgo Tree für die „Welt am Sonntag“. Demnach gingen über 50 Prozent der Investitionen in die traditionell starken deutschen Branchen der Industrieausrüster und Maschinenbauer.
#4 Wind MW: Nach Solarzellen nun die Windkraft: Im Sommer 2016 übernahm China Three Gorges den Offshore-Windpark „Meerwind“ nördlich von Helgoland. Der weltweit größte Wasserkraftproduzent kaufte der US-Beteiligungsfirma Blackstone ihre 80 Prozent der Anteile an der Betreibergesellschaft Wind MW ab. Der Vertrag wurde in Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und des chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang in Peking unterzeichnet. Der Wert des Deals wird auf etwa 1,2 Milliarden Euro geschätzt.
#3 EEW Energy from Waste: Bereits im Februar 2016 gab es einen neuen Übernahmerekord zu vermelden. Die chinesische Holding Beijing Enterprises kaufte für 1,438 Milliarden Euro den Abfallkonzern EEW Energy from Waste aus Helmstedt. Das war nach Angaben des bisherigen Eigentümers, des schwedischen Investors EQT, die bislang größte chinesische Direktinvestition in ein deutsches Unternehmen.
#2 Ista International: Ganz andere Dimensionen hatte der Kauf des Energiedienstleisters Ista International mit Sitz in Essen. Der ging im Sommer 2017 für 4,5 Milliarden Euro an zwei Unternehmen des chinesischen Milliardärs Li Ka-shing. Der Unternehmer wird aktuell vom Wirtschaftsmagazin „Forbes“ als der 19. reichste und 33. mächtigste Mensch der Welt geführt. 2017 war eine solche gewaltige Übernahme allerdings kein Schock mehr. Den hatte es bereits ein Jahr zuvor gegeben.
#1 Kuka AG: Diese Übernahme schreckte auf. Im Sommer 2016 übernahm der chinesische Midea-Konzern für 4,5 Milliarden Euro rund 95 Prozent der Anteile am Augsburger Roboterbauer Kuka. Der Mega-Deal schürte Befürchtungen, hier werde strategisch wichtige Technologie einfach an die ausländische Konkurrenz verkauft. Schließlich setzt die chinesische Regierung mit ihrem Modernisierungsprogramm „Made in China 2025“ verstärkt auf Übernahmen auch in Deutschland. Zumindest für die Belegschaft war der Deal offenbar kein Weckruf mit Folgen. „Nach einem Jahr mit dem neuen Eigentümer Midea ist von Angst bei Kuka nichts zu spüren“, berichtete der Bayerische Rundfunk Ende 2017.
Der Versicherer Anbang sorgte letzte Woche vor Aufregung: Dort hat inzwischen der Staat die Kontrolle übernommen. Gegen den früheren Chef des Konzerns ermitteln die chinesischen Staatsanwälte. Man wolle die Kunden des Versicherers vor „rechtswidrigen Praktiken“ schützen, verkündete die staatliche Aufsicht. Für mindestens ein Jahr soll Anbang jetzt unter Kuratel bleiben.
Xi kann den Geldhahn zudrehen
Hinter den Auseinandersetzungen verbirgt sich auch ein grundlegender Streit in der chinesischen Führung. Beide Konzerne konnten sich lange Zeit auf die unbedingte Unterstützung von einflussreichen Führern der Kommunistischen Partei Chinas verlassen. Ihre Milliarden-Investitionen im Ausland galten als Ausweis für die große Wettbewerbsfähigkeit von Anbang und HNA. Der jetzige Staats-und Parteichef Xi Jinping möchte die großen Unternehmen des Landes jedoch zwingen, weiterhin vor allem in China selbst zu investieren. Anbang und HNA finden jedoch immer weniger Anlagemöglichkeiten im Land selbst, die noch die hohen Renditen versprechen wie in der Vergangenheit. Das gilt vor allem für den hochspekulativen Immobiliensektor in China, in den in der Vergangenheit Jahr für Jahr Milliarden Yuan geflossen sind. Deshalb wehren sich die Manager und versuchen, die Vorgaben aus Beijing zu umgehen. Doch dieser Kurs birgt, wie sich jetzt zeigt, hohe Risiken: Xi Jinping kann über die Staatsbanken einfach den Geldhahn zudrehen, um die aufmüpfigen Manager zur Raison zu bringen.
Diese Gemengelage ist für deutsche Aktionäre praktisch undurchschaubar. Chinesische Konzerne, die heute noch als mächtig und unangreifbar gelten, können morgen schon vor dem Aus stehen. Deshalb gilt für uns die Devise: Im Zweifel lieber die Hände weg von derartigen Investments in China.