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Pandemie Tempo, testen, tracken: Wie Südkorea das Coronavirus aufhält

Ein südkoreanisches Krankenhaus hat Coronavirus-Testeinrichtungen im Stil einer "Telefonzelle" eingeführt, wo der direkte Kontakt des medizinischen Personals mit Patienten vermieden wird.
Ein südkoreanisches Krankenhaus hat Coronavirus-Testeinrichtungen im Stil einer "Telefonzelle" eingeführt, wo der direkte Kontakt des medizinischen Personals mit Patienten vermieden wird.
© Getty Images
Die Regierung Südkoreas hat mit einer schnellen Reaktion, flächendeckenden Tests und einem beispiellosen sozialen Messaging die steile Infektionskurve des Coronavirus abgeflacht. Vier Lehren lassen sich daraus ziehen

Nach dem Epizentrum China stand Südkorea zunächst auf Platz zwei der am stärksten vom Coronavirus betroffenen Länder. Binnen Wochen hat es den Anstieg der Infektionskurve jedoch erheblich gebremst. Die Zahl der Neuerkrankungen hat sich deutlich verringert, die Gesamtzahl liegt derzeit bei knapp 9000 Infizierten.

Noch Ende Februar kamen an einem einzigen Tag 909 neue Fälle hinzu. Das Gesundheitssystem schien am Rande der Überlastung. Kaum eine Woche später war die Zahl der Neuinfektionen halbiert, vier Tage später erneut, und tags darauf sank sie noch einmal um die Hälfte. Seit vergangenem Sonntag schwanken die neuen Fallzahlen um die 70, während sie in anderen Ländern weiter sprunghaft ansteigen. Der Chef der Weltgesundheitsorganisation Tedros Adhanom Ghebreyesus appellierte an die Mitgliedsländer, von Südkorea zu lernen.

Wo Europa vor allem auf drakonische Ausgangs- und Gruppenverbote setzt, welche das öffentliche Leben und die Wirtschaft weitgehend lahmlegen, blieben in Südkorea Restaurants und Einkaufszentren geöffnet. Nur die Schulen sind in dem dicht besiedelten Land geschlossen. Die Regierung setzt – anders als in Deutschland – auf Massentests und die Auswertung von Patientendaten. Was also hat das 50 Millionen-Volk anders gemacht?

Lektion 1: schnelles Handeln, bevor die Krise anrollt

Nur eine Woche nach dem ersten Covid-19-Fall Ende Januar beauftragte die Regierung Hersteller damit, sofort massentaugliche Test-Kits zu entwickeln. Sie sagte zugleich eine beschleunigte Zulassung zu, und binnen weniger Wochen waren Tausende Tests verfügbar. Heute produziert Südkorea 100.000 Einheiten täglich und verhandelt angeblich mit 17 Staaten über Exporte.

Lektion 2: Frühzeitig, großflächig und sicher testen

Südkorea hat weit mehr Menschen auf das Virus getestet als andere Länder. Rund 12.000 sind es täglich. So konnten auch Personen isoliert werden, die infiziert waren, ohne Symptome zu zeigen. Über öffentliche Ansagen wird den Menschen eingebläut, sich direkt testen zu lassen, sobald sie selbst oder Bekannte Anzeichen entwickeln. Mehr als 300.000 Tests wurden bislang durchgeführt. „Testen ist zentral, weil es zu früher Erkennung führt, die weitere Ausbreitung einschränkt und Infizierte schnell behandelt werden können“, sagte Außenminister Kann Kyung-wha der BBC. Die Massentests seien auch der Schlüssel zu der niedrigen Todesrate.

Landesweit wurden 600 Stationen eingerichtet, damit schnellstmöglich eine große Zahl von Menschen getestet werden konnten – mit minimalem Kontakt zu den Arzthelfern. In rund 50 Drive-in-Stationen füllen Insassen Fragebögen aus, lassen durchs Autofenster Abstriche machen und die Temperatur messen. Für Fußgänger stellten Krankenhäuser auch durchsichtige Boxen wie Telefonzellen auf, in denen über Handschuheingriffe getestet wird. Die Resultate lassen maximal 24 Stunden auf sich warten und werden per SMS übermittelt.

Lektion 3: Kontakte finden, isolieren und überwachen

Schon bei der MERS-Epidemie hat Südkorea viel Energie in die Identifizierung und Isolierung von Kontaktpersonen gesteckt. Um Übertragungsketten aufzudecken und zu kappen, wurden sogar Spuren verfolgt mithilfe von Straßenkameras, Kreditkartendaten und mobilen Ortungssystemen von Autos und Handys. Seither wurden solche Maßnahmen für seuchenbedingte Krisen legalisiert.

Inwieweit intensive Kriminalarbeit in einer Masseninfektion durchzuhalten ist, bleibt fraglich. Vor allem aber alarmieren Behörden die Bürger über Handy-Nachrichten, wenn sie sich in an einem Ort aufhalten, in dessen Nähe Erkrankungsfälle bekannt sind. Auf Webseiten und Apps wird deren Bewegungsprofil nachgezeichnet – etwa wo sie welchen Bus genommen haben. Ebenfalls über eine App wird beobachtet, ob Patienten eine verordnete Quarantäne verlassen. Verstöße können mit Bußgeldern bis zu 2500 Dollar geahndet werden.

Lektion 4: soziales Messaging

Egal ob zuhause oder unterwegs: Über Fernsehen, Smartphone oder auf Bildschirmen in U-Bahnen werden die Bürger endlos daran erinnert, Abstand zu halten und Atemschutzmasken zu tragen, die in Südkorea tatsächlich auch noch käuflich zu erwerben sind. Das Ganze wird unterlegt mit den täglichen Infektionszahlen. Die Regierung setzt damit auf Gemeinschaftssinn und kollektive Verantwortung. Die Akzeptanzrate für die Reaktionen der Politik ist Umfragen zufolge hoch. Am Eingang großer Gebäude werden Menschen häufig mit Wärmebildkameras auf erhöhte Temperatur geprüft. Viele Restaurants haben Personal für die Fiebermessung abgestellt – auch das klare Signale für die gegenseitige Achtsamkeit.

Der Schlüssel für ein Abflachen der Infektionskurve mag in frühzeitigem entschlossenen Handeln der Behörden liegen, das auch auf Erfahrungen mit früheren Krankheitswellen zurückgeht. Vor allem in Ländern, wo die Krise schon fortgeschritten ist, dürfte ein Modell, das weitgehend ohne Verbote auskommt, nicht mehr leicht nachzuahmen sein, sagen Experten. Auch Südkorea sieht sich noch nicht über dem Berg: Sorge machen weiter kleine Häufungen von Ansteckungen in Kirchengemeinden, Kliniken oder Pflegeheimen sowie infizierte Personen, die aus dem Ausland eintreffen.

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