Ein Kredit, den man stets verlängert, muss niemals platzen. Das ist die eigentliche Logik hinter der "Griechenland-Hilfe", die der Bundestag erneut zugesagt hat. Wirklich geholfen wird hier niemandem. Es wird lediglich dafür gesorgt, dass die Zurkenntnisnahme der Realität wieder einmal um ein paar Monate verschoben werden kann. "Extend and pretend" nennt sich dieses Spiel griffig auf Englisch: "Verlängern und so tun als ob".
Yanis Varoufakis, der polyglotte griechische Finanzminister, geißelt "extend and pretend" schon seit Langem, aber dummerweise kann und will hierzulande niemand so eine merkwürdige englische Formel verstehen. Eine gemeinsame Sprache gibt es in Europa eben nicht. Und das schöne deutsche Wort "Konkursverschleppung" klingt dann doch zu arg. Vor allem für eine Bundesregierung, die seit Jahren erzählt, dass doch eigentlich alles im Griff ist.
Die Realität ist, dass die angeblich so "gierigen" Griechen ihre regulären Staatsausgaben und ihren Lebensstandard in den vergangenen Jahren so stark reduziert haben, dass sie sich mittlerweile gerade so eben selbst durch den Tag finanzieren können. Für das linksradikale Utopia, das die Tsipras-Leute ihren Wählern versprochen haben, reichen diese Mittel natürlich nicht ansatzweise. Aber so lange die Regierung in Athen es bei der Rhetorik belässt und den bisherigen Fiskalkurs im Kern weiterführt, braucht sie frische Kredite nur zu einem einzigen Zweck: Um die alten Kredite zu bedienen, die ihre diversen Vorgängerregierungen aufgenommen haben.
Und die europäischen Regierungen sind vor allem aus einem Grund bereit, dafür frisches Geld zu geben: Weil sie] sonst akzeptieren müssten, dass ihre alten Kredite nicht mehr einzutreiben sind. "Extend and pretend" eben.
Was ist noch zu holen?
Die eigentliche Streitfrage bleibt, wie und in welchem Umfang die Griechen ihre Altschulden künftig einmal abstottern werden. Varoufakis hat sein Land gleich nach Amtsantritt für faktisch überschuldet erklärt. Viele Ökonomen teilen diese Ansicht und fordern - in verschiedenen Varianten - einen Schuldenschnitt.
Die europäischen Gläubiger hoffen dagegen, dass in Griechenland schon noch das eine oder andere zu holen ist. Wenn nicht jetzt, dann vielleicht später. Sollen die Griechen halt noch weiter heruntergehen mit ihrem Lebensstandard. Ihre Vertreter haben ja schließlich die Kreditverträge unterschrieben. Und ein schlechtes Vorbild kann Europa nicht gebrauchen.
Eine solche harte Gläubigerlinie kann man hierzulande unter großem Applaus vertreten und auch für moralisch berechtigt halten. Was sie am Ende bringt ist eine ganz andere Frage. Niemand kann schließlich überrascht sein, wenn die Griechen sich eine Regierung wählen, die brachial dagegen hält. Und wenn das politische Klima in Europa dadurch böse vergiftet wird.
Der so oft debattierte und geforderte "Grexit" würde das Problem der Gläubiger natürlich auch nicht lösen. Er würde es bloß mit einem Schlag zur Explosion bringen. Denn schon am Tag nach der Rückkehr zur Drachme wäre Griechenland völlig unbestreitbar pleite. Die so aufwändig verschleppten und immer wieder verlängerten Euro-Schulden müssten weitgehend abgeschrieben werden.
Wenn nicht irgendein griechisches Wirtschaftswunder geschieht, dann gibt es in diesem Konflikt inzwischen keine gute Lösung mehr. Das Geld, das die Europäer irgendwann wiederhaben wollen, ist ganz einfach nicht da. Oder zumindest nicht zivilisiert einzutreiben. Die Methode, immer neue Verlängerungskredite zu geben und dafür im Gegenzug Griechenland unter Zwangsverwaltung zu stellen, ist jetzt an ihre politischen Grenzen gestoßen. In Athen genauso wie in Berlin.
Insolvenzverschleppung ist in der Privatwirtschaft strafbar, unter anderem auch deshalb, weil der Schaden umso größer wird, je länger die Anerkennung einer bitteren Pleite-Realität verdrängt und hinausgezögert wird. Auf der anderen Seite ist ein Insolvenzverfahren aber auch der erste Schritt zu einem Neuanfang mit besserer Perspektive.
Die Frage ist, ob die Europäer so eine geordnete Kurskorrektur noch hinkriegen. Irgendwie einigen müssen sie sich am Ende sowieso.